Bulletin 38-5
"Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Ukraine verteidigen gegenwärtig Landwirtinnen und Landwirte ihr Land und versuchen gleichzeitig, unter Einsatz ihres Lebens dennoch irgendwie die Felder zu bestellen. Wenn mein ukrainischer Amtskollege Roman Leshchenko neulich beim G7-Treffen, vor Sandsäcken sitzend, berichtet, dass er seinen Aufenthaltsort jeden Tag aus Sicherheitsgründen wechseln muss, führt einem dies vor Augen, worum es gerade eigentlich geht. Deshalb tun wir alles in unserer Macht Stehende – auch mein Haus tut das –, um den Menschen in der Ukraine in dieser schwierigen Zeit beizustehen.
Lassen Sie mich das von hier aus sagen: Die Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung ist wirklich beeindruckend. Auch die Unternehmen, für die wir eine Koordinierungsstelle in meinem Ministerium eingerichtet haben, leisten wirklich Tolles in Sachen Lebensmittelhilfen. Über 3.000 Tonnen Hilfsgüter haben wir bislang über die Grenze in die Ukraine gebracht. Deshalb möchte ich mich an der Stelle – ich nehme an, im Namen von allen – sehr bedanken für den unermüdlichen Einsatz der vielen Engagierten, der Unternehmen, aber auch meines eigenen Hauses.
Aber machen wir uns nichts vor: Die Auswirkungen des Krieges gehen weit über die Ukraine hinaus. Fast 50 Länder beziehen laut UN-Welternährungsorganisation ihr Getreide aus der Ukraine oder aus Russland, um ihre Versorgung zu sichern. Deshalb haben wir im Rahmen der deutschen Präsidentschaft der G7 sofort mit den Agrarministerinnen und Agrarministern gemeinsam ein Signal gesetzt, nämlich, dass es jetzt ganz entscheidend darauf ankommt, dass die Märkte offenbleiben und der globale Handel nicht zusammenbrechen darf; denn Marktunsicherheiten führen zu zusätzlichen Preissteigerungen. Das ist das Gegenteil dessen, was wir jetzt gerade brauchen.
Darum ist es jetzt elementar, dass wir auch das World Food Programme der Vereinten Nationen besser unterstützen. Die Welt kann sich auf Deutschland verlassen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass das World Food Programme entsprechend ausgestattet wird.
Ich sage aber auch ganz klar: Es muss auch darum gehen, nachhaltige Landwirtschaft auf der einen und Ernährungssicherheit auf der anderen Seite in den Ländern vor Ort zu stärken. Das ist doch der Kern des Rechts auf Nahrung. Das unterstützen wir mit vielen internationalen Programmen.
Für unser Land, für die Bundesrepublik Deutschland, können wir sagen: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicher. Ich sage aber auch – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Wir können die Folgen des Krieges nicht ungeschehen machen. Wie sollten wir das machen, mit welchen Maßnahmen?
Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Bundesregierung jetzt über weitere Maßnahmen versucht, unsere Bevölkerung angesichts der rapide steigenden Preise zu entlasten. Ich möchte aber auch die Gelegenheit nutzen, die Bevölkerung zu bitten, uns zu helfen: beim Einkauf verantwortungsvoll und vernünftig vorzugehen, gerade in diesen Zeiten Solidarität zu zeigen. Auch das ist ein Beitrag in der jetzigen Zeit.
Natürlich hat dieser Krieg auch Auswirkungen auf unser Land. Wir haben gemerkt: Wir sind verletzlich bei Krisen. Das spüren gerade in ganz besonderer Weise unsere Landwirtinnen und Landwirte: bei steigenden Kosten etwa für Mineraldünger oder für Energie, was uns große Sorgen bereitet. Deshalb haben wir ein erstes Maßnahmenpaket aktiv und vor allem schnell auf den Weg gebracht. Wir wollen für 2022 als Ausnahmeregelung den Aufwuchs auf ökologischen Vorrangflächen der Kategorien „Brache“ und „Zwischenfrüchte“ für Futtermittel freigeben.
Zudem werden wir über diesen Haushalt an Stellschrauben drehen, die uns auf dem Weg zu einer weniger krisenanfälligen Landwirtschaft voranbringen. Wir werden die bestehenden Programme zur Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in der Landwirtschaft ausbauen und gleichzeitig verbessern. Wir werden unsere Eiweißpflanzenstrategie finanziell aufstocken, um das Angebot an regional erzeugten Futtermitteln auszubauen. Nicht zuletzt wollen wir in digitale Innovationen investieren, damit Dünger effektiver eingesetzt werden kann und darüber unsere Landwirtinnen und Landwirte Kosten sparen.
Wir arbeiten zudem intensiv daran, bis zu 180 Millionen Euro für schnelle Krisenhilfe direkt auf die Höfe zu bringen. Wir wollen die dafür zugesagten 60 Millionen Euro aus der Brüsseler Krisenreserve mit nationalen Mitteln um weitere 120 Millionen Euro über den Ergänzungshaushalt aufstocken. Ich will an dieser Stelle sagen: Ich zähle da auch auf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Freundinnen und Freunde der Landwirtschaft im Parlament, damit unsere Bäuerinnen und Bauern in dieser Zeit gut durch die Krise kommen.
Wir befinden uns in einer Lage der vielfachen Krisen. Deshalb müssen wir Ernährungssicherheit, Klimaschutz und den Erhalt der Biodiversität miteinander in Einklang bringen. Der Hunger in der Welt ist bereits heute dort am größten, wo die Klimakrise mit ungebremster Wucht zuschlägt.
Manche fordern nun, dass wir unter dem Eindruck des Krieges einfach die alten Rezepte aus dem Schrank hervorholen. Dabei übersehen sie, dass es genau diese Rezepte waren, die uns in die vielfachen Krisen und Abhängigkeiten manövriert haben. Darum wäre es genau falsch, diesen Weg zu nehmen.
Wir erleben doch gerade auf schmerzhafte Art und Weise – wir haben eben über den Etat der Innenministerin diskutiert –: Auch Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik ist Sicherheitspolitik. Wenn wir unabhängig werden wollen von Putin, braucht es konsequente Schritte hin zu einer nachhaltigen und gegenüber Krisen robusteren Landwirtschaft. Wenn wir den Weg einer nachhaltigen Energieversorgung und Landwirtschaft schon vor zehn Jahren gegangen wären, dann wären wir heute weniger krisenanfällig.
Ich habe einen Wunsch. Ich wünsche mir, dass, wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, es dann nicht heißt: Hätten wir uns 2022 auf den Weg gemacht in Richtung nachhaltige Energieversorgung und nachhaltige Landwirtschaft. – Deshalb: Machen wir es heute! – Damit wir in zehn Jahren Bilanz ziehen können und sagen können: Wir haben gelernt aus der Krise. Wir machen es besser.
Deshalb müssen wir dringend aufhören, Krisen gegeneinander auszuspielen; denn das verschärft die Krisen nur. Der jüngste Weltklimabericht – ich rate wirklich allen: lesen Sie ihn durch! – spricht da eine sehr klare Sprache: Wenn wir unsere Böden, unser Wasser, die Artenvielfalt und das Klima nicht schützen, dann wird das noch wesentlich heftigere Krisen hervorrufen und die Versorgungssicherheit erst recht gefährden. Dürren, Überschwemmungen, das Artensterben sind heute schon für viele Menschen in der Welt Realität. Wir haben es im Ahrtal gesehen: Weit entfernt ist das von uns nicht. Wenn, wie jetzt, schon die ersten drei Wochen im März sehr trocken sind – die Landwirte und Landwirtinnen wissen, wovon ich rede –, dann steigt auch bei uns die Sorge vor schlechten Ernten und damit vor höheren Preisen. Auch in dieser Hinsicht ist Übernutzung nicht der richtige Weg. Die nachhaltige Nutzung von Natur und Umwelt ist auch wirtschaftlich der günstigere Weg.
Damit Landwirtschaft eine Zukunft hat, braucht es vor allem Landwirtinnen und Landwirte. Kurz vor der Jahrtausendwende, 1999, gab es noch über 470.000 Betriebe. Bis heute ist die Zahl auf unter 265.000 gesunken. Hinter jedem einzelnen Hof stehen Familien, über Generationen hinweg geschaffene Werte, stehen Traditionen und steht vor allem auch eine Verankerung im ländlichen Raum. Diese Zahlen zeigen doch die bitteren Folgen einer Politik, die in der Vergangenheit immer nur eines gesagt hat: Wachse oder weiche! – Genau diese Geschichte von Wachsen oder Weichen, die dürfen wir und die werden wir jetzt nicht fortschreiben; denn wir brauchen die Bäuerinnen und Bauern für die Versorgung unseres Landes.
In den letzten Tagen hat mir eine Seite vorgeworfen, ich würde einen ökologischen Sündenfall betreiben, weil wir Brachflächen für Futtermittel freigegeben haben. Die andere Seite wirft mir ideologische Sturheit vor, weil ich es wage, über Umwelt- und Klimaschutz zu reden. Ich ziehe es vor, auf die Zwischentöne zu hören und denjenigen, die miteinander vernünftig arbeiten wollen, eine Chance zu geben, ganz im Sinne der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Kommission.
Ich muss zum Schluss kommen. Darum bitte ich Sie: Unterstützen Sie uns! Wir haben eine erste Milliarde als Anschubfinanzierung in den Haushalt eingestellt. Jetzt wollen wir weitere Schritte gehen. Das Königsrecht des Parlaments darf gerne genutzt werden; Sie dürfen da gerne noch etwas drauflegen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten im Detail haben wir nach wie vor die Chance auf eine Landwirtschaft, die ökonomisch, ökologisch und nachhaltig ist. Es liegt an uns allen, ob wir, wenn wir in zehn Jahren zurückblicken, sagen können: Unsere Saat ist aufgegangen, unsere Landwirtschaft ist eine Branche für Zukunftsbauer.
Herzlichen Dank."
Die Bundesregierung
Foto: Cem Özdemir/ BMEL/ Thomas Trutschel/ Photothek