Bulletin 38-1
"Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren,
guten Morgen! Lieber Herr Merz, Sie haben gestern Ihre Rede mit der Feststellung begonnen, es werde von Zeitenwende gesprochen, aber man würde sie nicht sehen. Nun, ich möchte für die Bundesregierung, aber auch für mein Ministerium sagen: Man muss blind sein, wenn man sie nicht sieht.
Wir befreien uns in einer großen Geschwindigkeit von der Abhängigkeit von russischen fossilen Energien, und zwar nicht nur von den fossilen Energien, sondern wir kämpfen auch gegen eine Infrastruktur, die die Abhängigkeit noch vergrößert hat. Gazprom besitzt den größten Speicher in Deutschland. Dieser wurde über den letzten Sommer geleert, was als Vorbereitung diente, um uns in diesem Winter zu gängeln. Rosneft besitzt eine große Ölraffinerie in Ostdeutschland. Nord Stream 2 wurde gebaut. Wir haben all das korrigiert oder sind dabei, es zu korrigieren. Wenn man das nicht als Zeitenwende, als politische sowohl von der Qualität wie der Quantität, erkennt, dann will man das nicht erkennen.
Wenn man sich davon unabhängig machen will, muss man – noch – für Alternativen sorgen. Das heißt, wir bauen LNG-Terminals und kaufen die Rohstoffe ein, die wir brauchen, um diese LNG-Terminals zu betreiben. Der qualitative Unterschied besteht dabei nicht im Herkunftsland, der qualitative Unterschied ist, dass wir uns nie wieder in die Hand von einem Lieferanten alleine begeben wollen. Das, was wir machen, ist, die Energieversorgung in Deutschland breiter aufzustellen und sicherer zu machen. Der Weg über die Gasbrücke wird immer kürzer werden, je höher die Preise sind.
Wir bauen die Wasserstoffinfrastruktur auf. Wir sorgen dafür, dass der Hochlauf bei der Wasserstoffwirtschaft stattfindet. Dafür bauen wir die erneuerbaren Energien nach Jahren des Stillstandes mit großer Dringlichkeit aus; das Gleiche gilt für die Netze. Und wir sorgen für Effizienz und Einsparung. Ich verstehe, warum man darüber so wenig redet; denn das, was man einspart, das sieht man ja nicht. Aber es macht keinen Sinn, gegen die hohen Preise anzusubventionieren, wenn wir nicht den Verbrauch reduzieren, wenn wir nicht die Effizienz nach vorne bringen. Den Abschied von den fossilen Energien auch durch die Reduzierung des Verbrauchs mit Leibeskräften voranzubringen, das ist das Gebot der Stunde.
Wo ich Rolf Mützenich und Britta Haßelmann sehe, möchte ich noch sagen: Wir hatten eine interessante Nacht im Koalitionsausschuss, die zu einem guten Ergebnis geführt hat. Das Ergebnis ist gerade im Bereich der Effizienz vorzeigbar, ja, ich würde sagen, es wird sogar Ausrufezeichen setzen, wenn die Parteivorsitzenden nachher das Ergebnis des Koalitionsausschusses vorstellen. So geht eine Zeitenwende! So wird eine Zeitenwende gemacht! So lösen wir uns aus dem Klammergriff, der in den letzten Jahren entweder durch Unwissenheit oder durch strategische Blindheit immer enger um Deutschland gezogen wurde.
Ja, wir sind noch nicht in der Lage, ein sofortiges Embargo auf Kohle, auf Öl oder auf Gas aus Russland zu verhängen. Das muss man zugeben, und es ist bitter genug, es zugeben zu müssen. Aber dass wir das noch nicht können, heißt nicht, dass wir nichts tun. Schritt für Schritt sind wir jetzt schon dabei, die Abhängigkeit von Öl und von Kohle und von Gas strategisch zu reduzieren. Die Zahlen, die ich am Anfang des Krieges genannt habe, sie stimmen jetzt schon nicht mehr. Die Bundesregierung und die Unternehmen – dafür bedanke ich mich bei den Unternehmen, die mitziehen – sind jetzt schon dabei, ein schrittweises Embargo umzusetzen.
Natürlich verstehe ich die Dringlichkeit, mit der Leute sagen: Macht doch schneller! – Vielleicht wäre ein Embargo, das jetzt sofort auf alle drei Rohstoffe verhängt würde, der Gamechanger. Vielleicht wäre der Krieg in der Ukraine dann nach drei, vier Tagen zu Ende – vielleicht aber auch nicht. Die Indizien sprechen, wenn man sich die russischen Aggressionen in den anderen Ländern anschaut, die zuvor betroffen waren, eher dagegen. Syrien, Georgien, der Angriff auf die Krim und die Sanktionen nach der Annexion der Krim – das alles ist Jahre her, teilweise über ein Jahrzehnt her. Wir können also nicht sicher davon ausgehen, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen könnten, zu einem sofortigen Ergebnis führen. Deswegen ist die Politik der Bundesregierung, nicht unbedacht zu handeln, sondern Schritt für Schritt die Voraussetzungen zu schaffen und uns außenpolitisch und sicherheitspolitisch Freiraum zu erkämpfen, um dann die Maßnahmen, die wir ergreifen, auch durchzuhalten. Das ist das Gebot der Stunde: eine kluge, umsichtige, aber energische Politik.
Vieles von dem, was wir machen, unterstützen wir mit finanziellen Aufwendungen, und zwar – wenn ich auf den Haushalt meines Ministeriums schaue – mit erheblichen Aufwendungen. Aber wir sind auch dabei, die Überförderung der Vergangenheit zurückzufahren. Ich habe schon, als wir über die Förderung der Gebäudesanierung gestritten haben, gesagt, Subventionen sind die Ultima Ratio in einer Marktwirtschaft: Sie sind notwendig, wenn es die Märkte noch nicht gibt, aber da, wo die Märkte schon funktionieren, da kann man sie auch zurücknehmen. Und ich muss feststellen, dass wir nach 16 Jahren unionsgeführter Regierung eine Übersubventionierung in vielen Bereichen haben. Teilweise glaubt man wohl, die Leute in Deutschland würden sich nur noch bewegen, wenn man ihnen einen finanziellen Klaps auf den Hintern gibt. Komisch, dass wir Ihnen erklären müssen, wie Marktwirtschaft funktioniert!
Es geht jetzt in dieser Situation von hoher Inflation und schwächelnder Konjunktur durch die Krise darum, die Kräfte des Marktes zu entfalten, und zwar nicht blind zu entfalten, sondern ihnen eine Richtung zu geben, sodass Verringerung des Rohstoffverbrauchs, Klimaschutz und Unabhängigkeit mit Wachstum und Wohlstand in diesem Land kombiniert werden. Das tun wir mit den großen Geldern, die meinem Haus zur Verfügung gestellt werden: mit 200 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds und dem Grundhaushalt, der ungefähr elf Milliarden Euro beträgt.
Wir investieren in Wasserstoff. Wir investieren in Innovationen. Wir investieren in Cloud-Technologie. Wir investieren in die Effizienz von Antrieben und von Gebäuden. So schaffen wir die neuen Märkte. So schaffen wir Innovation in Deutschland, und so schaffen wir Wettbewerb um Innovation statt darum, wer am längsten im Status quo verharrt.
Genau heute vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil gefällt. Es lässt sich zusammenfassen mit dem Satz: Wer das Klima schützt, und es ging wie ein Beben durch die politische Landschaft. Heute, ein Jahr nach diesem Urteil, muss man übersetzen: Wer darum kämpft, sich von den fossilen Energien freizumachen, der kämpft für die Freiheit. Das bedeutet Zeitenwende. Machen wir uns frei von den fossilen Energien! Erst aus Russland, dann insgesamt! So kämpfen wir für die Freiheit. So kämpfen wir für die Ukraine. Für die Ukraine! Für die Freiheit!
Danke schön."
Die Bundesregierung
Foto: Grüne / Urban Zintel