Dass die Geschichte „Der Untertan“
gerade in heutigen Zeiten des politischen Umbruchs in Deutschland wieder eine
zeitgemäße Relevanz erhält, davon kann sich ab sofort jeder bei der
Inszenierung im Wolfgang-Borchert-Theater selbst überzeugen.
Wieder einmal beweist die Chefdramaturgin des Borchert Theaters, Tanja Weidner, ein feines Gespür bei der Auswahl ihrer Themen. Heinrich Manns Erzählung (1914) liegt ursprünglich als dicker Roman vor und hat wohl eher noch den Deutschunterricht meiner Elterngeneration bereichert, als dass die Geschichte im Bewusstsein der Generation Y eine Rolle spielen würde. Heinrich Mann? Wer ist das überhaupt. Dachte der heißt Thomas? Aber nun gut. So zeigt sich auch, dass circa drei weitere Personen und ich den Altersdurchschnitt der Besucher bei der Premiere des Untertans deutlich gesenkt haben. Ziemlich schade, dass gerade die, die es interessieren sollte, was hier auf der Bühne gezeigt wird, nicht anwesend sind, um sich Gedanken darüber zu machen, wo die Verantwortung des einzelnen anzusiedeln ist.
Mit einfachsten Mitteln gelingt es der Inszenierung die wirklich wichtigen Inhalte reduziert und ohne Ablenkung vom Wesentlichen dem Zuschauer zu präsentieren. Das Bühnenbild, welches aus zwei Treppen besteht, die von den Schauspielern je nach Szene ins rechte Licht gerückt werden, symbolisieren die Aufstiegsmöglichkeiten, die jeder Mensch in dieser Gesellschaft hat – doch gleichzeitig den Abgrund, der auf der anderen Seite wartet und der zudem, niemals zu vergessen, die Ebene ist, von der der Mensch erst emporsteigt.
Dieser Dualismus bildet ein Grundgerüst der Erzählung. Der einfache Mann, der Untertan, der dem hoch angesehenen und gefeierten Kaiser unterstellt ist. Sowohl sozial, politisch, als auch menschlich. Der Kaiser und sein nationales Bestreben als Übermensch – der Mensch als sein Untertan, sind sie alle gleich. So sind auch die Schauspieler alle gleich gekleidet und mit der gleichen Totenmaske geschminkt. Der Mensch ist kein Individuum, er geht in der Masse unter und es gibt kaum ein Entfliehen aus der Masse der Gesellschaft, die als Kollektiv einer höheren Macht zu dienen hat.
Der Untertan selbst, der zugleich auch Protagonist des Stückes ist, verschwindet hinter den Gesichtern aller Bühnendarsteller, indem jeder einmal in die Rolle des Untertans schlüpft. So drückt sich der Gedanke auf, dass der Untertan ein jeder Mensch dieser Zeit ist – dass das, was dem Protagonisten der Erzählung geschieht, auch jedem anderen hätte wiederfahren können, der dem hellen Schein des Proletariats folgt und sich einen genauso pompösen Schnurrbart, wie der Kaiser wachsen lässt.
Darüber hinaus wird deutlich, dass der Untertan immer denkt, seinem eigenen Willen zu folgen, aber eigentlich getrieben durch die sozialen Mechanismen der damaligen Gesellschaft fast schon keine Wahl mehr hat, als so handeln, wie er es eben tut. Oder doch? Symbolträchtig also nicht nur der überdimensionierte, goldene Schnurrbart des Untertan, auch die Masken der Sozialdemokraten, die sich gegen die Macht des Kaisers auflehnen, zeigen deutlich, dass der Wiederstand sich besser zu verstecken hat – dass der wahre Mensch und seine individuellen Bestrebungen zu verstecken sind, in einer Zeit, in der man für Volksnähe verurteilt wird.
Dass die Inszenierung wirklich eine Botschaft für unsere heutige Zeit bereithält, wird unweigerlich klar, als die dritte Ebene durchbrochen wird, um den Zuschauer darauf aufmerksam zu machen, dass es hier um Dinge geht, die ernster sind als Theater. Und damit hat es recht – dieses halbtote Individuum, zu eigenem Denken entmündigt, das dort durch ein Kollektiv auf der Bühne dargestellt wird – das, was hier angesprochen wird, ist wichtiger als jedes Theater.
Es hat Relevanz in der realen Welt, in der wir leben. Ein kollektives Bewusstsein, das stumpf, ohne nachzufragen einem Ideal hinterherläuft, ist nur gut für diejenigen, die im Gegensatz zu ihnen tatsächlich ein eigenes Ziel verfolgen. Sie können sie für ihre Zwecke instrumentalisieren. Und so schreit das Stück in all seiner Düsternis in die Welt: Sei kein Untertan! Versteck dich nicht hinter einer Masse, die du für deine Fehler verantwortlich machen kannst Sonst heißt es am Ende nur wieder, man hätte ja von nichts gewusst.
Dass Heinrich Mann seiner Zeit mit dieser Botschaft weit voraus war, sollte niemals in Vergessenheit geraten.
Tickets gibt es erst wieder für die Vorstellung am 15.2.2020 unter: https://www.wolfgang-borchert-theater.de/stuecke/der-untertan.html
Fotos: Klaus Lefebvre