Es gebe "vieles, wo wir uns einig sind, einiges, was uns trennt", sagte Baerbock nach dem Gespräch mit Rau und dankte Polen für seinen "Beitrag für Europa". Für sie sei "zuhören manchmal wichtiger als selber viel zu sagen" - und das bedeute für sie auch, "keine Politik über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg zu machen oder auf Kosten anderer".
Auch über das Thema Rechtsstaatlichkeit sei gesprochen worden, sagte Baerbock weiter. "Es macht Freundschaften aus, sich unbequemen Fragen zu stellen." Sie betonte: "Ehrlichkeit und ein offenes Wort müssen immer im Mittelpunkt stehen." Die EU wirft der rechtsnationalistischen Regierung in Warschau seit langem vor, rechtsstaatliche Grundsätze etwa im Justizsystem auszuhöhlen. Baerbock räumte ein, dass die "Diskrepanzen" in diesem Punkt "sehr, sehr groß" seien. Diese sollten aber im Gespräch aufgelöst werden.
Deutschland wolle dabei "keine öffentlichen Ratschläge erteilen", versicherte Baerbock. "Wir sollten uns als Deutsche hüten, uns reflexhaft für die besseren Europäer zu halten." Die neue Bundesregierung wünsche sich "Lösungen, die Europa stärker machen", und Polen sei dabei ein "unverzichtbarer Teil".
Die Außenministerin verwies zugleich auf die "nie endende Verantwortung Deutschlands". Es gehe ihr darum, "diese Freundschaft in Frieden ehrlich zu pflegen", betonte die Außenministerin. Dies wolle sie auch mit der Kranzniederlegung am Grab des unbekannten Soldaten zum Ausdruck bringen.
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Rau verwies Baerbock auch auf ihre persönlichen Verbindungen zum Nachbarstaat. Vor 60 Jahren seien ihre Großeltern von Polen nach Deutschland gekommen, erzählte sie. Und in der Nacht zum 1. Mai 2004, als Polen der EU beitrat, habe sie auf der Brücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice gestanden und habe "mit vielen Menschen gefeiert, als Europa im Herzen wieder zusammengewachsen ist".
"Angesichts des Erpressungsmanövers" des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko stehe die neue Bundesregierung "an der Seite Polens und der baltischen Staaten", versicherte Baerbock zudem mit Blick auf die Flüchtlingskrise an der Grenze zu Belarus. Die Sanktionen gegen Minsk zeigten erste Erfolge.
Mit Rau habe sie darüber gesprochen, wie Hilfe für die Menschen im Grenzgebiet sichergestellt werden könne. "Humanitäre Verpflichtungen bei Verfolgten gelten für uns alle", mahnte Baerbock. Zudem halte sie es für "sinnvoll", den polnischen Grenzschutz durch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex zu unterstützen.
Seit Jahresbeginn kamen tausende Migranten - viele von ihnen aus dem Nahen Osten - über Belarus an die EU-Außengrenzen in Litauen, Polen und Lettland. Die EU wirft Lukaschenko vor, Migranten gezielt an die EU-Außengrenzen zu schleusen. Aktuell sitzen viele Menschen bei eisigen Temperaturen im Grenzgebiet fest.
Ein weiteres Gesprächsthema waren laut Baerbock die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine. Deutschland werde Polen unterstützen, wenn es im Januar den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernimmt, kündigte sie an.
Zu Beginn ihres Antrittsbesuchs in Warschau war Baerbock vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda empfangen worden. Duda begrüßte Baerbock im Präsidentenpalast in Warschau.
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