Die Zahl der Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Mit 83 dokumentierten Fällen wurden 14 Übergriffe mehr als im Vorjahr registriert, was ein neuer Negativrekord ist, wie das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig am Dienstag mitteilte. Damit wurde statistisch alle fünf Tage ein Medienschaffender wegen seiner journalistischen Arbeit attackiert.
Von der Gewalt betroffen waren demnach 124 Medienschaffende, darunter auch Journalistenteams, wobei die Forscher von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Drei Viertel der Angriffe (77 Prozent) ereigneten sich auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen, gefolgt von Tätlichkeiten auf vom rechten Spektrum organisierten Versammlungen (17 Prozent). Nur fünf Prozent der registrierten Fälle standen in keinem Zusammenhang mit Krawallen, Protesten oder Demonstrationen.
"Demonstrationen und Proteste bilden somit auch im Jahr 2021 den gefährlichsten Arbeitsplatz. Durch tätliche Angriffe und Bedrohungen entsteht hier das größte Berufsrisiko für Journalist:innen in Deutschland", heißt es in der Studie. Es zeigte sich zugleich, dass einer Gruppe von vier Medienschaffenden und einem Journalistenkollektiv nahezu die Hälfte aller verifizierten Angriffe galten. Es handele sich um Social-Media-Blogger und Fotografen, deren Fokus auf der Protestberichterstattung liege.
Durch die diffuse Zusammensetzung der Teilnehmenden an Corona-Protesten kann nur ein Teil der Angriffe klar bestimmten politischen Lagern zugerechnet werden. 39 Prozent lassen sich der Studie zufolge dem rechten Spektrum zuordnen, ein Prozent dem linken, bei 60 Prozent war kein eindeutiger politischen Hintergrund bestimmbar. "Querdenken & Co wirken wie Brandbeschleuniger", erklärte Co-Autor Martin Hoffmann. "Sie entzünden den unter der Oberfläche lodernden Hass ihrer Anhänger aufs System. Ihre Wutreden, Videos und Posts festigen ihre Ablehnung der Presse, die sich bei einigen in Form von Gewalt gegen Medienschaffende entlädt."
Neben steigenden Zahlen registrierte die Studie im vergangenen Jahr auch eine zunehmende Ausbreitung der Gewalt in den westdeutschen Bundesländern. Zwar war Sachsen 2021 mit 23 Fällen erneut das Bundesland mit den meisten pressefeindlichen Übergriffen, gefolgt von Niedersachsen mit 21 Fällen und Berlin mit 14 Fällen. 61 Prozent aller Angriffe wurden zugleich im Westen registriert, das waren elf Prozent mehr als im Vorjahr. Dies geht laut Studie einher mit der Zunahme von politischen Protesten gegen die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung.
Zudem verschärfe sich die Lage für Journalisten in ländlichen Regionen. Ab dem vierten Quartal 2021 sei ein wachsender Anteil von Lokaljournalisten und -journalistinnen von Angriffen betroffen. Für betroffene Medienschaffende, die vor Ort verwurzelt seien, sei dies nicht nur eine berufliche Belastung, sondern auch eine Belastung im Alltag. Als Folge zögen sich Medienschaffende immer häufiger von der Protestberichterstattung zurück.
Die Entwicklung in den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 zeigte demnach zunächst keine Anzeichen für eine Besserung. Bis zum 1. März wurden bereits 22 Fälle pressefeindlicher Gewalt registriert. "Was wir brauchen ist: mehr Schutz für Medienschaffende, eine konsequentere Ahndung von Straftaten und mehr Medienkompetenzkunde", forderte ECPMF-Geschäftsführer Lutz Kinkel. Das ECPMF verifiziert seit 2015 tätliche Angriffe auf Journalisten in Deutschland.
hex/cha
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