Aus der seit zwei Monaten von russischen Truppen belagerten ukrainischen Stadt Mariupol und dem dortigen Stahlwerk sind nach ukrainischen Angaben in den vergangenen Tagen insgesamt 500 Zivilisten in Sicherheit gebracht worden. Für Freitag wurde ein weiterer UN-Konvoi für Evakuierungen erwartet. Die russischen Angriffe in Mariupol dauerten nach ukrainischen Angaben aber an.
Die russische Armee steht kurz davor, die vollständige Kontrolle über die strategisch und symbolisch wichtige Hafenstadt Mariupol im Südosten des Landes zu übernehmen. Im dortigen Asow-Stahlwerk haben sich nach ukrainischen Angaben hunderte Soldaten und rund 200 Zivilisten verschanzt.
In den vergangenen Tagen sei es im Zuge von UN-geführten Einsätzen jedoch "gelungen, fast 500 Zivilisten zu evakuieren", teilte der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, am Freitag mit. Die Einsätze sollten demnach weiter fortgesetzt werden. "Heute konzentrieren wir uns auf das Asow-Stahlwerk", erklärte Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk.
Russland hatte am Mittwochabend eine dreitägige Feuerpause für Evakuierungseinsätze aus dem Industriekomplex angekündigt. Die Ukraine warf Moskau jedoch vor, dagegen verstoßen zu haben. Der Kreml bestritt die Vorwürfe.
Auch am Freitag setzte das russische Militär nach ukrainischen Angaben seine Offensive auf das Asow-Stahlwerk fort. Die russischen Streitkräfte hätten ihre Angriffe "in einigen Gebieten mit Unterstützung der Luftwaffe" wieder aufgenommen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit.
Russland soll nach Angaben Kiews am 9. Mai, dem Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland, eine Militärparade in Mariupol planen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak warf Russland am Freitag vor, zu diesem Anlass ukrainische Gefangene aufmarschieren lassen zu wollen. Der Kreml bestritt dies. Es sei keine offizielle Siegesparade in Mariupol am 9. Mai geplant, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau.
Der Großteil der zerstörten Hafenstadt ist bereits in russischer Hand. Pro-russische Separatisten ersetzten am Freitag in der Umgebung von Mariupol nach eigenen Angaben die auf Ukrainisch und Englisch beschrifteten Straßenschilder durch russische.
Die Einnahme von Mariupol wäre für Russland ein wichtiger militärischer Erfolg. Bislang hat Moskau nur über eine wichtige ukrainische Stadt, Cherson, die völlige Kontrolle errungen. Erklärtes Ziel Moskaus ist die vollständige Einnahme der ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk sowie die Herstellung einer Landverbindung zur annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Sewerodonezk in der Region Luhansk, ebenfalls eine strategisch wichtige Stadt im Donbass, ist inzwischen nach Angaben ihres Bürgermeisters von russischen Soldaten und pro-russischen Separatisten "praktisch eingekreist". Diese "versuchen, die Stadt aus mehreren Richtungen anzugreifen", sagte Bürgermeister Olexander Striuk dem ukrainischen Sender 1+1 am Freitag. Der Großteil der 100.000 Einwohner habe die Stadt verlassen, rund 15.000 weigerten sich jedoch zu fliehen.
Auch aus den Gebieten Donezk und Tawrija sowie der Stadt Lyman meldete das ukrainische Verteidigungsministerium weitere Angriffe russischer Truppen.
Mitte April war der ukrainischen Armee nach eigenen Angaben mit der Versenkung des russischen Raketenkreuzers "Moskwa" ein wichtiger Schlag gegen Moskau gelungen. Wie nun bekannt wurde, sollen US-Geheimdienstinformationen den ukrainischen Streitkräften dabei geholfen haben. Der US-Sender NBC berichtete am Donnerstag unter Berufung auf ungenannte US-Beamte, dass Kiew die USA um Informationen über ein im Schwarzen Meer kreuzendes Schiff gebeten hätten.
Die US-Geheimdienste hätten das Schiff daraufhin als "Moskwa" identifiziert und seine Position an die Ukrainer weitergegeben. Die US-Dienste hätten jedoch nicht gewusst, dass die Ukrainer das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte angreifen würden, sagten die Beamten dem Sender.
Ein hochrangiger US-Beamter sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die USA der Ukraine keine Informationen mit dem Zweck eines Angriffs auf die "Moskwa" geliefert hätten. "Wir stellen keine spezifischen Zielinformationen über Schiffe zur Verfügung."
noe/cp
© Agence France-Presse