Sozial- und Wirtschaftsverbände haben sich gegen ein sofortiges Energie-Embargo gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs ausgesprochen. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnte vor "großen Verwerfungen" wegen steigender Energiepreise und drohenden Arbeitsplatzverlusten. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnte einen sofortigen Importstopp ab.
"Das Risiko dramatischer Folgen für unseren Arbeitsmarkt sollten wir nicht eingehen", sagte SoVD-Präsident Adolf Bauer der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Samstag. "Wir können erst aus der Energieversorgung von Russland aussteigen, wenn wir ausschließen können, dass es hier zu großen Verwerfungen führt."
Bereits jetzt würde besonders die ärmere Bevölkerung in Deutschland unter den Folgen des Krieges in der Ukraine leiden. "Es sind nicht nur die Energiepreise, die unglaublich steigen, sondern auch die Mieten und die Nahrungsmittelpreise", sagte Bauer. "Wenn das so weitergeht, wird die ärmere Bevölkerung, bei der es gar nicht um Wohlstandsverlust geht, weil sie ohnehin kaum über die Runden kommt, über die Maßen leiden."
Lindner sagte am Samstag beim FDP-Parteitag, Deutschland müsse sich so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von russischen Importen befreien. Aber erst wenn die Versorgungssicherheit über andere Lieferquellen erreicht sei, könne ein Embargo beschlossen werden.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, sagte im Deutschlandfunk, trotz der Ereignisse in der Ukraine sei ein Embargo nicht zu verantworten. Für viele Branchen wäre demnach ein Lieferstopp für Gas angesichts der enormen Abhängigkeit von Russland eine Katastrophe.
Auch der Wirtschaftsrat der CDU warnte vor einem Energie-Embargo. Ein derartiger Schritt würde nicht nur Wirtschaft und Privathaushalte belasten, "Russland dürfte davon sogar profitieren", sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Denn es könnte dann auf dem Weltmarkt für diese frei gewordenen Mengen zum Teil exorbitant höhere Preisen als derzeit erzielen."
Die Regierung in Kiew wirft Deutschland vor, mit den Einfuhren von Öl, Gas und Kohle den russischen Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, forderte zuletzt zumindest ein zeitlich begrenztes Gasembargo gegen Russland. Die baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen stellten ihre Erdgas-Importe aus Russland zum 1. April ein.
Die EU-Staaten hatten Anfang April ein Kohle-Embargo gegen Russland beschlossen. Bis Jahresende hält es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch für möglich, "nahezu unabhängig" von russischem Öl zu sein. Bei Gas sieht das sein Ministerium erst "bis Mitte 2024".
mt/lan
© Agence France-Presse