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"Münster braucht einen neuen Stadtteil"

Im Interview mit stadt4.0 spricht der ehemalige Linken-Politiker Rüdiger Sagel über Parteiverdrossenheit und die Ziele seiner neuen Vereinigung "Aktive Liste".


Warum haben Sie sich dazu entschieden, die Linkspartei zu verlassen und stattdessen eine eigene Bewegung ins Leben zu rufen?

Ich habe eine lange politische Geschichte, komme aus der Ökologie-Bewegung. Seit 1978 habe ich mich mit der „Hambach-Gruppe“ gegen den dortigen Braunkohle-Abbau engagiert. Ende der 80er Jahre bin ich den Grünen beigetreten, habe die Partei aber 2007 wegen Militäreinsätzen, Hartz 4 und aufgeweichter Ökologiepolitik verlassen. Später im Jahr bin ich zu den Linken gewechselt.

Allerdings habe ich im Bereich Flüchtlingspolitik an den Aussagen von Sahra Wagenknecht Anstoß genommen. Bei anderen Themen musste ich ebenfalls feststellen, dass der ideologiebefrachtete Kurs dieser Partei meiner Denkweise nicht entspricht.

Nach meinem Austritt aus der Linken schloss ich mich mit anderen zusammen, um ein Projekt jenseits der Parteien aufzubauen, das wir die „Aktive Liste“ nennen.

Wir verfolgen eine soziale, ökologische, emanzipatorische und gesellschaftspolitisch offene Linie. Wohnungsbau, Verkehrspolitik, Klimaschutz, Bekämpfung von sozialen Missständen wie Altersarmut – das sind einige unserer konkreten Anliegen.


Welchen Grundgedanken, welches Hauptziel verfolgen Sie mit der Aktiven Liste?

Zunächst muss man deutlich sagen, dass die Parteistrukturen sehr verkrustet sind, in Deutschland allgemein wie in Münster konkret.

In den letzten Jahren haben wir unter der schwarz-grünen Koalition im Stadtrat eine Art von Politik erlebt, die wiederholt auf Kritik gestoßen ist. Beispielsweise beim Hafencenter: Bürger und Bürgerinnen werden zu Alibi-Veranstaltungen eingeladen, um Einwände vorzubringen, die am Ende doch im Papierkorb landen. Ihnen wird also Pseudo-Demokratie vorgespielt.

Das führt bei vielen Menschen zu dem Gefühl, dass die Parteien ihre Interessen gar nicht mehr vertreten; es mangelt an Möglichkeiten zur Mitsprache und zur Mitgestaltung. Wir von der Aktiven Liste bieten daher etwas Neues, es herrschen bei uns offene Kommunikationsstrukturen.


Sie wollen also diejenigen Wähler gewinnen, die eine Frustration mit der Politik der bestehenden Parteien verspüren?

Genau. Wir sind eine klare Alternative. Was wir mitverhindern wollen, ist, dass diejenigen, die glauben, es müsse nun endlich etwas geschehen, am Ende für die AfD stimmen.


Bei den letzten Bundestags- und Europawahlen lag die AfD in Münster unter fünf Prozent. Dies könnte doch auch daran liegen, dass man hier noch starkes Vertrauen in die CDU hat. Wieviel Chancen räumen Sie einer neuen Bewegung in Münster ein?

Ich glaube nicht, dass sich die niedrigen Wahlergebnisse der AfD auf eine gute Arbeit der CDU zurückführen lassen.

Man sollte beachten, dass es sich bei Münster um eine aufgeklärte Stadt, eine Bildungsstadt handelt. In den Arbeiterstädten des Ruhrgebiets sind die AfD-Anteile deutlich größer.

Außerdem ist es so, dass hier in weiten Teilen eine christliche Grundhaltung vorherrscht, die auch Konservative davon abhält, eine Partei rechts von der CDU zu wählen. Trotzdem existiert eine Wählerschaft für die AfD. Wir wollen dagegen eine Alternative bieten, die offen und sozial-ökologisch ausgerichtet ist.


Sozial, ökologisch, offen – das sind Ihre Zielvorstellungen für Münster. Erfüllt die Stadt diese Kriterien nicht bereits? Was kann man besser machen?

Diese Eigenschaften treffen grundsätzlich auf Münster zu und das ist gut so. Allerdings fühlen viele Menschen sich nicht mitgenommen oder durch die politischen Parteien in Münster vertreten. Das hat auch mit den bereits erwähnten Mängeln bei der Beteiligung zu tun.

Parteien sind nach außen ziemlich abgeschlossen, man muss zum Mitbestimmen und Mitgestalten Parteimitglied sein. Das wollen wir anders machen.

Wir sind keine Partei, sondern eine kommunalpolitische Vereinigung nach dem nordrhein-westfälischen Wahlgesetz. Natürlich wollen wir uns perspektivisch im Stadtrat beteiligen, aber wir verfolgen auch zeitlich befristete Projekte, bei denen sich jeder einbringen und seine Interessen vertreten kann. Außerdem haben wir noch kein fertiges Wahlprogramm.

Man hat bei uns die Möglichkeit, mitzugestalten, und man wird ernst genommen. Schon in struktureller Hinsicht unterscheiden wir uns also von den bestehenden Parteien.

Die Menschen wenden sich zunehmend von der Parteipolitik ab. Es herrscht eine Parteiverdrossenheit, keine Politikverdrossenheit. Man ist zum Beispiel darüber unzufrieden, dass sich die Grünen zwar an einem Tag für die Milieuschutzsatzung aussprechen, aber bei der Abstimmung dann doch dagegen stimmen, nur aus parteipolitischem Kalkül.

Auch Dezernentenstellen werden nach Parteibuchlogik besetzt. Das ist eine Art von Politik, die vielen Leuten übel aufstößt. Dies äußert sich auch darin, dass – wie bei den letzten Europawahlen – häufig sogenannte „andere Parteien“, Kleinparteien, einen Stimmenzuwachs erfahren. 


Sie sprechen die Europawahlen an. Auch dort gab es linke Bewegungen mit progressivem Anspruch, wie etwa DiEM25 von Yanis Varoufakis. Sehen Sie hier Parallelen?

Ich glaube, dass es an verschiedenen Stellen in Europa ähnliche Interessenbewegungen gibt. Wir sind auf Münster konzentriert und wollen für diese Stadt Politik betreiben, gucken aber über den Tellerrand.

Die Aktive Liste ist personell vernetzt, in ökologischen wie in sozialen Bewegungen. Es geht bei uns nicht darum, nur Kirchturmpolitik zu machen. Das Motto lautet „global denken, lokal handeln“.

Wenn man zum Beispiel eine Klimawende erreichen will, muss man konkret in der Stadt anfangen. Hier in Münster wird unserer Meinung nach zu wenig für die Klimapolitik getan.

Es muss mehr Geld in Projekte wie eine autofreie Innenstadt oder den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs fließen. Ebenso herrscht in Münster eine Wohnungsnot. Es fehlen mindestens 10000 bezahlbare Wohnungen.

Unsere Auffassung ist, dass man in Münster einen neuen Stadtteil braucht. Wir sind die einzigen, die das so klar und deutlich sagen. Nur auf diese Weise kann ausreichend bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden, damit auch Menschen aus den unteren Einkommensbereichen eine Bleibe finden.


Lässt sich das Anlegen eines neuen Stadtteils denn mit ökologischen Prinzipien vereinbaren?

Es gibt in Münster an vielen Ecken eine massive Nachverdichtung, die nicht nur zu sozialen, sondern auch zu ökologischen Problemen führt. Ein Teil dessen, was gut funktioniert, wird zerstört. Vor diesem Hintergrund ist es besser, nach den richtigen Kriterien einen ganz neuen Stadtteil zu planen. Nur so können zum Beispiel neue Formen des Zusammenlebens etabliert und eine ökologisch orientierte Energieversorgung gewährleistet werden.

Münster bezieht immer noch Atom- und Kohlenstrom, das ist ein Problem, das man bei der Planung dezentral-ökologisch lösen kann. Die bereits angesprochene Wohnungsnot lässt sich nicht durch Nachverdichtung beheben, damit wird nicht der Druck aus dem Wohnungsmarkt genommen, es braucht einen neuen Stadtteil.

Die Stadt Münster muss an Planungshoheit gewinnen, um vernünftige Konzepte durchzusetzen. Im Augenblick bestimmen die Investoren, wie man am Beispiel Hafenviertel sehen kann.



Foto: Flo