Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht weiter einen Mangel an Coronaimpfstoff im kommenden Jahr, arbeitet aber nach eigenen Aussagen an Lösungen des Problems. Nach einer Inventur im Ministerium seien für das erste Quartal 2022 bisher 50 Millionen Dosen zu erwarten, der Bedarf liege gemäß der Strategie aber bei 70 Millionen Dosen, davon 50 Millionen Booster – zusätzlich zu schon erreichten 23 Millionen Auffrischimpfungen.
Die neue Bundesregierung habe eine „sehr offensive Boosterstrategie“ zu ihrem Hauptwerkzeug in der Coronapandemie ernannt, so Lauterbach. Dazu sei mehr Impfstoff nötig, als vorhanden sei. Ziel sei, bis Ende Januar möglichst viele Menschen zu impfen. Mit den Bestellungen, die vor den neuen Planungen bereits liefen, hätte eine Boosterkampagne bis Ende März 2022 gedauert. Dies wäre nach Lauterbachs Aussagen besonders in Bezug auf die Omikron-Variante zu spät.
Lauterbach machte deutlich, dass es im Kampf gegen die jetzige Welle und die nahende, noch ansteckendere Virusvariante um einen Wettlauf mit der Zeit geht. Derzeit gebe es eine Impfgeschwindigkeit von einer Million bis 1,5 Millionen Impfungen pro Tag. „Wenn das tatsächlich fortgesetzt werden könnte, dann könnten wir im Januar schon einen großen Teil dieser Boosterimpflücken schließen. Das wäre optimal.“
Er versuche, Lieferungen so weit nach vorne zu ziehen, wie es gehe. Dabei geht es auch um Sicherheitspuffer, wie der Minister erkennen ließ: „Ich möchte einfach, dass deutlich mehr Impfstoff da ist, als abgerufen wird, um zu jedem Zeitpunkt die Impfstoffbedarfe ohne Verzögerung decken zu können.“ Auch mit Blick auf eine mögliche allgemeine Impfpflicht solle genug vorhanden sein: „Wenn es eine solche gibt, dann muss natürlich auch der Impfstoff da sein.“
Konkret sollen nun 35 Millionen Dosen von Moderna früher kommen, davon zehn Millionen noch im Dezember. Mit Rumänien, Bulgarien, Portugal und Polen gibt es Verhandlungen über kurzfristige Übernahmen nicht benötigter Dosen, wie Lauterbach sagte.
Die Bundesregierung hatte schon angekündigt, zusätzliche 80 Millionen Dosen von Biontech über EU-Verträge kaufen zu wollen. Insgesamt kauft die EU in den kommenden Wochen 160 Millionen Dosen bei Biontech ein.
Lauterbach sagte, ein Teil davon könne eventuell noch im ersten Quartal 2022 kommen, sonst voraussichtlich im zweiten bis vierten Quartal. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte hierfür sowie für zwölf Millionen weitere Dosen, die direkt beschafft werden sollen, rund 2,2 Milliarden Euro bewilligt.
Der von ihm diagnostizierte Impfstoffmangel „ausdrücklich“ nicht als Kritik an seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) zu verstehen, sagte Lauterbach. Im Rahmen der neuen Strategie solle das Boostern enorm beschleunigt werden. Er wolle vermeiden, dass die sehr erfolgreicher Boosterkampagne „ausgebremst wird, weil wir nicht genug Impfstoff bekommen“.
Die Zahl der täglich verabreichten Impfdosen hatte gestern mit 1,5 Millionen einen neuen Höchststand erreicht. Einer Auflistung des Gesundheitsministeriums zufolge ist im Januar mit wöchentlich knapp 2,2 Millionen Biontech-Dosen und knapp 1,5 Millionen Moderna-Dosen für Menschen über zwölf Jahre zu rechnen. Damit wäre das augenblicklich hohe Niveau der Impfungen nicht zu halten.
Nach den Worten des Ministers wird auch erwogen, für die Boosterimpfungen von Moderna statt der bisher verabreichten halben Dosis doch wieder die volle Menge zu verabreichen, um den Schutz vor der Omikron-Variante zu gewährleisten. Dann wäre entsprechend mehr Impfstoff erforderlich. Allerdings betonte er, dass Studien dazu noch nicht vorlägen.
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Ob und wann eine vierte Impfung notwendig werde, steht nach Lauterbachs Worten derzeit noch nicht fest. Auch hier gäbe es noch keine Studien. Gegen Omikron werde mit dem bisherigen Vakzin ein Impfschutz von 70 bis 80 Prozent erreicht – und zwar nach der Boosterimpfung. Es könne sein, dass eine vierte, Omikron-spezifische Impfung notwendig werde. An einem solchen Impfstoff arbeiteten Biontech und Moderna. Dafür habe die Bundesregierung 80 Millionen Dosen Biontech vorbestellt.
Der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, betonte, es gebe zwar einen leichten Rückgang bei den Infektionszahlen. Dies gehe aber sehr langsam vonstatten. Zudem sei der Rückgang auch noch nicht in den Kliniken angekommen. Noch immer lägen 4.800 COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser.
Noch sei die Delta-Variante vorherrschend, es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis Omikron dominieren werde, sagte Wieler. Notwendig seien daher Kontaktbeschränkungen. Am besten sollten die Feiertage nur mit den engsten Freunden und Verwandten verbracht werden in einem festen Personenkreis.
Mit der Omikron-Variante will sich am morgigen Freitag auch der Expertenrat befassen, der sich am vergangenen Dienstag konstituiert hatte. Lauterbach hatte kürzlich die Erwartung geäußert, dass das Gremium rasch eine Empfehlung zum Umgang mit der Mutante abgeben werde.
Im Anschluss an die Pressekonferenz erklärte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, dass es gut sei, wie Lauterbach das Impftempo in den Arztpraxen anerkenne. Lauterbach hatte seinen Dank an alle betont, die derzeit in Impfzentren oder Praxen zusätzliche Zeit in die Impfkampagne stecken.
„Folgerichtig ist auch, dass er schnell mehr Impfstoffe besorgen will. Wir können nur hoffen, dass dies auch vollumfänglich gelingen wird“, sagte Gassen weiter. „Solange bestellte Impfstoffmengen nicht auch komplett ausgeliefert werden, droht die Impfkampagne ausgebremst zu werden. Papierlisten mit theoretischen Mengenangaben überzeugen nicht, nur tatsächlich und vollständig ausgelieferte Impfstoffe“, so Gassen.
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