Die ukrainischen Truppen haben mit heftigem Widerstand den russischen Vormarsch im Osten des Landes abbremsen können, die Truppen Moskaus halten den Druck dennoch hoch. "Wir bereiten uns auf große Offensiven in Sewerodonezk und an der Straße zwischen Lysytschansk und Bachmut vor", teilte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, mit. In der Nacht zum Sonntag zerstörte die russische Armee nach eigenen Abgaben mehrere militärische Ziele in der Region Donezk.
Bisherige Versuche zur Einkesselung von Sewerodonezk hätten die Soldaten zurückgeschlagen, erklärte Gajdaj. Er beschrieb allerdings die zunehmend schwierige humanitäre Lage in der Region Luhansk: "Es gibt absolut kein Gas, kein Wasser und keinen Strom", teilte er am Samstagabend mit. An der Grenze zur Region Donezk, auf der Seite der Stadt Popasna, werde heftig gekämpft.
Nahe des Dorfes Bilohoriwka versuchen die russischen Streitkräfte seit drei Wochen erfolglos, einen Fluss zu überqueren. Nach Angaben des Gouverneurs erlitten die russischen Truppen schwere Verluste an Soldaten und Ausrüstung.
Aus abgehörten Telefongesprächen habe die ukrainische Seite erfahren, "dass ein ganzes russisches Bataillon sich geweigert hat, anzugreifen, weil sie gesehen haben, was passiert". Luftaufnahmen zeigten Dutzende von zerstörten Panzerfahrzeugen am Flussufer sowie zerstörte Pontonbrücken.
Die russischen Truppen hätten schwere Verluste erlitten, nachdem die ukrainischen Streitkräfte ihren Versuch der Überquerung des Flusses zurückgeschlagen hätten, teilte das britische Verteidigungsministerium mit. Das Manöver spreche "für den Druck, unter dem die russischen Befehlshaber stehen, ihre Operationen in der Ostukraine voranzubringen".
Nach Angaben aus Moskau wurden in der Nacht zum Sonntag mehrere Hochpräzisionsraketen auf zwei ukrainische Kommandopunkte und vier Artilleriemunitionslager in der Nähe von Saporischschja, Konstantinowka und Nowomichailowka in der Region Donezk angefeuert. Die russische Luftwaffe habe zudem zwei Raketenwerfer der S-300-Systeme und ein Radarsystem in der Region Sumy zerstört, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Russische Flugabwehrsysteme hätten zudem 15 ukrainische Drohnen in den Regionen Donezk und Luhansk vernichtet.
Der britische Militärgeheimdienst ging von herben Verlusten Moskaus in der Ostukraine aus, weshalb die Offensive "an Schwung verloren" habe. Russische Truppen hätten es versäumt, wesentliche Gebietsgewinne zu erzielen, wodurch ihr Schlachtplan "erheblich in Verzug" geraten sei, hieß es aus Geheimdienstquellen.
Russland habe "wahrscheinlich Verluste von einem Drittel der Bodenkampftruppe erlitten, die es im Februar eingesetzt hatte", verlautet weiter aus diesen Quellen. Unter den derzeitigen Bedingungen sei es unwahrscheinlich, dass Russland sein Vormarschtempo in den nächsten 30 Tagen erheblich beschleunigen wird.
Erfolge meldete die Ukraine unterdessen aus dem Norden des Landes: Die russischen Streitkräfte mussten sich nach Angaben des ukrainischen Generalstabs aus mehreren Ortschaften nordöstlich der Großstadt Charkiw zurückziehen.
Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kirilo Budanow, sagte einen militärischen "Wendepunkt" in dem Konflikt für die zweite Augusthälfte voraus. Noch vor Jahresende werde der Krieg mit einer Niederlage für Russland enden, erklärte er.
Trotz der militärischen Rückschläge für Russland konnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach eigenen Angaben bei einem Telefonat mit Wladimir Putin am Freitag keine Änderung im Verhalten des Kreml-Chefs erkennen. Dabei sei klar, dass Russland keines seiner zu Beginn genannten Kriegsziele erreicht habe, sagte Scholz dem Nachrichtenportal "t-online". Deswegen sollte Putin langsam klar werden, "dass ein Ausweg aus dieser Situation nur über eine Verständigung mit der Ukraine führt".
Bei einem Treffen der G7-Außenminister im schleswig-holsteinischen Wangels erklärte die Gruppe führender Industriestaaten, sie werde von Russland durch seinen Angriffskrieg angestrebte neue Grenzziehungen "niemals" akzeptieren.
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David STOUT / © Agence France-Presse