In der organischen Synthesechemie sind sogenannte Cycloadditionen eine besonders bedeutende Reaktionsklasse. Mit diesem Reaktionstyp werden ringförmige Molekülverbindungen einfach und effizient dadurch aufgebaut, dass zwei Verbindungen, die jeweils Doppelbindungen enthalten, zusammengefügt („addiert“) werden. Einem Team um Prof. Dr. Frank Glorius von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster ist es nun gelungen, eine unkonventionelle Photocycloaddition durchzuführen, bei der eine Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung mit einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Einfachbindung reagiert. Bei Doppelbindungen sind Atome durch zwei Elektronenpaare verbunden, bei Einfachbindungen ist nur ein Elektronenpaar beteiligt. Der Schlüssel zum Erfolg war die Verwendung besonders „gespannter“ Einfachbindungen. Um zudem milde Reaktionsbedingungen gewährleisten zu können, nahmen die Chemiker einen Photosensibilisator zu Hilfe, also einen Katalysator, der die Reaktion mit Lichtenergie antreibt. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.
„Neben der konzeptionellen und mechanistischen Relevanz hat diese Methode auch einen synthetischen Nutzen“, unterstreicht Erstautor Roman Kleinmans. „Denn wir können auf diese Weise polycyclische dreidimensionale Kohlenstoffgerüste aufbauen, die bislang nur schwer oder überhaupt nicht zugänglich waren. Solche dreidimensionalen Architekturen sind faszinierend und spielen in der Medizinalchemie eine zunehmend wichtige Rolle und sind daher von besonders großem Interesse.“
Die Chemie im Detail
Seit über einem Jahrhundert werden sogenannte [2+2]-Photocycloadditionen untersucht und weiterentwickelt. Dabei hat sich die Forschung konkret auf [2π+2π]-Systeme konzentriert, bei denen beispielsweise zwei Doppelbindungen unter Ausbildung zweier neuer Einfachbindungen zu einem viergliedrigen Ringprodukt reagieren. Dem münsterschen Team gelang nun ein Durchbruch, indem sie diese Art der Reaktion nun auch mit Einfachbindungen realisieren konnten („2π+2σ“).
Um die Reaktion zu ermöglichen, setzte das Team eine Verbindungsklasse mit „gespannter“ Einfachbindung ein: sogenannte Bicyclo[1.1.0]butane (BCBs). Diese Kohlenstoffverbindungen haben eine schmetterlingsartige Form mit zwei verknüpften Dreiecken an der Einfachbindung, die wie Flügel aussehen. Die inneren Flügelwinkel (je 60 Grad) weichen stark von den idealen, spannungsfreien Winkeln (je 109 Grad) ab. Durch das Öffnen der zentralen gespannten Einfachbindung wird Spannungsenergie frei – die Reaktion wird dadurch thermodynamisch begünstigt. Mit dieser Strategie gelang es den Forschern auch, ein Stickstoffatom in das Kohlenstoffgerüst des Produkts einzubauen.
Ferner erlaubt die von sichtbarem Licht angetriebene
„Triplett-Triplett-Energietransferkatalyse“ eine möglichst milde
Reaktionsdurchführung, sodass die Forscher eine sonst übliche Bestrahlung der
Reaktion mit harschem UV-Licht vermeiden konnten. Bei dieser Art der Katalyse
nimmt der Katalysator Energie des eingestrahlten Lichts auf und kann diese auf
ein geeignetes Substrat übertragen. Der Katalysator gelangt zurück in den
Grundzustand (er wird regeneriert), und das entsprechende Molekül befindet sich
in einem energetisch angeregten Zustand (Triplett-Zustand). Das angeregte
Molekül ist dann in der Lage, mit der Einfachbindung zu reagieren. „Wir haben
dafür einen einfachen organischen Photosensibilisator verwendet, nämlich
Thioxanthon, und konnten auf meist teure und begrenzt verfügbare
Übergangsmetall-basierte Katalysatoren verzichten“, betont Frank Glorius. Den
molekularen Mechanismus hinter der Reaktion berechneten die Chemiker per
Dichtefunktionaltheorie. Dieses Verfahren wird zur Berechnung grundlegender
Eigenschaften von Molekülen eingesetzt.
Förderung
Der Fonds der Chemischen Industrie, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das koreanische Institute for Basic Sciene haben die Arbeiten finanziell unterstützt.
WWU
Foto: Prof. Dr. Frank Glorius (links) mit Subhabrata Dutta, Tiffany O. Paulisch, Roman Kleinmans und Tobias Pinkert (v. l.) aus dem „Team Glorius“./ © WWU - Peter Dziemba