Selenskyj sagte in seinem Video aus der Nacht zum Freitag, dass Russland Evakuierungsaktionen in Mariupol und Wolnowacha im Südosten verhindert habe. Er bezichtigte das russische Militär des Angriffs auf einen Fluchtkorridor aus der belagerten Hafenstadt Mariupol.
"Die russischen Truppen stellten das Feuer nicht ein. Trotzdem habe ich beschlossen, einen Fahrzeugkonvoi nach Mariupol zu schicken, mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten", sagte Selenskyj in dem Video. "Aber die Besatzer haben einen Panzerangriff genau dort gestartet, wo dieser Korridor verlaufen sollte." Er bezeichnete den Angriff als einen Akt "unverschämten Terrors von erfahrenen Terroristen".
Die Menschen in der strategisch wichtigen Stadt am Asowschen Meer sind bereits seit zehn Tagen eingeschlossen. Der Bürgermeister von Mariupol, Wadym Boitschenko, erklärte in einem Video, russische Kampfflugzeuge hätten am Donnerstag "alle 30 Minuten" Wohngebiete in der Stadt angegriffen und "Zivilisten, ältere Menschen, Frauen und Kinder getötet".
Hilfsorganisationen berichten von einer dramatischen Lage der rund 300.000 Zivilisten, die dort ohne Wasser oder Strom ausharren. Bereits in den vergangenen Tagen waren lokale Waffenruhen für Evakuierungen aus Mariupol gescheitert. Moskau und Kiew wiesen sich dafür gegenseitig die Schuld zu.
Unterdessen gingen die Kämpfe in der Nacht zum Freitag weiter. Das ukrainische Militär warnte in einer Erklärung, dass "der Feind versucht, die Verteidigungsanlagen der ukrainischen Streitkräfte in den Regionen westlich und nordwestlich der Hauptstadt auszuschalten, um Kiew zu blockieren". Eine "Bewegung des Feindes nach Osten in Richtung Browary" könne "nicht ausgeschlossen" werden.
Nach Angaben des ukrainischen Militärs dauerten auch die Kämpfe um die Kontrolle der Städte Tschernihiw und Charkiw im Nordosten sowie um Sewerodonezk im Südosten an.
Das britische Verteidigungsministerium teilte in einem Geheimdienstbericht mit, dass "die russischen Streitkräfte eine größere Anzahl ihrer Streitkräfte einsetzen, um wichtige Städte einzukreisen". In der auf Twitter verbreiteten Mitteilung hieß es weiter: "Dies wird die Zahl der verfügbaren Kräfte reduzieren, um den Vormarsch fortzusetzen, und den russischen Vormarsch weiter verlangsamen."
Die russische Regierung hatte indessen angekündigt, Zivilisten einseitig die Ausreise nach Russland ermöglichen. "Wir geben offiziell bekannt, dass humanitäre Korridore für die Russische Föderation von nun an einseitig, ohne Koordination, jeden Tag ab 10:00 Uhr morgens (08.00 Uhr MEZ) geöffnet werden", erklärte das Moskauer Verteidigungsministerium am Donnerstag. Über Fluchtrouten "in andere Richtungen" werde von Fall zu Fall mit der ukrainischen Seite verhandelt.
Nach russischen Angaben sind bislang "mehr als 187.000 Menschen" aus der Ukraine nach Russland in Sicherheit gebracht worden. Von unabhängiger Seite war diese Angabe nicht zu überprüfen.
Die UNO schätzt, dass mittlerweile mehr als 2,3 Millionen Flüchtlinge wegen des russischen Angriffskriegs die Ukraine verlassen haben. Dazu kommen 1,9 Millionen Binnenflüchtlinge, die sich vor den russischen Angriffen in andere Landesteile in Sicherheit gebracht hatten.
fml/lan/ck
© Agence France-Presse