Hamburg - (ots) - Eine in der Pandemie entstandene und sich auf sie beziehende Wortschöpfung ist "mütend" - das Zusammenkommen von müde und wütend. Ebenso passend erscheint der Ausdruck "Früdigkeit" - die Mischung von Corona-Frust und -Müdigkeit. Ist es diese vielleicht, die dazu beiträgt, dass immer häufiger die Abstandsgebote in Vergessenheit geraten? Oder liegt es eher an den sich ständig ändernden Regeln und deren Unterschiedlichkeit von Ort zu Ort? Oder spielen dabei die auftauchenden Diskussionen über mögliche Lockerungen bis hin zur endgültigen Aufhebung aller Maßnahmen wie jüngst in Dänemark eine Rolle? Wie auch immer - Fakt ist: Noch wird das Einhalten des Mindestabstands in der Öffentlichkeit in vielen Bundesländer zur Pflicht gemacht, in den anderen zumindest dringendst empfohlen. Ebenso ist es Tatsache, dass gerade durch die erhöhte Ansteckungsgefahr bei der Omikron-Variante viele Menschen auf das Abstandhalten nach wie vor - oder wieder - großen Wert legen.
Sich als Erstes bewusst zu machen, dass es einfach kurzzeitige Unaufmerksamkeit sein kann und nicht zwingend immer absichtlich produziertes, als "Angriff" gemeintes Verhalten ist, wenn Ihnen jemand zu nahekommt, hilft, gelassen zu bleiben. Das wiederum eröffnet die Chance, die Situation möglichst ruhig zu lösen. Letzteres ist deshalb wichtig: Immer öfter und zunehmend konfliktbehaftet sowie gereizter und aufbrausender wird nicht nur bei Demos über "Sinn oder Unsinn" bestimmter Corona-Regeln zur Eindämmung der Pandemie gestritten. Zunehmend mehr Menschen reagieren allergisch, zornig, wütend bis gar aggressiv auf Hinweise darauf, dass sie sich "falsch" verhalten. Was übrigens kein spezielles "Corona-Phänomen", sondern von vielen Menschen ganz allgemein bekannt und aus psychologischer Sicht leicht zu erklären ist.
Deshalb empfiehlt es sich, in jeder einzelnen Situation erst einmal zu überlegen: Wie wichtig ist es für mich überhaupt, die gefühlte Bedrängung zu thematisieren? Und aus welchem Grund will ich das? Wenn dies allein aus dem Wunsch der "Maßregelung" heraus verbalisiert werden soll, wächst die Gefahr einer Eskalation. Außerdem bleibt es auch in Pandemie-Zeiten ein grober Umgangsformen-Patzer, andere in der Öffentlichkeit zu rügen und sie somit bloßzustellen.
Oft kann der Entschluss, wortlos den gewünschten Abstand wiederzuerlangen, die einfachste Lösung sein. Beispiel: Ist es in der Öffentlichkeit, etwa in einem Park, möglich, ohne Selbstgefährdung auszuweichen, erspart das Ergreifen dieser Initiative unter Umständen eine unnötige oder gar unschöne Auseinandersetzung. Schließlich ist die Reaktion von Angesprochenen nie hundertprozentig absehbar.
Das gilt auch etwa in einer Supermarkt-Situation. Es werden zwar hoffentlich große Ausnahmen bleiben, dass es wegen der Äußerung eines Wunsches nach mehr Abstand zu hitzigen Wortgefechten oder gar zu einer Schlägerei kommt. Dennoch kann eine solche Gefahr selbst mit der freundlichsten, äußerst vorsichtig und deeskalierend formulierten Aussage immer nur minimiert, jedoch nie mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden. Gefördert würde ein Eskalations-Risiko mit Sätzen wie: "Gehen Sie gefälligst einen Meter zurück. Merken Sie denn nicht, dass Sie mir zu nahegekommen sind?!", "Können Sie sich denn nicht an die Abstandsregel halten?!" oder, noch schlimmer: "Gehören Sie etwa auch zu diesen Covidioten, die meinen, Abstand zu halten wäre Blödsinn?!"
Abgesehen vom fehlenden Höflichkeitsfaktor, den solche Sätze aufweisen, ist Letzteres durch die Beleidigung so offensichtlich ein verbaler Angriff, dass er leicht vermieden werden kann. Unterschwellig enthalten jedoch auch die beiden anderen Beispiele versteckte Attacken. Formulieren Sie deshalb am besten Ich-Aussagen oder Ich-Botschaften. Beispiele: "Ich bin etwas ängstlich, was das Nicht-Einhalten von Abständen angeht. Deshalb meine Bitte um etwas mehr Abstand zwischen uns." "Ich bitte darum, etwas mehr Abstand zu mir einzuhalten, auch wenn das inzwischen nur noch als Empfehlung gilt." Oder dort, wo es nach wie vor Pflicht ist: "Seien Sie doch, bitte, so nett, den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten. Ich denke, das ist in unser aller Sinne".
Ein Tipp, wie Sie sich beim Einkaufen an der Kasse nonverbal einen
gewissen garantierten Abstand verschaffen können: Nehmen Sie den
Einkaufswagen, etwa mit dem Griff von Ihnen weg, hinter sich. Nach vorne
haben sowieso ausschließlich Sie es in der Hand, wie weit Sie
aufrücken. Und auch, wenn ein Wagen nicht ganz 1,5 Meter lang ist,
verhindert seine derartige Position auf alle Fälle ein sehr enges
Aufrücken der Person hinter Ihnen.
Allgemeiner Deutscher Tanzlehrerverband - ADTV