Noch gibt es auf diese Fragen keine konkreten Antworten. Die Zusammenhänge des Vogelzugs sind zu komplex. Doch eins steht fest: Eine Kolonie des vom Aussterben bedrohten Waldrapps - insgesamt handelt es sich um 31 Vögel aus Überlingen - hat den Abflug Richtung Süden zum Überwintern in Italien verpasst. Sie sind vollzählig in ihrem Brutgebiet geblieben.
Sechs Vögel hatten sich zwar auf den Weg gemacht, sind dann jedoch überraschend in der Schweiz umgekehrt und schließlich wieder in ihrer Brutkolonie in Überlingen gelandet. Die Gruppe besteht aus jungen Tieren mit geringen Migrationserfahrungen. Noch sind die Vögel vom drohenden Wintereinbruch verschont geblieben, doch spätestens Anfang Dezember greift der Förderverein Waldrappteam den Vögeln unter die Flügel: Die Tiere werden gefangen und dann entlang der Zugroute in Südtirol freigelassen, um von dort gefahrlos in ihre Überwinterungsgebiete migrieren zu können. Projektleiter Dr. Johannes Fritz geht davon aus, dass die Vögel im folgenden Jahr ein ganz reguläres Migrationsverhalten zeigen.
"Für die Population des vom Aussterben bedrohten Waldrapps ist das Überleben der Brutkolonie Überlingen sehr wichtig", sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. "Ähnliche Anomalien des Zugverhaltens treten in den letzten Jahren gehäuft auf und sind nicht auf den Waldrapp beschränkt." Generell mehren sich die Beobachtungen, dass der Klimawandel das Zuggeschehen bei Vögeln beeinflusst. Bleiben Zugvögel im Winter in ihren Brutgebieten, dann kann dieses Strategie durch eine höhere Überlebensrate und früheren Brutbeginn belohnt werden - aber nur in milden Wintern. Einzelne harte Winter können Vogelbestände lokal zum Erlöschen bringen. "Gerade vom Aussterben bedrohte Arten wie der Waldrapp sind durch derartige risikoreiche Anpassungen des Zugverhaltens besonders betroffen", so Hackländer. Solange die Bestände noch so klein und verstreut sind, muss das Waldrapp-Team um Fritz noch eingreifen, um eine Katastrophe zu verhindern
©Deutsche Wildtier Stiftung