Deutschland lebt im Wohlstand – und doch wird immer weniger investiert, die Bundesrepublik rutscht auf dem World Competitive Index ab. Die Energiewende ist beschlossen – und doch hat man nur einen Bruchteil der nötigen Stromleitungen bisher genehmigt, geschweige denn gebaut. Die Menschen leben immer länger – und doch klafft schon jetzt ein großes Loch im Rentensystem, der Staat muss es jährlich mit 100 Milliarden Euro stopfen.
Mit solchen Fakten konfrontierte Hans-Peter Kosmider am Dienstag auf einer Veranstaltung des „Politischen Forums Mehr Mut zur Tat“ sein Publikum. Mehrere lokale Politiker waren an diesem Abend zur Diskussion geladen: Jörg Berens von der FDP Münster, der Sozialdemokrat Robert von Olberg und der CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Stefan Nacke.
Nacke war für seine Parteikollegin Sybille Benning (MdB) eingesprungen. Maria Klein-Schmeink, die für die Grünen im Bundestag sitzt, war ebenfalls eingeladen, musste aber wegen anderweitiger Verpflichtungen absagen.
Gleich zu Anfang stellte Kosmider klar, dass man die eingeladenen Politiker nicht auf die Anklagebank setzen wolle. Vielmehr stand folgende Frage im Mittelpunkt: Die Probleme sind uns hinreichend bekannt, doch was können Regierung und Bürger tun, um sie effektiv anzupacken? Kosmider drückte das mit Roman Herzogs Worten aus: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“
Visionen formulieren, aber nicht das Blaue vom Himmel versprechen
In ihren Eröffnungsplädoyers wurden alle drei Podiumsgäste sehr grundsätzlich. Politik ziele darauf ab, verbindliche Kompromisse zu finden, so Nacke. Das sei früher leichter gewesen. Lange Zeit hätten zwei große Volksparteien die verschiedenen Strömungen innerhalb der Gesellschaft gebündelt.
Nicht so im 21. Jahrhundert. Nacke verwies auf den modernen Individualismus, auf die zahlreichen sozialen Netzwerke. Es fehle die gemeinsame Plattform. Der CDU-Mann mahnte daher, Politiker dürften sich nicht im Dickicht der Teilprobleme verlieren. Man müsse wieder den breiten Horizont in den Blick nehmen, wieder Visionen entwerfen.
Diesen Gedanken griff von Olberg auf. Er ärgere sich, dass Helmut Schmidt den Visionären einen Besuch beim Arzt empfohlen habe. Beim Thema handlungsfähige Regierung wies Münsters SPD-Vorsitzender auf Erfolge wie das Klimaschutzgesetz hin. Natürlich müssten sich die Räder der Politik heutzutage schneller drehen. Doch es sollten keine unrealistischen Erwartungen geweckt werden.
Jörg Berens hob hervor, dass Demokratie eben Zeit brauche. Das erfordere einiges an Ruhe und Gelassenheit, manchmal verlange es den Menschen auch Nerven ab.
Die Gesellschaft, so gab der Chef der Münsterischen FDP zu bedenken, wandele sich. Die Welt werde immer komplexer. Wer zu vernünftigen Antworten kommen will, müsse sich die nötige Zeit nehmen und eine gute Portion Kompromissbereitschaft an den Tag legen.
Zum Klimaschutz muss jeder Einzelne beitragen
Bei Energie- und Klimafragen gingen die Meinungen der Politiker auseinander. Wortbeiträge aus dem Publikum verrieten Unmut über die Energiewende. Berens pflichtete bei: Es sei unsinnig, sichere Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, aber Strom aus unsicheren AKWs im Ausland einzukaufen.
Von Olberg hielt dagegen. Es gebe keine sicheren Atomkraftwerke. Schließlich sei die Frage nach dem Atommüll nicht gelöst. Der Sozialdemokrat warnte davor, den Klimaschutz wegen wirtschaftlicher Interessen zu vernachlässigen. Immerhin stelle die Umwelt unsere Lebensgrundlage dar.
Über die Verantwortung des Einzelnen war man sich weitgehend einig. Unser jetziger Lebensstil könne nicht endlos fortgeführt werden. Jeder Bürger müsse umdenken und sein Verhalten ändern, auch wenn es unbequem wird.
Gleichzeitig, so forderte von Olberg, solle die Politik es den Menschen ermöglichen, klimaschonend zu leben. Und sie habe gegen die enormen CO2-Ausstöße in Industrie und Verkehr vorzugehen.
Demokratie braucht engagierte Bürger
Auch das Thema Bürgerbeteiligung kam zur Sprache. Nacke lobte das vor Kurzem ausgerichtete Bürgerforum zum Musik-Campus. Mit Veranstaltungen wie dieser beziehe der Stadtrat die Wählerschaft mit ein, die politische Willensbildung werde gefördert.
Laut Berens und von Olberg wisse man aber, dass die Einwände der Bürger nicht immer ernst genommen würden. Sie äußerten Verständnis dafür, wenn in solchen Fällen Frust aufkommt. Entscheidungen dürften nicht schon im Vorhinein hinter geschlossenen Türen fallen.
Zuletzt wurden weitere Wege genannt, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Man könne Bürgerbegehren stellen oder sich direkt an zuständige Abgeordnete wenden. Außerdem bliebe noch der klassische Weg: Einer Partei beizutreten und dadurch aktiv Politik zu gestalten. Demokratie lebe eben vom Engagement.
Titelfoto © Politisches Forum Mehr Mut zur Tat (v.l.n.r.: Hans-Peter Kosmider, Karl-Heinrich Sümmermann, Jörg Berens (FDP), Robert von Olberg (SPD), Stefan Nacke (CDU))