Vor 70 Jahren – am 26. Mai 1952 – ordnete die DDR-Führung bereits neun Jahre vor dem Mauerbau die Schließung der innerdeutschen Grenze an. Entlang der 1.378 Kilometer langen Demarkationslinie zogen DDR-Uniformierte Zäune, die einen Übertritt in die Bundesrepublik verhinderten und an denen auf Flüchtlinge geschossen wurde. Privatdozent Dr. Christoph Lorke, Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der WWU, erklärt im Gespräch mit Kathrin Nolte, welche Auswirkungen die Grenzabriegelung hatte und was für eine Bedeutung der Jahrestag im öffentlichen Gedächtnis einnimmt.
Welche Verhältnisse herrschten im Frühjahr 1952 in DDR, die zu der Grenzabriegelung führten?
Die Reibungen zwischen Ost- und Westdeutschland beziehungsweise zwischen den Besatzungsmächten nahmen in dieser Zeit erheblich zu. Behauptete die DDR-Führung damals, sie wolle den Frieden wahren, unterstellte sie den Westmächten, auf Aggression ausgerichtet zu sein. Eine strenge Grenzüberwachung wäre demnach nötig, um angebliche westliche Agenten, Spione und Schmuggler in ihrem Tun zu behindern, denn diese würden den friedlichen Aufbau der DDR untergraben. Dies war freilich nur ein Vorwand, um von den massiven Problemen abzulenken: Versorgungsmängel, niedrigere Löhne und Gehälter als im Westen und allen voran fehlende demokratische Freiheiten führten zu einer ,Abstimmung mit den Füßen‘, die viele Zehntausende Menschen damals vollzogen.
Wie wirkte sich die Abriegelung der innerdeutschen Grenze durch die DDR auf den Ost-West-Konflikt aus?
Es war eine tiefe Zäsur. Die Abriegelung durch eine Demarkationslinie bereitete im Rückblick – auch wenn das 1952 noch niemand ahnen konnte – den späteren Mauerbau entscheidend vor: Ein zehn Meter breiter Kontrollstreifen, ein 500 Meter breiter ,Schutzstreifen‘ und eine fünf Kilometer umfassende Sperrzone führten zu immensen Abbrüchen im ,kleinen Grenzverkehr‘ “. Es blieben nur noch wenige Eisenbahnübergänge und Straßen offen. Auch zwischen Ost- und West-Berlin kam es zu erheblichen Einschränkungen. So wurden zahlreiche Straßen gesperrt und Telefonverbindungen gekappt. Dennoch blieb Berlin weiterhin ein wichtiges Schlupfloch zur Flucht in den Westen. In den Jahren danach intensivierte die DDR-Führung die Maßnahmen zur Grenzabriegelung daher weiter.
Es gibt zahlreiche markante Daten aus DDR-Zeiten, etwa der 17. Juni 1953 als Tag des Volksaufstands. Die Ereignisse am 26. Mai 1952 dürften dagegen nur wenigen Menschen bekannt sein – welche Bedeutung hat dieser Tag im öffentlichen Gedächtnis?
Die Maßnahmen vom Mai 1952 waren – übrigens wie gut neun Jahre später beim Mauerbau – ein Präventivschlag: Flüchtlingsströme, Aufbau einer Drohkulisse, Ablenkung von eigentlichen gesellschaftlichen Problemen, Wiederherstellung von ,Ordnung‘ durch die Staats- und Parteiführung. Die Mauer ist 1961 nicht vom Himmel gefallen, vielmehr war der Mai 1952 entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu ihrer Errichtung – auch wenn dieser Prozess nicht geradlinig war. Trotzdem oder vielleicht genau weil unsere Aufmerksamkeit vor allem auf prominentere Jahrestage gerichtet ist, spielen diese Ereignisse heute eine untergeordnete Rolle – vielleicht auch, weil nur ein gutes Jahr später mit dem Volksaufstand in der DDR ein deutlich größerer Einschnitt zu verzeichnen war, der das öffentliche Gedächtnis ungleich stärker prägte.
Stadt Münster
Foto: Bereits neun Jahre vor dem Mauerbau verhinderte die DDR-Führung mit der Schließung der innerdeutschen Grenze am 26. Mai 1952 einen Übertritt in die Bundesrepublik. © stock.adobe.com - Rick H.