Um die Energiewende erfolgreich gestalten zu können, müssen
Energieflüsse sektorenübergreifend betrachtet werden. Das verleiht dem
Gesamtsystem mehr Flexibilität, um zeitliche Schwankungen im
Energieangebot zwischen Stromnetz, Mobilitätssektor und Wärmebedarf bei
gleichzeitiger Stabilisierung des Stromnetzes effizient ausgleichen zu
können. Vor diesem Hintergrund erstellt das Institut für Vernetzte
Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
derzeit im Rahmen des Forschungsprojekts HyReK 2.0
(„Hybridregelkraftwerk“; gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)
eine digitale Nachbildung eines realen Kraftwerks, das im Bremer
Stadtteil Hastedt Primärregelleistung anbietet und dabei die
Schnittstelle zwischen Stromnetz und Wärmeversorgung besonders effizient
nutzt.
Kombination aus Stromspeicher, Wärmespeicher und Elektrokessel
Das innovative Kraftwerkskonzept kombiniert eine Großbatterie mit einem
Wärmespeicher und einem Elektrokessel. Ist die Batterie voll, wird
überschüssige Energie, zum Beispiel bei einer frischen Brise in den
Offshore-Windparks auf der Nordsee, direkt in Wärme umgewandelt. Diese
kann je nach Bedarf gespeichert oder direkt ins Fernwärmenetz
eingespeist werden. Ziel der Oldenburger Energieforscher ist es, dieses Hybridregelkraftwerk
in seiner Flexibilität zu optimieren, um mehrere Dienstleistungen
erbringen zu können. Ein zweiter Forschungsschwerpunkt sieht die
ökologische, ökonomische und soziale Bewertung der Potenziale dieses
neuartigen Kraftwerkstyps vor. „Die zunehmende Nutzung erneuerbarer
Energien verursacht immer stärkere Schwankungen im Stromangebot. Diese
werden bislang mit positiver oder negativer Primärregelenergie
vornehmlich aus konventionellen Kraftwerken ausgeglichen. Wir möchten
mögliche Wege aufzeigen, wie sich diese Dienstleistung mit dem neuen
Kraftwerk auch in einem dekarbonisierten Energiesystem erbringen lässt“,
erklärt Theys Diekmann, HyReK-Projektleiter am Institut für Vernetzte Energiesysteme.
Simulationsmodell auf Basis realer Lastprofile
Nachdem die neue Kraftwerkstechnologie im Juli 2019 den Betrieb aufgenommen hat, entwickelt das Institut für Vernetzte Energiesysteme aktuell ein Simulationsmodell auf Basis der Realdaten aus der Anlage. Damit soll experimentell im Hochleistungsrechner die Netzdienlichkeit analysiert, also geprüft werden, wie sich das Kraftwerk im Detail positiv am Stromnetz verhält. Der Gesamtverbrauch aus dem Hastedter Versorgungsgebiet wird anhand von realen Lastprofilen berücksichtigt. Auch werden in der Simulation realtechnische Geräte wie zum Beispiel der Wechselrichter, der die Schnittstelle zwischen Batterie und Stromnetz darstellt, mit Unterstützung des Projektpartners und Herstellers AEG Power Solutions abgebildet.
Dem Gesamtsystem mehr Effizienz und längere Lebensdauer verleihen
„Auf dieser Basis wollen wir die Technik so weiterentwickeln, dass die Aktivitäten einzelner Kraftwerkskomponenten nicht separat betrachtet, sondern auf das Gesamtsystemverhalten ausgerichtet werden“, erklärt Diekmann. „Dadurch lassen sich Effizienz und Lebensdauer des Systems und der Einzelkomponenten optimieren, woraus sich ein wirtschaftlich tragfähiges Betreiberkonzept ableiten lässt.“ Wie aussagefähig die Simulation tatsächlich ist, wird im weiteren Projektverlauf der Schritt in die simulierte Praxis zeigen: Dann werden die Simulationsdaten gemeinsam mit dem Kraftwerksbetreiber, der Bremer swb AG, im Reallabor in die Kraftwerkstechnik implementiert. „Dabei werden wir verschiedene Betriebsarten validieren, zum Beispiel, wie genau die elektrische Energie schonend in die Batterie ein- und ausgespeichert wird“, blickt Diekmann voraus.
Power-to-Heat-Technologie minimiert erforderlichen Netzausbau
Ergänzend zum Fokus auf das Bremer Hybridregelkraftwerk richtet sich der Blick der DLR-Wissenschaftler auch auf das „große Ganze“, wie Diekmann betont: „Mit dem Simulationsmodell können wir bereits heute Energieszenarien simulieren, die wir für die Zukunft vermuten. Das ermöglicht uns die Identifizierung möglicher weiterer Flexibilitätsoptionen rund um das Hybridkonzept. So wollen wir – neben der Primärregelleistung – als weitere Systemdienstleistung mit Hilfe der Power-to-Heat-Technologie Strategien entwickeln, mit denen sich das zukünftige Energiesystem auch ohne zusätzlichen Netzausbau gestalten lässt.“ Um herauszufinden, unter welchen Bedingungen sich der Hybrid-Ansatz für Kraftwerke zum Erfolgsmodell entwickeln könnte, erstellt das Institut für Vernetzte Energiesysteme parallel eine volkswirtschaftliche Bewertung zu den Umsetzungspotenzialen in Deutschland und analysiert den Beitrag des Hybrid-Ansatzes zur Flexibilisierung (Resilienz) des gesamten nationalen Energiesystems. Darüber hinaus werden für das HyReK-Modell auch ökologische, ökonomische und sozio-technische Analysen vorgenommen, um einen ganzheitlicheren Blick auf das Kraftwerk zu erhalten und Nachhaltigkeitspotenziale frühzeitig identifizieren zu können.
Vielversprechender Transformationsweg zur Umsetzung der Energiewende
Bereits jetzt lassen die Untersuchungen erkennen, dass die Hybrid-Technologie einen vielversprechenden Transformationspfad der Energiewende aufzeigt. „Wir müssen Primärregelleistung, die derzeit noch durch überwiegend fossil betriebene Kraftwerke bereitgestellt wird, perspektivisch durch dekarbonisierte Systeme erbringen. Das ist die Herausforderung“, unterstreicht Diekmann. „Deshalb erforschen wir mit dem HyReK-Projekt bereits heute mögliche Optionen, wie sich konventionelle Kraftwerke im künftigen Energiesystem durch neue Technologien wirtschaftlich ersetzen lassen.“ Neben technischen Aspekten stehen auch zukünftige Geschäftsmodelle für die Marktgestaltung im Fokus der DLR-Wissenschaftler: „Dafür bereiten wir Handlungsempfehlungen vor, die aufzeigen, wie innovative Technologien perspektivisch wirtschaftlich und nachhaltig betrieben werden können.“
Fotos: DLR