Die Abstimmung war eine bedeutende Richtungswahl für die Chilenen: Sie hatten sich zwischen einem entschieden rechten und einem deutlich linken Kandidaten entscheiden müssen. "Ich bin begeistert, ich weine vor Freude. Wir haben dem Faschismus einen Schlag versetzt", sagte die 45-jährige Apotheken-Mitarbeiterin Jennie Enríquez einem AFP-Reporter. Der 58-jährige Bauarbeiter Luis Astorga betonte, er erwarte nun "viele Veränderungen", die unter anderem "der Arbeiterklasse helfen werden".
Boric, Sohn kroatischer und katalanischer Einwanderer, hat mit 35 Jahren gerade das gesetzliche Mindestalter für eine Kandidatur zum Staatschef erreicht. Er gehörte zu den Anführern der Studentenproteste gegen die horrenden Studiengebühren in Chinle im Jahr 2019. Als Präsident will er die große soziale Ungleichheit in dem Land bekämpfen.
Sein erklärtes Ziel ist es, das Land wirtschaftspolitisch vom Erbe des früheren Militärdiktators Augusto Pinochets lösen, das er für die soziale Ungleichheit verantwortlich macht. Konkret setzt er sich etwa für eine Reform des privaten Rentensystems und eine stärkere Rolle des Staates im Gesundheits- und Bildungswesen ein.
In seiner ersten offiziellen Ansprache nach dem Wahlsieg versprach Boric, die "sozialen Rechte" auszubauen, dies werde mit "finanzieller Verantwortung" einhergehen. Seine Ankündigung im Wahlkampf, auch mit der Kommunistischen Partei zusammenarbeiten zu wollen, war bei konservativeren Wählern auf Ablehnung gestoßen.
Aufgrund des großen Vorsprungs von Boric mit mehr als zehn Prozentpunkten hatte Kast bereits nach Auszählung von 70 Prozent der Stimmen seine Niederlage eingeräumt. "Ich habe gerade mit Gabriel Boric gesprochen und ihm zu seinem großen Triumph gratuliert", schrieb er am Sonntag auf Twitter. "Von heute an ist er der designierte Präsident Chiles und er verdient unseren ganzen Respekt."
Der 55-jährige Kast hatte sich im Wahlkampf ähnlich wie Ex-US-Präsident Donald Trump und Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro als Vorkämpfer für "Ordnung und Sicherheit" präsentiert. Er gilt als Bewunderer des neoliberalen Wirtschaftsmodells des früheren Militärdiktators Pinochet. Der Sohn deutscher Einwanderer lehnt die Homo-Ehe und Abtreibungen ab.
"Offenbar hat Boric es geschafft, die Wählerschaft zu mobilisieren, die schwieriger zu mobilisieren ist, nämlich die jungen Menschen", sagte die chilenische Politikexperten Claudia Heiss der Nachrichtenagentur AFP. Diese Wähler habe Kast mit seiner Haltung gegen Frauenrechte und gegen Homosexuelle wohl nicht angesprochen.
Die Wahlbeteiligung lag laut Angaben der chilenischen Wahlbehörde Servel bei über 55 Prozent - ein Höchstwert seit 2012.
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