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Dr. Karl Lauterbach zum Haushaltsgesetz

Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Karl Lauterbach, zum Haushaltsgesetz 2022 vor dem Deutschen Bundestag am 24. März 2022 in Berlin:

Bulletin 38-2

"Frau Präsidentin!

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Die Pandemie ist leider nicht vorbei; das zeigt auch ein Blick in diesen Haushaltsentwurf. Wer noch immer glaubt, die Pandemie würde jetzt schnell enden, der sieht: Es ist leider nicht so weit. Wir haben das auch in dem Einzelplan 15 berücksichtigen müssen.

Der Einzelplan 15 war ursprünglich fast nur halb so groß, wie er jetzt ist, und wir überschreiten für das jetzt laufende Jahr sogar das Budget des Einzelplans des letzten Jahres. Das heißt, die Kosten sind deutlich gestiegen; wir geben deutlich mehr Geld aus. Die Fragen sind: Lohnt sich das? Wofür wird das Geld ausgegeben? Diese Fragen müssen beantwortet werden, und sie können beantwortet werden.

Wenn wir darauf zurückblicken, was Deutschland bisher geleistet hat, wie viel wir ausgegeben haben, dann sehen wir, dass auf der Habenseite steht, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern, die eine ähnliche Altersstruktur wie Deutschland haben, die aber zum Teil weniger ältere Ungeimpfte haben, eine verhältnismäßig niedrige Sterblichkeit haben. Deutschland ist es also gelungen, bei der Sterblichkeit einen Erfolg zu verbuchen, auf den wir auch stolz sein können. Das muss im Rahmen einer solchen Debatte auch gesagt werden. Denn wir müssen ja fragen: Wofür machen wir das Ganze? Wir haben das gemeinsam geschafft.

Es sind nicht nur die Ausgaben gewesen; es sind auch die vielen Menschen gewesen, die sich an die Regeln gehalten haben, die Kinder, die sich die Masken aufgesetzt haben, die Erwachsenen, die nicht die Restaurants, die Klubs besucht haben. Diejenigen, die sich an die Regeln gehalten haben, haben den allerhöchsten Teil der Kosten getragen; das sind die immateriellen Kosten. Ihnen möchte ich zu Beginn dieser Rede meinen ausdrücklichen Dank aussprechen.

Wir müssen aber weitermachen; wir müssen uns konzentrieren. 200 bis 300 Tote pro Tag, 300.000 neue Fälle – das ist keine Situation, die wir akzeptieren können. Das ist eine Lage, die so nicht bleiben kann. Wir müssen im Kampf gegen Corona weitermachen. Es gibt keinen Freedom Day; es gibt keinen Grund, hier nachzulassen. Wir müssen zusammenstehen, und wir müssen durch diese schwere Welle der Pandemie noch durchkommen.

Daher appelliere ich übrigens auch an dieser Stelle an die Länder: Wir haben hier ein Gesetz gemacht, das Infektionsschutzgesetz. Der eine oder andere hätte sich ein Gesetz gewünscht, in dem der Bund Regeln für ganz Deutschland macht. Das ging aber nicht, weil wir nicht in ganz Deutschland eine Überlastung des Gesundheitssystems haben. Das wäre dafür die Voraussetzung gewesen.

Ich appelliere an die Länder: Bitte nutzen Sie das Infektionsschutzgesetz, das wir jetzt gemacht haben! Nutzen Sie dieses Infektionsschutzgesetz! Es ist richtig: Wir haben nicht deutschlandweit eine Überlastung des Gesundheitssystems; daher waren flächendeckende Regeln nicht mehr möglich. Aber es gibt zahlreiche Regionen, wo zum Beispiel die Krankenhäuser überlastet sind, wo die Pflegeuntergrenzen unterschritten sind, wo die Notfallversorgung abgemeldet werden muss, wo verlegt werden muss, weil nicht genug Betten da sind, wo wir planbare Eingriffe absagen müssen. All diese Gegenden sind überlastet, und dort kann und soll das Infektionsschutzgesetz eingesetzt werden. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass das in Mecklenburg-Vorpommern, aber nicht nur dort, versucht wird.

Wir müssen jetzt zusammenhalten. Wir dürfen nicht betonen, dass die Regeln, die wir gerne hätten, die aber rechtlich nicht gehen, nicht da sind; sondern wir müssen die Regeln, die wir gemeinsam gemacht haben, einsetzen zum Schutz all derer, die sie brauchen, die auf uns angewiesen sind.

Die Kosten, die wir derzeit tragen, sind Kosten für Impfstoffe, die wir besorgen, Kosten für Impfzentren, Bürgertestungen, Arzneimittel und Ausgleichszahlungen sowie für den Schutz von Versorgungsstrukturen. Das gesamte Geld wird sinnvoll eingesetzt; das muss hier auch gesagt werden.

Wir verschwenden nichts; wir verhandeln hart. Aber das ist das Geld, das das Gesundheitssystem braucht, und das ist insbesondere auch das Geld, das die Krankenhäuser brauchen; denn die Krankenhäuser tragen den schwersten Teil der Last der Versorgung dieser Patienten seit mehr als zwei Jahren. Ihnen gebührt mein besonderer Dank, insbesondere den Pflegekräften, aber auch den Ärzten und – was man viel zu wenig hört – auch den vielen Menschen, die in diesen Krankenhäusern arbeiten und den Betrieb am Laufen halten. Das sind diejenigen, denen wir hier danken. Das sind diejenigen, für die wir die Mittel zur Verfügung stellen.

Auch die gesetzliche Krankenversicherung hat natürlich wegen der wirtschaftlichen Entwicklung massive Einnahmenrückgänge gehabt. Wir füttern hier bei; wir unterstützen sie mit 14 Milliarden Euro, sodass die gesetzliche Krankenversicherung weiter auch für all diejenigen funktionieren kann, die erkranken und die Hilfe brauchen, aber von Covid nicht betroffen sind.

Wir haben darüber hinaus zwei Formen von Kosten, die viel zu selten erwähnt werden, die aber in einer Haushaltsrede auch erwähnt werden müssen, weil sie da sind, weil es hohe Kosten sind.

Das sind zum einen die Kosten, die diejenigen tragen, die an Long Covid erkrankt sind. Diejenigen, die an Long Covid erkranken, verlieren nicht nur ihre Produktivität für die Wirtschaft; sondern auch ihre Lebensqualität verändert sich oft von heute auf morgen und, soweit wir das jetzt wissen, auf unbestimmte Zeit. Long Covid wird zu den wichtigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland gehören, und zwar insbesondere auch bei denjenigen der mittleren Lebensphase. Das können wir nicht akzeptieren. Schon alleine deshalb müssen wir gegen die hohe Inzidenz ankämpfen.

Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen: Es ist die Impfung, die auch vor Long Covid am sichersten schützt. Wir haben jetzt – Gott sei Dank! – klare Hinweise darauf, dass das Long-Covid-Risiko, wenn man sich infiziert, aber geimpft ist, deutlich reduziert ist, und das ist etwas, was wir hier sagen müssen, woran wir appellieren müssen.

Die zweite Ebene der Kosten, die hier erwähnt werden muss, die auch immer wieder zu kurz kommt, betrifft diejenigen, die die geistigen, die seelischen Kosten tragen. Das betrifft diejenigen, deren Hochzeit abgesagt wurde, deren Feier abgesagt wurde, deren Geburtstag nicht gefeiert werden konnte, auch nicht, wenn es der letzte Geburtstag gewesen ist. Menschen haben ihren letzten Geburtstag nicht mehr feiern können. Bildungschancen sind verloren gegangen. Auch den Kindern, die Opfer gebracht haben, die ihre Freunde nicht besuchen konnten, und den älteren Menschen, die in den letzten Lebensjahren ihre Angehörigen nicht mehr sehen konnten, schulden wir, dass wir diese Pandemie beenden. Und es gibt einen Weg, diese Pandemie zu beenden. Gehen Sie diesen Weg mit mir!

Der Weg aus der Pandemie heraus – das betone ich jedes Mal – ist die allgemeine Impfpflicht. Denn mit der Impflücke, die wir jetzt haben, werden wir im Herbst die gleiche Debatte führen, die wir jetzt führen. Wir werden hier erneut die Debatte darüber führen: Reicht das Infektionsschutzgesetz aus? Was müssen wir schließen? Müssen die Kinder Masken tragen? Die gesamte Debatte, sie kommt erneut. Der einzige zuverlässige Weg aus der Pandemie heraus ist die allgemeine Impfpflicht. Es ist auch der Weg, den der größte Teil der Bevölkerung will. Ich glaube, es ist auch der Weg, den der größte Teil des Bundestages will. Somit: Nehmen wir uns doch die Kraft, und beenden wir die Pandemie in diesem Jahr! Wir haben es in der Hand. Wir können in diesem Jahr die Pandemie beenden, und wir sollten diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.

Wir wollen nicht, dass es immer so weitergeht. Wir haben die Impfstoffe. Wir wissen, welche Varianten im Herbst mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Wir dürfen nicht warten. Hier appelliere ich ausdrücklich auch an die Union. Ich weiß, dass es in der Union viele gibt, Herr Frei – bei Ihnen, nicht rechts von Ihnen –, die im Prinzip die allgemeine Impfpflicht richtig finden und mitgehen wollen. Ich appelliere einfach an Sie: Wir dürfen das nicht verschieben. Ihr Vorschlag ist – unbenommen – nicht in jedem Punkt falsch. Aber wenn wir zu spät beginnen mit der Impfpflicht, dann werden wir sie erst für das nächste Frühjahr durchgezogen haben. Das kommt dann zu spät. Bedenken Sie auch die hohen wirtschaftlichen Kosten. Denken Sie an die Enttäuschung, die zu erwarten wäre, wenn wir das nicht schaffen.

Ich weiß, dass wir hier miteinander verhandeln müssen, aber ich appelliere an alle hier, die vernünftig sind: Das können wir gemeinsam bewältigen. Die Impfpflicht ist das, was wir brauchen; sonst drehen wir uns im Kreise herum und beenden die Pandemie in diesem Jahr nicht. Das wäre eine verlorene Gelegenheit, eine Gelegenheit, die wir nicht wiederbekommen werden.

Ich möchte mich noch einmal direkt an die Ungeimpften wenden: Nutzen Sie wenigstens eine Impfung in diesen Tagen; denn mit einer Impfung reduzieren Sie schon sieben Tage nach der Impfung deutlich Ihr Risiko, intensivmedizinisch versorgt zu werden oder sogar zu sterben. Noch nie war das Risiko für die Ungeimpften so hoch, sich zu infizieren und schwer zu erkranken. Ein großer Teil der 300 Menschen, die jetzt pro Tag versterben, sind Ungeimpfte. Daher appelliere ich an die Ungeimpften: Tun Sie sich selbst den größten Gefallen, den Sie sich tun können! Nichts ist schlimmer, als in den letzten Tagen, bevor der Sommer kommt und wir eine Pause bekommen, noch schwer zu erkranken oder gar zu versterben. Nutzen Sie die Gelegenheit, die wir Ihnen bieten!

Ich danke Ihnen." 


Die Bundesregierung 

Foto: Karl Lauterbach/ SPD Fraktion/ Susi Knoll