Die Wahllokale in dem südamerikanischen Land öffneten am Morgen (Ortszeit) für die rund 15 Millionen Stimmberechtigten. Als Nachfolger des konservativen Staatschefs Sebastián Piñera stehen der Sieger der ersten Wahlrunde, der deutschstämmige Ultrakonservative José António Kast, sowie der linksgerichtete Abgeordnete und frühere Studentenführer Gabriel Boric zur Wahl.
Der Ausgang der Richtungswahl gilt als offen. In den letzten Umfragen vom 4. Dezember lag Boric knapp vorne.
Der 55-jährige Kast gilt als Bewunderer des neoliberalen Wirtschaftsmodells des früheren Militärdiktators Augusto Pinochet. Der Sohn deutscher Einwanderer ist Vorsitzender der von ihm gegründeten ultrarechten Republikanischen Partei. Er lehnt die Homo-Ehe und Abtreibungen ab.
Der 35-jährige Boric will das Land wirtschaftspolitisch vom Erbe Pinochets lösen, das er für die große soziale Ungleichheit in Chile verantwortlich macht. Er setzt sich für eine Reform des privaten Rentensystems und eine stärkere Rolle des Staates im Gesundheits- und Bildungswesen ein.
Ähnlich wie Ex-US-Präsident Donald Trump und Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro präsentiert sich Kast als Vorkämpfer für "Ordnung und Sicherheit". Er will ein internationales Netzwerk zum Kampf gegen linke Extremisten gründen und warnt, Boric würde das Land als Staatschef ins sozialistische Chaos stürzen.
Besonders umstritten in Kasts Wahlprogramm ist die geplante Möglichkeit zur Verhängung eines Ausnahmezustands, um die Inhaftierung von Oppositionellen außerhalb von Gefängnissen und die Schließung des Nationalen Menschenrechtsinstituts zu ermöglichen. Auch sein Eintreten für die Abschaffung des Schadenersatzssystems für Opfer der Militärdiktatur sorgt für Diskussionen.
Boric, Sohn kroatischer und katalanischer Einwanderer, gehörte zu den Anführern der Studentenproteste gegen die horrenden Studiengebühren im Jahr 2019. Mit 35 Jahren hat er gerade das gesetzliche Mindestalter für eine Kandidatur zum Staatschef erreicht. Er will die große soziale Ungleichheit in Chile bekämpfen. Dass er dabei auch mit der Kommunistischen Partei zusammenarbeiten will, stößt bei konservativeren Wählern auf Ablehnung.
Seit dem Ende der Pinochet-Diktatur vor 31 Jahren haben die Chilenen gemäßigte Präsidenten an die Spitze des Staates gewählt. Nun müssen sie sich zwischen einem entschieden rechtem und einem deutlich linken Kandidaten entscheiden.
Die 24-jährige Wählerin Javiera Otto war deshalb kurz vor der Wahl noch unsicher, wem sie ihre Stimme gibt. Die Wahl mache ihr "Angst", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. "Es gibt keine echte Hoffnung, weil ich keinen von beiden mag." Sie wolle weder, "dass wir ein zweites Venezuela werden" noch, dass eine "Rechts-außen-Regierung" die Geschicke des Landes bestimme.
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