In der ukrainischen Hafenstadt Mariupol hoffen eingeschlossene Zivilisten auf neue Evakuierungsaktionen. "Die Evakuierung geht weiter", verkündete das Präsidialamt in Kiew am Dienstag. Eine Bestätigung von vor Ort blieb zunächst aus. Derweil griff Russland im Süden und Osten der Ukraine weitere Ziele an. Nach US-Angaben plant Moskau die Annexion ostukrainischer Gebiete.
In den vergangenen Tagen waren erstmals seit Wochen von der UNO und dem Roten Kreuz organisierte Evakuierungsaktionen aus der letzten Bastion ukrainischer Kämpfer in Mariupol, dem Industriekomplex des Konzerns Asow-Stahl, geglückt. Mehr als hundert Zivilisten verließen das Stahlwerk. Ihr Verbleib war allerdings zunächst unklar.
Nach Angaben der russischen Armee blieben einige der Menschen "freiwillig" im Separatistengebiet Donezk, andere hätten Mariupol in Richtug ukrainischen Gebietes verlassen. Am Montag kamen die Menschen allerdings nicht wie von ukrainischer Seite erhofft im von ihren Streitkräften kontrollierten Saporischschja an.
Am Montagabend erklärte das an der Verteidigung des Stahlwerks beteiligte Asow-Regiment, die Anlage werde trotz geplanter Evakuierungen weiter beschossen. Nach Angaben der ukrainischen Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk harren weiterhin hunderte Zivilisten in den unterirdischen Gängen des elf Quadratmeter großen Komplexes aus.
Die Stadtverwaltung von Mariupol kündigte für Dienstagmorgen um 6.00 Uhr eine erneute Evakuierungsaktion an. Ob diese tatsächlich startete, konnte zunächst nicht verifiziert werden.
Das strategisch wichtige Mariupol am Asowschen Meer ist zum Symbol der russischen Kriegsführung in der Ukraine geworden. Russische Truppen hatten die inzwischen weitgehend zerstörte Stadt bereits in den ersten Kriegstagen umzingelt. Die Ukraine schätzt die Zahl der seit Beginn der Belagerung gestorbenen Menschen in Mariupol auf mindestens 20.000.
Abgesehen vom dumpfen Grollen von Explosionen aus Richtung des Asow-Stahlwerks ist die Stadt mittlerweile weitgehend ruhig, wie AFP-Journalisten berichteten, die an einer vom russischen Militär organisierten Pressetour teilnahmen. Ihr Alltag sei nun von der Suche nach dem Nötigsten zum Überleben geprägt, sagten Einwohner. "Wir leben nicht, wir überleben", sagte die 30-jährige Irina.
In anderen Gebieten der Ostukraine führte Russland seine Angriffe mit unverminderter Härte fort. Das Verteidigungsministerium in Kiew meldete vor allem in der Region Luhansk "aktive und schwere Kämpfe". Die USA warnten, Moskau könnte in Kürze die selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk annektieren. Zu diesem Zweck seien manipulierte Referenden über einen Anschluss der beiden Separatisten-Regionen im Donbass geplant.
Das US-Verteidigungsministerium bestätigte zudem, dass der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow vergangene Woche die Region Donbass besucht hatte. Es hatte Berichte gegeben, dass Gerassimow dabei durch einen ukrainischen Angriff verletzt worden sei. Offenbar hatte er den beschossenen Ort in der Stadt Isjum zum Zeitpunkt des ukrainischen Angriffs aber bereits wieder verlassen.
CDU-Chef Friedrich Merz trat derweil seine umstrittene Reise in die Ukraine an. Er veröffentlichte ein Video, das ihn im fahrenden Zug auf dem Weg nach Kiew zeigt. Nach eigenen Angaben nimmt er mit seinem Besuch eine Einladung des ukrainischen Parlaments an. Am Abend ist laut CDU eine Pressekonferenz in Kiew geplant. Merz war vorgeworfen worden, den Ukraine-Krieg parteipolitisch zu instrumentalisieren.
Der britische Premierminister Boris Johnson sollte am Dienstag als erster ausländischer Regierungschef seit Beginn des russischen Angriffs per Videokonferenz im ukrainischen Parlament sprechen. Er wird voraussichtlich weitere Militärhilfen für Kiew im Wert von 300 Millionen Pfund (357 Millionen Euro) ankündigen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte nach mehrwöchiger Funkstille am Dienstagmittag wieder mit Russlands Staatschef Wladimir Putin sprechen, wie der Elysée-Palast mitteilte. Macron hatte auch nach dem russischen Angriff regelmäßig mit dem Kreml-Chef telefoniert, jedoch nicht mehr seit den ersten Berichten über Gräueltaten russischer Truppen im Kiewer Vorort Butscha Anfang April.
pe/cp
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