Es entführt uns in eine Zukunft,
in welcher der Staat der Methode weicht. Einer Methode in welcher die
körperliche Gesundheit als oberste Maxime angesehen wird, in welcher
Krankheiten lediglich einen Teil der Vergangenheit darstellen, die nur noch in
der Erinnerung weniger vorhanden ist. Eine Methode, die den Menschen von oben
bis unten kontrolliert, auf Herz und Nieren prüft und jedes der Gesundheit
schädigende Verhalten sanktioniert. Willkommen in einer zeitgemäßen Dystopie,
einer „Gesundheitsdiktatur“ welche „noch“ seines gleichen sucht und auch am
„gesunden“ Menschenverstand seinen Zweifel lässt.
Bereits vor Beginn des eigentlichen Schauspiel startet die Produktion. Die Zuschauenden gelangen nur durch einen Gesundheitsscan der in den Theatersaal. Dieser hat sich sehr verändert, alles ist in sterilem weiß gehalten und durch ein wiederkehrendes Gesundheitsmantra, welches aus den Lautsprecherboxen schallt, befinden sich die Zuschauer*innen in einer besonderen Atmosphäre. Man befindet sich konfrontiert mit dem Schicksal von Mia Holl, welche von Rosana Cleve gespielt wird. Eine 34-jährige Biologin, die vor kurzem ihren Bruder durch einen Suizid verlor.
Der Tod ihres geliebten Bruders stürzt sie in eine tiefe Depression, lässt ihre gesundheitlichen Verpflichtungen schleifen und muss sich vor dem Gericht der Methode für ihr unverantwortliches Handeln verantworten. Unterstützung in der Bewältigung ihrer Krise erhält sie durch die „perfekte Geliebte“ (Erika Jell), welche als geistiger Gedanke ihres Bruders Einzug in ihr Leben hält und dem Anwalt Lutz Rosentreter (Florian Bender), welcher seine Systemkritik aus Liebe zu einer für ihn nicht „geeigneten“ Frau Ausdruck verleihen möchte. Sie wird zu einer Freiheitskämpferin.
Fortwährend nimmt sie einen Kampf
mit der Methode auf und trifft dabei auf ihren Antagonisten, den Journalisten Dr.
Heinrich Kramer, gespielt von Jürgen Lorenzen. Dieser Gentleman ist zugleich
geistiger Brandstifter, der in mehreren Interviews seine Sicht auf die Methode
als die einzig richtige, ja gar perfekte Lösung für die Menschheit erläutert.
Doch ist auch diese fehlbar?
Im Verlauf des Theaterstücks gibt es immer wieder VR-Sequenzen, an welchen ein Teil des Publikums, dass auf der Bühne Platz nimmt, über Virtual-Reality-Brillen teilhaben kann. In diesem Format lässt sich das Theater, weiter und digitaler Denken und eröffnet so der Kunst neue Möglichkeiten. Die dort dargestellten Sequenzen werden aber auch für das restliche Publikum durch vier im Raum verteilte Bildschirme auch in der „normalen“ Realität zu einem Erlebnis.
Tanja Weidner hat mit ihrer Inszenierung von Corpus Delicti etwas geschaffen, dass dem Theater neue Perspektiven eröffnet. Die schwierige Fusion von Analogem und Digitalem hat überrascht und hat das Stück wahrhaftig in die Zukunft gebracht. Insbesondere die herausragende schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin sorgte für große Begeisterung bei den Zuschauer*innen. Weitere Infos und Tickets unter www.wolfgang-borchert-theater.de
Laura Stein und Fabian Ollmert
Fotos: © Klaus Lefebvre & Annika Bade