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Sondervermögensgesetz für Sicherheit

Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, zum Bundeswehrsondervermögensgesetz vor dem Deutschen Bundestag am 27. April 2022 in Berlin:

Bulletin 51-4

"Frau Präsidentin!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Das ist eine besondere Debatte heute, und auch die finale Lesung wird eine besondere Lesung sein, nicht nur angesichts dieses furchtbaren Krieges, den die Vorredner bereits angesprochen haben, nicht nur, weil wir hier nicht jeden Tag eine Grundgesetzänderung vornehmen, sondern weil viele Menschen und viele Hauptstädte in Europa, aber auch darüber hinaus auf uns schauen.

Bei diesem Sondervermögen geht es eben nicht nur um 100 Milliarden Euro hier bei uns, sondern auch um unsere zukünftige Verantwortung in Europa und in unserem gemeinsamen Bündnis. Es geht um die Sicherheit von uns und zukünftiger Generationen und die Sicherheit unserer Bündnispartner und ihrer zukünftigen Generationen. Unsere Bündnispartner haben es uns erst ermöglicht, in unserem Land in den letzten Jahrzehnten in Frieden aufzuwachsen, Generationen wie meiner in Westdeutschland, die ein ganzes Leben lang im Friedensprojekt Europa aufwuchsen.

Unsere Partner haben in den letzten Jahrzehnten viel in unsere Sicherheit investiert; dafür sind wir dankbar. „Zeitenwende“ bedeutet aber auch, dass wir nicht nur dankbar sind, sondern dass wir in dem Moment, in dem andere Investitionen von uns in ihre Sicherheit brauchen, etwas zurückgeben. Daher ist für uns wirklich entscheidend, dass wir dieses Sondervermögen im Grundgesetz eben nicht nur für unsere Streitkräfte definieren, sondern auch zur Stärkung unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Viele Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa schauen genau darauf, nämlich ob wir unserer Bündnisverantwortung gerecht werden.

Ich möchte noch mal unterstreichen, was Vorrednerinnen und Vorredner – und so habe ich auch Sie verstanden, Herr Dobrindt – gesagt haben: Das ist kein Moment für parteitaktische Spielchen. Wenn wir ehrlich sind – damit spreche ich alle an, die ehrlich zu sich sein können –, hat jede Partei, jede Fraktion hier ihr Päckchen zu tragen. Wichtig ist doch, das, was man in der Vergangenheit vielleicht nicht erkannt hat, in Zukunft richtig zu machen, und zwar gemeinsam. Deswegen ist eine Grundgesetzänderung auch eine gemeinsame Verantwortung.

Wir haben das in diesem Hohen Haus schon öfter gemacht – damals in anderen Rollen –, Opposition und Regierung zusammen, als Europa uns brauchte, so in der Eurokrise. Wir haben es geschafft, nicht auf uns als Fraktionen und Parteien zu schauen, sondern auf die Verantwortung Deutschlands in Europa. Es freut mich sehr, dass wir signalisiert bekommen haben, dass wir diesen Weg jetzt gemeinsam gehen.

Sie hatten ein paar Fragen angesprochen – einige stehen auch in der Zeitung –, auf die ich, ergänzend zu dem, was meine Kollegen schon gesagt haben, gerne eingehen möchte.

Eine Frage bezieht sich auf Aufrüstung und Ausrüstung. Ich glaube, das ist kein Gegensatz, sondern gehört ganz eng zusammen; Frau Lambrecht, die Verteidigungsministerin, hat das bereits angesprochen. Wenn wir im Baltikum sind, dann erkennen wir: Wir müssen in Zukunft mehr an der Ostflanke tun. Aber wenn man da vor Ort ist und sich umhört – man wagt gar nicht, das hier auszusprechen; die Soldatinnen und Soldaten auf der Tribüne wissen das; denn sie gehen jeden Tag mit dieser Herausforderung um –, dann stellt man fest, dass wir eben nicht einfach nur sagen können: „Wir verstärken jetzt unsere Enhanced Forward Presence in der Battlegroup“, sondern dafür eben auch die Ausrüstung brauchen. Wenn man dann sieht, dass die Ozelots, die vorhin angesprochen worden sind, derzeit in der Battlegroup verankert sind, zugleich aber auch in der VJTF der Nato gemeldet sind, dann muss man einfach sagen: Wir können die Dinge nicht zweimal melden, sondern müssen mehr Mittel in die Ausrüstung geben. Das Gleiche gilt für den digitalen Funk – Sie lachen da –: Wenn man jetzt eine Übung macht und wir die Lead Nation sind, der Funkverkehr aber nicht verschlüsselt ist, dann stehen wir vor einer Riesenherausforderung, und die wird einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir jetzt gemeinsam vor allen Dingen in die Beseitigung der Ausrüstungsdefizite der Vergangenheit investieren.

Wir haben nicht den Luxus, zu sagen: Ostflanke oder Nato-Fähigkeiten oder internationale Einsätze. Alles gehört in dieser komplexen Welt zusammen. Wir tragen weiterhin Verantwortung im Rahmen des Peacekeeping der Vereinten Nationen, und da haben wir das gleiche Problem; Frau Lambrecht hat es angesprochen. Eigentlich könnten wir es uns ganz einfach machen und sagen: Wenn die Franzosen gehen, dann stellen wir die Kampfhubschrauber. Leider funktionieren aber nur neun von den 51 Tiger-Kampfhubschraubern. Deswegen ist der Weg eben nicht so einfach, und deswegen müssen wir uns jetzt den Kopf zerbrechen, wie wir in der VN-Mission bleiben können. Das Sondervermögen dient auch dafür, damit wir in Zukunft unserer internationalen Verantwortung in den Vereinten Nationen gerecht werden können.

Es freut mich sehr, dass wir hier so eine ernsthafte Debatte führen. Dank auch an die Außen- und Sicherheitspolitiker der Union – wir haben ja schon viel darüber gesprochen –; denn Zeit für Pappkameraden ist nicht. Ich möchte hier noch einmal sagen, weil ich in der Öffentlichkeit manchmal diese Argumente höre: Es geht bei diesem Sondervermögen nicht um humanitäre Hilfe. Die ist absolut notwendig; dafür stellen wir aber einen Ergänzungshaushalt auf. Es geht hier um harte Sicherheitsmaßnahmen im Sinne der vernetzten Sicherheit, im Sinne der Anrechenbarkeit von Nato-Fähigkeiten, die wir leisten müssen.

Sie haben gefragt: Warum stehen nicht die zwei Prozent im Gesetzentwurf? Wenn sie da stehen würden, dann würden wir sie ja auch ins Grundgesetz schreiben. Und wollen wir wirklich jedes Jahr zwei Prozent investieren? Was ist in dem Jahr, wo wir die F-35 kaufen? Da sind es vielleicht mehr als zwei Prozent. Wollen Sie dann an diesem Tag das Grundgesetz ändern? Und wollen Sie es in dem Jahr, wo es weniger ist, dann wieder ändern? Nein, was wir machen, ist eine Kombination daraus, unserer Nato-Verpflichtung gerecht zu werden und zugleich mit dem Sondervermögen die Lücken zu schließen, die in der Vergangenheit leider gerissen worden sind.

Ein letzter Satz dazu, warum die Debatte so wichtig ist. Wir haben erlebt: Es geht nicht nur um immer mehr Geld. Warum wir manche Lücken haben, liegt am Beschaffungswesen und vor allen Dingen am Bewirtschaftungswesen. Man fragt sich jetzt: Warum passt die eine Panzerschraube eigentlich nicht zur anderen Panzerschraube? Auch das sind Dinge, die wir in dieser Debatte gemeinsam angehen müssen. Das ist hart, das ist ernsthaft; aber das ist die Verantwortung unserer Zeit für unsere Generation und für zukünftige Generationen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern für alle in Europa – Nord und Süd und West und Ost.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Herzlichen Dank." 


Die Bundesregierung 

Bild: Annalena Baerbock/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN