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Völkerrechtler: Putin kommt nicht vor Gericht

Dass Wladimir Putin wegen des Ukraine-Kriegs auf der Anklagebank landet, ist nach Einschätzung des Völkerrechtsexperten Matthias Hartwig praktisch ausgeschlossen.

Zwar habe Russland ohne Frage einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht begangen, sagte Hartwig der Nachrichtenagentur AFP. Der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg sieht aber zahlreiche Hindernisse für eine Strafverfolgung des russischen Staatschefs.

Derzeit befassen sich verschiedene Gerichte mit dem Krieg. Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag wurde von Kiew angerufen und verhandelt ab Montag. Auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nahm Ermittlungen auf. Am Freitag beschloss der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, eine internationale Kommission einzurichten, die möglichen Menschenrechtsverletzungen nachgehen soll.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) forderte Russland auf, Angriffe auf zivile Ziele zu unterlassen. Und die FDP-Politiker Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kündigten eine Strafanzeige gegen Putin beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe an.

Der Generalbundesanwalt kann aufgrund des Weltrechtsprinzips ermitteln, nach dem bestimmte Verbrechen auch dann in einem Staat strafrechtlich verfolgt werden können, wenn die Tat nicht dort begangen wurde und weder Angeklagte noch Opfer die Staatsangehörigkeit haben. Allerdings gelte in Deutschland für ausländische Staatsoberhäupter Immunität, sagte Hartwig. "Nach jetzigem Stand der Dinge kann Putin von einem deutschen Gericht nicht verurteilt werden."

Die grundsätzlich bindende einstweilige Anordnung des EGMR werde keine Folgen haben, vermutet der Jurist. Russland habe sich schon in anderen Fällen nicht an EGMR-Entscheidungen gehalten.

Der IGH wiederum könne zwar ein bindendes Urteil fällen - allerdings nur gegen einen Staat, nicht gegen einzelne Menschen. Die Ukraine berufe sich vor dem IGH auf die von beiden Staaten ratifizierte Genozid-Konvention, sagte Hartwig. Alle Streitigkeiten aus der Konvention könnten der Jurisdiktion des IGH unterbreitet werden. "Der IGH darf in diesem Fall nur Streitigkeiten entscheiden, die sich aus der Konvention ergeben, also nicht etwa über vorgetragene Verletzungen des Kriegsrechts."

Hartwig geht davon aus, dass der IGH bis zu einem Urteil in der Sache vorläufige Maßnahmen anordnet, welche die beteiligten Staaten zur Aussetzung der Gewaltanwendung verpflichten. Durchsetzen kann Den Haag aber weder eine vorläufige Maßnahme noch ein Urteil. Wenn sich ein Staat nicht daran halte, müsse der UN-Sicherheitsrat die Entscheidung durchsetzen - "und da haben wir das Problem des Vetorechts von Russland".

Selbst wenn der IGH also - wie von der Ukraine beantragt - feststellen sollte, dass Russland Kiew zu Unrecht Völkermord vorwirft, hätte das wohl keine praktischen Folgen.

Beim IStGH sind weder Russland noch die Ukraine Mitglied. Die Ukraine erkannte aber bereits für die Untersuchung der Niederschlagung der Maidan-Proteste und der Besetzung der Krim durch Russland 2014 und 2015 auf unbegrenzte Dauer die Jurisdiktion des Gerichtshofs für Vorgänge auf ihrem Territorium an. "Das ist der Bezugspunkt für die Ermittlungen des Generalanwalts", sagte Hartwig. Dieser könne also wegen möglicher Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermitteln. 

Wegen Verstoßes gegen das Aggressionsverbot - also wegen eines Angriffskriegs - könne dagegen nur ermittelt werden, wenn die beteiligten Staaten die entsprechende Ergänzung zum Römischen Statut des IStGH ratifiziert hätten, sagte Hartwig. Das hätten weder die Ukraine noch Russland getan.

Hartwig machte außerdem auf ein weiteres Hindernis aufmerksam: Rechtlich könne es zum Problem werden, wenn - wie in der Ukraine - Zivilisten kämpften. "Eins der Grundprinzipien des Kriegsvölkerrechts ist der Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten."

Wenn also der Chefankläger des IStGH Putin beispielsweise vorwerfe, völkerrechtswidrig Angriffe auf Zivilisten befohlen zu haben, könne der russische Staatschef sich möglicherweise darauf berufen, dass die Zivilisten im Krieg selbst bewaffnete Handlungen gegen die russischen Streitkräfte unternommen hätten, was dann - je nach Umständen - einer Verurteilung entgegenstünde.

smb/cfm