NRW wählt – doch wen? Um das herauszufinden, soll Ihnen diese Interviewreihe helfen, die Landtagskandidat*innen unserer Stadt und deren politische Ziele kennenzulernen.
Jede Woche werden neue Interviews mit einer(m) der Direktkandidat*innen unserer Stadt erscheinen.
Klimafrage/ Bürokratisierung Ahrtal
stadt4.0: Ihr “Vorgänger” Armin Laschet sagte “kein Land tut so viel für den Klimaschutz wie NRW ...“
Paul: Man muss festhalten, dass diese Landesregierung es nicht geschafft hat, einen Boost in die Energiewende zu bringen, im Gegenteil. Sie hat faktisch dafür gesorgt, dass durch die 1000-Meter-Abstandsregelung für Windräder der Ausbau der Windenergie gehemmt wurde. Außerdem hat man bei der Landesbauordnung versäumt, Solar zum Standard auf geeignete Dächer zu machen. Hier hat sich die Landesregierung auf fossilen Energieträgern ausgeruht. Das müssen wir in Angriff nehmen und ändern. Wir können als Nordrhein-Westfalen die erste klimaneutrale Region Europas werden.
stadt4.0: Was planen Sie konkret, um aktiv den Klimaschutz im Land NRW zu fördern?
Paul: Wir brauchen einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir werden schnellstmöglich die 1000-Meter-Abstandsregelung zurücknehmen, und Solar muss als Standard auf jedes geeignete Dach. Wir müssen der Wirtschaft und Industrie die politischen Rahmenbedingungen bieten, um eine klimaneutrale Industrieregion werden zu können.
stadt4.0: Welche konkreten Pläne haben Sie, um den Geschädigten im Ahrtal unbürokratische Hilfe zur Verfügung zu stellen?
Paul: Diese schreckliche Flutkatastrophe hat uns ganz deutlich gezeigt, dass der Klimawandel nichts Abstraktes ist, sondern dass die Folgen tatsächlich schon vor unserer Haustür zu spüren sind. Dementsprechend ist es zum einen wichtig, dass die Aufbauhilfen schnell bei den Menschen ankommen. Das ist bisher leider nicht so gelungen, wie die bisherige Landesregierung das versprochen hatte. Das Geld muss leicht zugänglich sein und schnell und unbürokratisch ankommen, damit den Menschen endlich geholfen wird.
Gleichzeitig müssen wir uns aber auch für solche Extremwetterereignisse wappnen. Wir müssen uns besser vorbereiten auf Hochwasser und Starkregenereignisse. Das heißt, wir brauchen mehr sogenannte „Schwammstädte“, die Wasser besser absorbieren können, und wir
müssen generell den Hochwasserschutz besser ausbauen und auch der Flächenversiegelung entgegenwirken, damit wir Menschen besser vor solchen extremen Wettereignissen schützen können.
stadt4.0:Das Oberverwaltungsgericht Münster hat gerade eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen gegen die Einwände von Anwohner*Innen in Lützerath, Braunkohle an ihrem Standort abzubauen bestätigt. Nach der Einschätzung der Gerichte sei die Braunkohle mit den Klimaschutzzielen der Verfassung vereinbar.
Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung? Muss sich die Gesetzgebung ändern?
Paul: Die Erkenntnis, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen, hat sich inzwischen auch auf Bundesebene durchgesetzt. Im Koalitionsvertrag steht 2030 als Ziel und auch der aktuelle Ministerpräsident bekennt sich dazu. Ich bin etwas überrascht darüber, dass der SPD-Spitzenkandidat den vorgezogenen Kohleausstsieg wieder infrage gestellt hat und die FDP mit der Hochrisikotechnologie Atomkraft spielt. Wir müssen jetzt konsequent in die erneuerbaren Energien einsteigen und aus den fossilen Energien aussteigen. Das hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht in einer wegweisenden Entscheidung deutlich gemacht: Wir dürfen als Politik nicht mit der Zukunft künftiger Generationen spielen. Wir brauchen eine neue Leitentscheidung zum Kohleausstieg, die die Dörfer im rheinischen Revier schützt und das, was wir nun machen müssen, auch in Landesrecht umsetzt.
Haltung zum Ukrainekrieg/ Krieg als Zeitenwende?
stadt4.0: Außenpolitik ist keine Landespolitik, aber was ist Ihrer Meinung nach der beste Umgang mit dem Krieg in der Ukraine? Was verlangen Sie dahingehend von der Bundesregierung?
Paul: Wir sehen jeden Tag schreckliche Bilder aus der Ukraine, die uns alle nicht kalt lassen und uns deutlich machen, dass der Krieg direkt vor unserer Haustür in Europa stattfindet. Dass Putin der Ukraine und auch Europa diesen Angriffskrieg aufgezwungen hat und dass es um die Frage des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine geht. Aber es geht auch um Freiheit. Es gibt dort keine einfachen Entscheidungen. Wir alle würden uns wünschen, nicht in der Situation zu sein, entscheiden zu müssen: Liefert man jetzt Waffen oder nicht.
Die Friedensordnung funktioniert nur dann, wenn sich alle daran halten. Wladimir Putin hat entschieden, sich weder an die Friedensordnung, noch an das Völkerrecht zu halten. Dementsprechend halte ich es für wichtig und vertretbar, dass die Bundesregierung sich entschieden hat, die Ukraine auch mit schweren Waffen zu unterstützen. Denn die Ukraine verteidigt sich selbst. Aber sie verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Sicherheit. Mit diesem Kampf dürfen wir die Ukraine nicht allein lassen. Deswegen komme ich persönlich, aber so erlebe ich auch die Grünen als Ganzes, nach einem schwierigen Abwägungsprozess zu dem Schluss, dass wir natürlich die Ukraine unterstützen müssen. Politisches Handeln, gerade in dieser Zeit, bedeutet auch, immer wieder darüber nachzudenken, was richtig ist und Verantwortung zu übernehmen.
stadt4.0: Damit einhergehend: Wie möchten Sie es den ankommenden Geflüchteten ermöglichen, hier Fuß zu fassen? Gibt es genügend Unterkünfte für die Geflüchteten? Was planen Sie, um genügend Unterbringungen zu schaffen?
Paul: Wir sind erstmal in der Verantwortung, Menschen Schutz zu bieten. Das bedeutet, wir brauchen schnellstmöglich Unterkünfte, aber auch Unterstützung und gesundheitliche Versorgung. Es sind vor allem Frauen und Kinder, die hierherkommen. Die Kinder brauchen Unterstützung, dass sie wieder ein Stück weit Kind sein können. So viel Normalität wie wir können müssen wir im Besonderen den Kindern zurückgeben. Dazu gehört, dass wir ihnen Schul- und Kitaangebote und darüber hinaus Sport- und Spielangebote machen. Wichtig sind auch Angebote für psychosoziale Beratung, um auch Traumata aufzufangen .
Den Erwachsenen müssen wir den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Es kommen hochqualifizierte Fachkräfte, beispielsweise aus dem pädagogischen Bereich. Hier besteht die Chance, auch diese Fachkräftein unser Bildungssystem zu integrieren, damit sie den geflüchteten Kindern auch eine Normalität bieten und sie unterstützen können.
stadt4.0: Es werden Stimmen laut, dass People of Colour in manchen Ländern nicht aufgenommen wurden, oder dass Geflüchtete mit arabischer Herkunft ihren Platz in Deutschkursen zu Gunsten von ukrainischen Flüchtlingen verloren haben. Sehen Sie da auch hier eine Problematik, dass Flüchtlinge unterschiedlicher Hautfarbe unterschiedlich
behandelt werden von den Behörden? Wie möchten Sie die Rechte aller Geflüchteten sicherstellen?
Paul: Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben. Die Menschen jenseits der Ukraine haben genauso ein Recht auf Schutz und Unterstützung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir ausreichend Kapazitäten haben. Für Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern, die sich hier ein Leben aufbauen möchten, und nun Unterkünfte wechseln und möglicherweise jetzt schwieriger Zugang zu Sprachkursen haben, müssen wir andere Antworten finden. Das heißt, wir müssen dafür Sorge tragen, dass Menschen, die aus anderen Konflikt- und Kriegsgebieten zu uns kommen, nicht re-traumatisiert werden, weil sie wieder mit Krieg und auch mit der eigenen Fluchtgeschichte konfrontiert werden. Diese Gefahr droht auch, wenn sie spontan ihre Unterkünfte wieder verlassen müssen und damit schon wieder ein Gefühl von Unsicherheit haben. Die Geflüchteten aus anderen Herkunftsstaaten müssen genauso gut untergebracht und beraten werden, und sie müssen ebenfalls Zugang zu Deutschkursen und Bildungsangeboten haben.
Gas-Ölpreise/ Bürokratieabbau erneuerbare Energien/ Auflagen für Unternehmen
stadt4.0: Die Gas-/Ölpreise explodieren momentan, wie möchten Sie erreichen, dass diese bezahlbar für alle Bürger*innen bleiben?
Paul: Der Ukrainekrieg hat uns deutlich gemacht, dass wir so schnell wie möglich von Kohle, Gas und Öl unabhängig werden müssen, weil wir einen Großteil unseres Gases und Öls importieren – und das aus Russland. Deshalb sind wir jetzt auch noch vom russischen Diktator Putin abhängig. Die derzeitige Energiepreiskrise war aber auch schon vor dem Ukrainekrieg eine Krise der fossilen Energieträger, die nun noch einmal drastischer zu spüren ist. Wir müssen schnell umschwenken auf erneuerbare Energien, die nicht nur das Klima schützen, sondern uns auch unabhängig machen, von Energieimporten aus autoritären Regimen. Diese Unabhängigkeit wird gleichzeitig dazu führen, dass die Versorgung sicher ist und die Preise stabil bleiben. Es sind derzeit die fossilen Energien, die zu diesen massiven Teuerungen beitragen, nicht die erneuerbaren.
Wichtig ist, dass es Entlastungen gibt für die Bürgerinnen und Bürger, und zwar für diejenigen, die weniger im Portemonnaie haben. Da hat die Bundesregierung jetzt ein Entlastungspaket vorgelegt, mit einem Energiezuschlag, einem Kinderzuschlag und dem Heizkostenzuschuss, weil die Leute natürlich jetzt Entlastung brauchen. Gleichzeitig
müssen wir gegensteuern, damit wir die Energiekosten wieder auf ein stabiles Niveau bringen.
Es ist wichtig, dass es Pläne gibt, wie mit der ersten Gaswarnstufe umzugehen ist, damit wir vorbereitet sind – das allerdings in der Hoffnung, dass diese Pläne nicht zum Tragen kommen. Durch diese Pläne sind wir vorbereitet, falls es zu Lieferengpässen kommt oder uns Russland tatsächlich den Gashahn zudrehen sollte. Damit ist z.B. klar, dass private Haushalte und kritische Infrastruktur weiterhin versorgt würden.
Autofreie Innenstädte/ ÖPNV/ Anliegergebühren
stadt4.0: Der ÖPNV ist gerade in Münster nicht besonders Bürger*innen freundlich. Wie sehen Ihre Pläne hinsichtlich einer Verkehrswende aus?
Paul: Der Verkehrssektor ist ganz, ganz wichtig, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Wenn wir auf den 1,5-Grad- Pfad kommen wollen, muss im Verkehrssektor definitiv mehr passieren. In den letzten 30 Jahren haben sich die Emissionen im Verkehrsbereich im Grunde genommen nicht reduziert. Das ist eine schlechte Nachricht. Ich verstehe gerade vor dem Hintergrund der Energiekrise nicht, dass sich die FDP aus rein ideologischen Gründen gegen ein Tempolimit sträubt. Zum einen könnte ein Tempolimit Emissionen aber auch die Zahl der Unfälle senken. Das ist aber nur ein Baustein. Wir müssen jetzt den ÖPNV ausbauen. Wir müssen wegkommen von der Fokussierung der Verkehrspolitik auf Auto und Straße hin zu einer Verbesserung des ÖPNV.
stadt4.0: Wie möchten Sie den ÖPNV ausbauen, erweitern oder verändern?
Paul: Wir brauchen eine deutliche Verbesserung des ÖPNV. Dazu gehört zum Beispiel der Ausbau und die Reaktivierung von Schienen. Dort, wo es jetzt auf die Schnelle kein neues Schienensystem gibt, müssen wir ein wirkliches Schnellbussystem installieren. Wir brauchen eine Mobilitätsgarantie, dass jeder und jede in Nordrhein-Westfalen von 5:30 bis 22:30 Uhr zumindest einmal stündlich ein verlässliches Angebot des ÖPNV nutzen kann. Das können Züge und Busse sein, aber auch intelligente Lösungen wie On-demand-Verkehre oder Sharing-Systeme. Wir müssen Mobilität neu denken. Dazu gehört auch der Ausbau des Radverkehrs. Wir haben als Grüne ein Radverkehrsgesetz vorgelegt, in dem wir auch klarere Ziele definieren, als es die Landesregierung getan hat. Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, nicht nur Fahrradwege zu bauen, sondern auch multimodale Mobilität – also das Nebeneinander z.B. von Rad, Fußverkehr, Bus oder E-Roller - zu unterstützen. Dazu muss ich mein Fahrrad auch sicher im öffentlichen Raum abgeschlossen abstellen können. Das ist in Münster ja schon gut gelöst mit dem Fahrradparkhaus.
Wir müssen sichere Verkehrswege schaffen, damit auch Kinder allein mobil sein können und wir wegkommen vom „Elterntaxi“. Das geht aber nur dann, wenn Eltern sich sicher sein können, dass ihre Kinder mit dem Rad, mit dem Roller oder zu Fuß sicher unterwegs sein können.
Das bedeutet auch, dass der ÖPNV bezahlbar bleibt und auch günstiger wird für alle. Wir brauchen eine Überarbeitung des Azubitickets, eine Angleichung ans Studierendenticket, was das Preisliche angeht. Wir wollen günstige Angebote insgesamt für Kinder und Jugendliche, damit unter 18-Jährige, egal wie weit sie von der Schule entfernt sind, die Möglichkeit haben, eigenständig mobil zu sein. Auch das Sozialticket möchten wir nochmal anschauen. Der heutige Ministerpräsident wollte dies noch zu Beginn der Legislaturperiode abschaffen und hat es nur auf Druck der Zivilgesellschaft und der Opposition beibehalten. Denn Mobilität hat auch etwas mit Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit zu tun. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass Mobilität bezahlbar, barrierefrei ist und alle Menschen gut von A nach B kommen können.
stadt4.0: Wie sieht das mit Autos in den Innenstädten aus? Werden diese weiterhin dadurch fahren dürfen, oder verfolgen Sie Pläne hinsichtlich autofreier Innenstädte?
Paul: Wir wollen, dass Innenstädte lebenswerter werden. Das wollen, glaube ich, alle Menschen. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie wertvoll der öffentliche Raum und Aufenthaltsqualität draußen sind. Auf einmal sind Parkplätze gesperrt worden, um mehr Platz für Außengastronomie zu schaffen, sind temporäre Spielstraßen eingerichtet worden, so
dass zumindest an einem Tag am Wochenende Menschen draußen sein konnten und die Straßen für Begegnung nutzen konnten. Ich glaube, das zeigt, dass die Menschen den Wunsch danach haben, dass der öffentliche Raum nicht in allererster Linie dem Autoverkehr gehört, sondern es Alternativen braucht. Also weniger Verkehr und weniger Parkplätze in den Innenstädten, dafür mehr Park-and-Ride-Möglichkeiten, mehr Begrünung im Sinne der Klimafolgenanpassung hinzubekommen und eine höhere Aufenthaltsqualität zu schaffen.
Wir brauchen einen attraktiven Mix an Angeboten, und dafür müssen wir den Menschen in den Fokus nehmen. Ich würde Innenstädte so umgestalten, dass sie Lebensqualität bieten, dass sie den Klimaanpassungen genügen, und sichere Verkehrsorte für alle Menschen sind.
stadt4.0: Wie stehen Sie zu Anliegergebühren? Sollten diese wieder eingeführt werden, oder sehen Sie es als sozial gerechtfertigt an, diese für unsere Region abzuschaffen?
Paul: Ich finde es richtig, dass die Landesregierung endlich einen Weg gefunden hat, wie sie diese Straßenausbaubeiträge angeht. Das war schon lange in der Diskussion. Jetzt müssen aber auch die Kommunen in die Lage versetzt werden, dass sie gut für Straßen sorgen können, d.h. wir brauchen einen Altschuldenfonds, damit die Städte das Geld in die Hand nehmen können, um diese wichtigen Schritte anzugehen
Bezahlbarer Wohnraum
stadt4.0: Besonders hier in Münster kennt jeder das Problem: Es gibt viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Was sind Ihre konkreten Pläne, diesen zu gewährleisten?
Paul: Wohnraum ist ein knappes Gut in vielen Orten in Nordrhein-Westfalen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass nach der Miete für die Menschen auch noch was bleibt. Das bedeutet aber auch, dass nicht der Meistbietende oder Investoren berücksichtigt werden. Stattdessen wollen wir Genossenschaftsmodelle und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften stärken, damit sie dafür Sorge tragen können, dass es sozialen Wohnungsbau aber auch, jenseits von Wohnberechtigungsscheinen günstigen Wohnraum in den Innenstädten gibt. Münster ist da schon vorbildlich in der Ausgestaltung durch die soziale Bodennutzung. Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, vor Ort eine
soziale Bodenpolitik zu machen und dann für bezahlbaren Wohnraum Sorgen zu können. Wir sind zwar auch eine Studi-Stadt, aber wir müssen uns auch überlegen, dass insgesamt Lernende unterstützt werden müssen. Beispielsweise mit Azubi-Wohnheimen oder Wohnheimen für Leute, die in schulischer Ausbildung sind.
Bildungspolitik/ Musikcampus
stadt4.0: Wie ist Ihre Haltung hinsichtlich des Musikcampus?
Paul: Es wurde und wird weiterhin sehr intensiv diskutiert, wie man damit umgeht. Klar ist, dass Universität und städtische Musikschule neue Räumlichkeiten brauchen. Bei Fragen der Finanzierung müssen jetzt klare Rahmenbedingungen gesetzt werden, um dieses Projekt weiterzuentwickeln.
stadt4.0: Haben Sie Pläne bezüglich der Bildungspolitik? Was möchten Sie da verbessern?
Paul: Da gibt es einige sehr konkrete Dinge: Die frühkindliche Bildung muss deutlich gestärkt werden. Wir brauchen mehr Kitaplätze und vor allem mehr Erzieherinnen und Erzieher. Der Fachkräftemangel droht hier nicht mehr, er ist längst Realität. Wir wollen aber ein möglichst hochqualifiziertes frühkindliches Bildungsangebot. Das bedeutet, wir müssen die Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen und Erziehern verbessern, damit sie sich vor allem auf ihre pädagogischen Tätigkeiten fokussieren können. Deshalb müssen wir die Kitas durch Hauswirtschafts- und Alltagshelfer*innen entlasten. Das hat die Landesregierung in ihrer Novellierung des Kinderbildungsgesetzes leider außen vorgelassen. Dementsprechend wird man schnell in der neuen Legislaturperiode da ran gehen müssen auch die Finanzierung vom Kopf auf die Füße stellen.
Im Bereich Schule: Die chaotische Kommunikation in der Coronakrise, hat bei vielen Schulen, Schulträgern und Lehrer*innen aber auch bei Kindern, Jugendlichen und Familien Spuren hinterlassen. Das Letzte war jetzt das Chaos um die Tests an den Schulen. Es ist wichtig, dass man wieder ein Stück weit Verlässlichkeit in die Schulpolitik, vor allem in den Bereich Kommunikation bringt. Wichtig ist natürlich, dass wir auf die schauen, die schlechtere Ausgangsbedingungen haben. In Nordrhein-Westfalen wächst immer noch jedes fünfte Kind in Armut auf, das ist für ein so reiches Land wie Deutschland eine Schande. Wir müssen schauen, dass wir dort auch die Schulen stärken, wo die Ausgangslage besonders schwierig ist. Die Landesregierung hat einen Sozialindex vorgelegt, das ist eine gute Idee. Aber der funktioniert nur dann, wenn man ihn auch mit Ressourcen hinterlegt und nicht die ohnehin zu knappen Ressourcen neu umverteilt. Wir brauchen einen Sozialindex, der neue Ressourcen dahin bringt, wo die Kinder und Jugendlichen die Unterstützung brauchen.
Auch die Frage der Wertschätzung ist wichtig. Stichwort A13. Es ist dieser Landesregierung nicht gelungen, das eigene Versprechen umzusetzen und Grundschullehrer*innen endlich gerecht zu bezahlen. A13 als Eingangsgehalt muss jetzt kommen. Es ist einfach nicht nachzuvollziehen, warum es da eine Ungleichbehandlung gibt: Es ist die gleiche Studiendauer, die gleiche Dauer des Referendariats. Mal ganz davon abgesehen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass der wichtigste Teil der Bildung, also die Grundlage für alle Zukunftswege, in Kita und Grundschule gelegt werden. Leider habe ich noch immer den Eindruck, dass einige in der Politik Erzieherinnen als Basteltanten und Grundschullehrkräfte als die, die nicht die ganz große Pädagogik machen, abtun. Denn genau dort, in Kita und Grundschule, werden die Grundlagen gelegt. Und so müssen wir die Menschen dort auch wertschätzen, und Wertschätzung drückt sich eben auch in Bezahlung und durch Arbeitsbedingungen aus.
Gesundheitsschutz/ Infektionsschutz/ Corona
stadt4.0: Es werden nun fast alle Coronaschutz-Maßnahmen abgeschafft, halten Sie das für angebracht? Wie sähe Ihrer Meinung nach eine angemessene, das Leben der Bürger*innen schützende Corona-Politik aus?
Paul: Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir uns gewünscht hätten, dass es einen größeren Basisschutz gibt. Dass die Länder die Möglichkeit haben, nicht nur auf regionale Hotspotregelungen zurückzugreifen. So hätten wir beispielsweise die Maskenpflicht in Innenräumen noch länger beibehalten können, da es sich als effektives Mittel bei der Pandemiebekämpfung bewährt hat und zugleich nur geringfügig in die Grundrechte eingreift. Jetzt gehen die Zahlen mal ein bisschen zurück und dann steigen sie wieder ein bisschen an. Ich hoffe, dass wir nicht gen Herbst wieder in eine neue Welle laufen, in der dann größere Einschränkungen notwendig werden. Ich hätte mir auch gewünscht, dass man sich mehr darauf konzentriert, was draußen an Aktivitäten und Veranstaltungen möglich sind, wo das Infektionsrisiko geringer ist. Also gerade Richtung Sommer mehr draußen ist und in Innenräumen auch weiter mit Abstand zusammenkommt.
Soziale Gerechtigkeit
stadt4.0: Wie möchten Sie allen Bürger*innen einen Zugang zur Gesellschaft ermöglichen? Was sind Ihre Pläne, um soziale Gerechtigkeit in NRW auszubauen?
Paul: Mir persönlich ist es wichtig, dass wir vor allem die Frage der Kinderarmut mehr in den Blick nehmen. Wir wollen als Grüne einen Pakt gegen Kinderarmut auflegen und den Bund dabei unterstützen, dass eine Kindergrundsicherung jetzt auf den Weg gebracht wird.
Das ist aber nicht alles. Wir brauchen eine starke soziale Infrastruktur, also gute Schulen und Kitas. Wir brauchen Stadtteilzentren gerade dort, wo die Bedingungen besonders herausfordernd sind. Das unterstützt dann auch wiederum Familien insgesamt. Die Arbeit in den Stadtteilen verknüpfen wir gezielt mit Familienzentren und Familiengrundschulzentren. Das unterstützt dann auch wiederum Familien insgesamt. Dazu kommt natürlich, dass, wenn Menschen wirklich teilhaben sollen können, ist ein gut ausgebautes, bezahlbares, barrierefreies ÖPNV System zwingend. Das ist ein sehr wichtiger Baustein für mehr soziale Teilhabe und Gerechtigkeit. Dazu gehört auch, dass wir insgesamt den ganzen Bereich des Wohnens angehen, ebenso wie die Frage, wie wir junge Menschen beim Übergang zum Beruf unterstützen können. Dazu braucht es die Unterstützung des Bundes beispielsweise durch eine Kindergrundsicherung. Doch das reicht noch nicht. Familien brauchen eine bessere Infrastruktur vor Ort. Daher müssen die Kommunen in der Lage sein, Stadtteilbüchereien und Schwimmbäder zu finanzieren.
stadt4.0: Wie sind Ihre Pläne gegen Wohnungslosigkeit?
Paul: Wir wollen mit dem Ansatz „Housing First“ das Dilemma auflösen, dass man erst einen Job kriegt, wenn ich eine Wohnung habe, aber auch erst eine Wohnung kriegt, wenn man einen Job hat. Wichtig ist erstmal, dass Menschen eine Wohnung haben und damit Stabilität im Leben. Von dort können alle weiteren Dinge in Angriff genommen werden. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, diesen Ansatz konsequent auszubauen in Nordrhein-Westfalen und die Menschen gut zu beraten und zu unterstützen. Es wohnen nicht alle wohnungslosen Menschen auf der Straße, und insbesondere Frauen begeben sich dabei oftmals in Abhängigkeiten, die manchmal auch mit Ausbeutung und Gewalt einhergehen können. Viele Frauen zum Beispiel gehen nicht in Wohnungslosen-Einrichtungen, da diese in erster
Linie von Männern bewohnt werden und dort auch die Frage des Gewaltschutzes eine große Rolle spielt. Natürlich brauchen wir mehr sozialen Wohnungsbau, um Menschen mit schmalem Geldbeutel eine Perspektive für das Wohnen zu bieten.
Innere Sicherheit
stadt4.0: Haben Sie Pläne hinsichtlich einer Veränderung der inneren Landespolitik?
Paul: Zum einen benötigen wir eine gut ausgebildete und gut ausgestattete Polizei. Deshalb müssen die hohen Ausbildungszahlen in der Polizei auch weiter hoch bleiben. Denn Polizei und innere Sicherheit, genauso wie die Kooperation zwischen Polizei und Gesellschaft, leben davon, dass wir Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen haben, die tatsächlich auch vor Ort sein können. Wir wollen das System der Bezirksbeamtinnen und Bezirksbeamten stärken. Denn hier geht es darum, dass die Polizei in den Quartieren als Teil von Gesellschaft präsent ist und somit auch zum Sicherheitsgefühl beiträgt. Es gibt ja häufig Diskussion um Videobeobachtung. Aber wirklich hilft den Menschen, wenn die Polizei präsent vor Ort ansprechbar und bekannt ist. Das wollen wir stärken. Und gleichzeitig möchten wir dafür sorgen, dass es mit einem unabhängigen Polizeibeauftragten eine Stelle gibt, an die sich alle mit ihren Fragen aber auch mit Beschwerden etc. wenden können, nicht nur Polizistinnen und Polizisten, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger., Denn wir sind der festen Überzeugung, dass eine solche Verankerung eines Polizeibeauftragten auch dazu beiträgt, ein höheres Verständnis zwischen Polizei und Bevölkerung zu schaffen. Das gelingt uns, wenn die Polizei sich öffnet, es Polizeibeauftragte gibt, wenn es eine Kennzeichnung gibt – also Bürgerinnen und Bürger direkt erkennen, wer da vor ihnen steht und wenn es eben auch ausreichend Bezirksbeamte gibt, die auch ansprechbar sind, also eine sozialraumorientierte Polizei. Das alles stärkt die Akzeptanz von Polizei, und schützt Polizei ja auch. Wir haben ja auch damit zu tun, dass sich Polizeibeamtinnen und -beamte zunehmend Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt sehen, was absolut inakzeptabel ist. Man kann dem entgegenwirken, indem man tatsächlich Polizei ansprechbarer macht und damit für mehr Akzeptanz einerseits, höhere Sicherheit der Polizei andererseits sorgt, aber auch dem Sicherheitsgefühl der Menschen Rechnung trägt.
stadt4.0: Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute für den Wahlkampf!