Vor der befürchteten Großoffensive in der Ostukraine hat Russland am Montag seine Angriffe auch im Westen des Landes wieder verstärkt. Bei Raketenangriffen auf Lwiw, wo sich viele Flüchtlinge aufhalten, wurden nach ukrainischen Angaben mindestens sieben Menschen getötet. Tote und Verletzte durch russischen Beschuss gab es auch in der nordostukrainischen Großstadt Charkiw. Kiew warf Moskau vor, die östlichen Teile des Landes "auslöschen" zu wollen.
Lwiw wurde am Morgen von fünf russischen Raketen getroffen. Nach Angaben von Gouverneur Maxym Kosyzky wurden mindestens sieben Menschen getötet und elf weitere verletzt, darunter ein Kind.
Lwiw liegt nahe der polnischen Grenze in der Westukraine und wurde seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar nur selten bombardiert. Die Stadt ist Zufluchtsort und Durchgangsstation für Flüchtlinge aus dem ganzen Land.
Von heftigen Explosionen erschüttert wurde auch Charkiw. Am Sonntag wurden in der zweitgrößten Stadt der Ukraine nach Behördenangaben sechs Menschen durch russischen Beschuss getötet, drei weitere Menschen starben demnach am Montag bei russischen Angriffen. Viele weitere wurden verletzt.
Heftige Kämpfe gab es auch in der Region Luhansk in der ostukrainischen Donbass-Region. Der ukrainische Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, erklärte am Montag auf Facebook, die russische Armee sei mit einer "riesigen Menge" an Kriegsgerät in die Stadt Kreminna einmarschiert. AFP-Reporter berichteten zudem von heftigem Beschuss in der von der russischen Armee kontrollierten Stadt Rubischne.
Auch in der seit Wochen belagerten Hafenstadt Mariupol gingen die Kämpfe weiter. Ein russisches Ultimatum zur Kapitulation ließen die verbliebenen ukrainischen Kämpfer in der weitgehend zerstörten Stadt am Sonntag verstreichen.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte am Sonntag im US-Sender CBS, die "Reste der ukrainischen Armee und eine große Gruppe von Zivilisten" seien von den russischen Streitkräften umzingelt. "Sie setzen ihren Kampf fort." Die russische Armee habe aber offenbar beschlossen, die strategisch wichtige Stadt "um jeden Preis auszulöschen".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte vor einem Ende der russisch-ukrainischen Verhandlungen über einen Waffenstillstand, sollten die letzten Verteidiger Mariupols getötet werden. Den russischen Soldaten warf Selenskyj vor, den ganzen Donbass bei ihrer Offensive "buchstäblich erledigen und zerstören" zu wollen. Nach Angaben der ukrainischen Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk verhinderte Russland auch am Montag wieder die Öffnung von Fluchtrouten für Zivilisten aus der Region.
Die russische Armee hatte sich vor rund zwei Wochen aus dem Großraum Kiew zurückgezogen und bereitet nach Einschätzung Kiews nun eine Großoffensive in der Ostukraine vor. Experten gehen davon aus, dass Kreml-Chef Wladimir Putin am symbolisch wichtigen 9. Mai einen großen Sieg verkünden will. Mariupol gilt dabei als strategisch entscheidend, da die Einnahme der Stadt es Moskau ermöglichen würde, eine Landverbindung zwischen der annektierten Krim und den pro-russischen Separatistengebieten in der Ostukraine herzustellen.
Das russische Staatsfernsehen veröffentlichte am Montag ein Video zweier angeblicher britischer Kriegsgefangener, die um ihre Freilassung im Austausch gegen den pro-russischen ukrainischen Millionär Viktor Medwedtschuk bitten. Die beiden ausgezehrt wirkenden Männer richten sich in dem Video an Großbritanniens Premierminister Boris Johnson mit der Bitte, ihre Freilassung zu verhandeln.
Kurz darauf wurde in der Ukraine ein Video veröffentlicht, in dem Medwedtschuk um seine Freilassung im Austausch gegen die verbliebenen Verteidiger und Bewohner Mariupols bittet. Für diese gebe es keinen sicheren Ausweg über "humanitäre Korridore", sagt der als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin geltende Geschäftsmann. Einen von Selenskyj vorgeschlagenen Austausch Medwedtschuks gegen ukrainische Kriegsgefangene hatte Moskau in der vergangenen Woche abgelehnt.
Der Krieg war auch eines der Hauptthemen der Osterbotschaft von Papst Franziskus, der zu Frieden für die "leidgeprüfte Ukraine" aufrief. Es habe schon "zu viel Blutvergießen" gegeben, sagte er am Sonntag vor rund 50.000 Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom.
isd/ck
Alice HACKMAN / © Agence France-Presse