Bulletin 72-4
"Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der 24. Februar markiert eine Zäsur in der deutschen Sicherheitspolitik. Das haben die heutigen Debatten hier noch mal sehr, sehr verdeutlicht. Ich sage ausdrücklich: Auch ich als Entwicklungsministerin unterstütze das Sondervermögen für die Bundeswehr. Viele haben gehofft – auch ich –, dass wir schrittweise in eine Weltordnung kommen, die Konflikte ohne Waffen lösen kann.
Aber Putins brutaler Angriffskrieg hat diese Hoffnung zerstört. Militärische Fähigkeiten sind notwendig; aber sie alleine führen uns nicht in eine friedliche Welt. Mehr noch: Sie dürfen nicht das erste Mittel der Wahl sein, weder in unserem Handeln noch in unseren Köpfen.
Neben dem täglich sich überschlagenden Ruf nach schweren Waffen müssen wir gemeinsam auch wieder unsere Stimme für nichtmilitärische Wege zur Konfliktbewältigung und vor allen Dingen zur Konfliktprävention erheben. Dafür braucht es eine starke Entwicklungszusammenarbeit, die Ungleichheit, die Hunger und die Armut als Treiber von Konflikten bekämpft, die Bildung, die Gesundheit, die zivilgesellschaftliche Kräfte und die Demokratieentwicklung stärkt. Das ist es, was eine friedliche Welt von morgen braucht.
Deshalb setzt die Bundesregierung auf einen Dreiklang aus Diplomatie, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik. Die Entwicklungspolitik mit ihrem langfristigen Ansatz, ihrer Partnerorientierung und ihrer starken lokalen Verankerung ist ein Kernstück dieser Strategie. Gleichzeitig kann die Entwicklungszusammenarbeit gerade durch diese Vernetzung schnell reagieren und negative Folgen von Kriegen abfedern. Nahrungsmittelknappheit und steigende Energiepreise dürfen unsere Partnerländer und das internationale System nicht weiter destabilisieren. Dieser Ansatz zahlt sich aus. Laut Berechnung der Weltbank reduziert jeder Euro, der in Resilienz investiert wird, die Kosten künftiger humanitärer Krisen um mindestens vier Euro.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Danke zu sagen: für die Unterstützung der Entwicklungspolitik in den Beratungen zum Haushalt 2022. 13,35 Milliarden Euro für Entwicklungspolitik, das ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit hier, und darauf werden wir weiter aufbauen müssen.
Durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine sehen wir alle die Notwendigkeit von Entwicklungszusammenarbeit hier in Europa. Ich bin letzte Woche in die Ukraine gereist, um den entwicklungspolitischen Part vor Ort zu betonen und noch mal über unsere zivile Unterstützung zu sprechen. Mein Ministerium hat Ende Februar mit einem Sofortprogramm auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert. Mit Ihrer Unterstützung konnten wir unser Sofortprogramm verstetigen, und so werden wir auch in Zukunft einen Beitrag leisten können.
Das Entwicklungsministerium knüpft damit an die seit 1993 bestehende Zusammenarbeit mit der Ukraine an, und diese Zusammenarbeit baut auf der Partnerschaft mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, den kirchlichen Zentralstellen, politischen Stiftungen sowie mit internationalen Organisationen auf. Ein Kernstück ist die Zusammenarbeit mit ukrainischen Kommunen. Sie funktioniert, und sie ist ein Beleg dafür, dass Entwicklungspolitik mittel- und langfristig wirkt; denn die Kommunen setzen gerade jetzt maßgeblich das entwicklungspolitische Sofortprogramm schnell und sehr wirksam um.
Ich kann Ihnen versichern, dass unsere Unterstützung vor Ort wirklich dringend benötigt wird. Ich war am Freitag in Borodjanka; das ist ganz in der Nähe von Kiew. Der Ort ist ein trauriges, ein furchtbares Beispiel für die Zerstörung durch die russischen Soldaten. Und jetzt, wenige Wochen nach dem Abzug der russischen Truppen, ist nicht nur die Notversorgung wiederhergestellt, sondern Borodjanka nimmt zusätzlich noch Binnenflüchtlinge auf. Ich bin wirklich beeindruckt von der Kraft der Menschen, dem Leid etwas entgegenzusetzen.
In der Zusammenarbeit mit der Ukraine haben wir es geschafft, kommunale Strukturen aufzubauen. Wir haben es geschafft, von über 11.000 Gemeinden jetzt zu rund 1.700 Gemeinden zu kommen, die vom Staat eben auch zusätzliche Aufgaben bekommen haben. Diese Struktur zahlt sich gerade jetzt aus. In so einer Krisensituation sind das funktionierende Einheiten, kommunale Verwaltungen, die schnell reagieren können. Das zeigt, dass eine solche langfristige Entwicklungszusammenarbeit sehr erfolgreich ist.
Wir müssen jeweils gucken: Was ist in den Partnerländern notwendig? Wie ist die Situation vor Ort? Man kann nicht vorher sagen: Oh, na klar, in fünf Jahren wird es einen Krieg geben, und deswegen machen wir jetzt dies und jenes. – Das lässt sich nicht so einfach planen. Deswegen ist der unmittelbare Kontakt, dieses Partnerschaftliche auf Augenhöhe, bei dem man eben nicht sagt:
„Wir wissen alles besser“, die Grundlage unserer Entwicklungspolitik, und das werden wir auch fortsetzen. Das gibt mir vielleicht die Gelegenheit, noch mal zu sagen, dass wir seit vielen Jahren mit solchen Gemeinden wie Borodjanka in der Ukraine zusammenarbeiten. Ich war sehr froh, dass ich jetzt in Kiew unseren Kolleginnen und Kollegen dort versichern konnte, dass wir ein starker Partner bleiben werden. Wir werden diese Unterstützung weiter ausbauen. Wir werden uns am Wiederaufbau einer freien und demokratischen Ukraine beteiligen. Unser Kanzler Olaf Scholz hat es ja heute hier in der Debatte noch mal eindeutig gesagt: Wir werden die Ukrainerinnen und Ukrainer so lange unterstützen, wie es nötig ist.
Die Folgen des Krieges sind darüber hinaus aber auch weltweit zu spüren. Es droht die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg. Die G7-Entwicklungsministerinnen und -minister haben Mitte Mai deshalb gemeinsam mit der Weltbank das Bündnis für globale Ernährungssicherheit gestartet. Das Bündnis, das ich vorangetrieben habe, wird bestehende Strukturen zur Bekämpfung von Hunger unter einem Dach zusammenfassen und kurz- und langfristiges Engagement international koordinieren. Unsere Zusage von 430 Millionen Euro für Ernährungssicherheit war ein ganz wichtiges Signal an unsere Partner. Mein Dank geht an Sie, dass Sie diese Zusage noch während der vorläufigen Haushaltsführung möglich gemacht haben.
Aber – das habe ich eben schon mal gesagt – der russische Angriffskrieg wird auch über die unmittelbaren Folgen in der Ukraine und in den Entwicklungsländern hinaus Folgen haben. Es zieht sich durch die heutige Debatte. Es erfordert eine neue Sicherheitspolitik mit einer gut ausgerüsteten Bundeswehr, einer klugen Diplomatie sowie einer starken Entwicklungspolitik, die künftigen Krisen vorbeugt. Die Schwerpunkte meiner Arbeit bleiben der Kampf gegen Hunger und Armut, die Just Transition, also der faire Wandel hin zu einer klimaneutralen Welt, der Einsatz gegen Covid-19 und für resilientere Gesundheitssysteme und eine feministische Entwicklungspolitik als zentraler Beitrag für Gerechtigkeit und Krisenprävention.
Ich erinnere mich noch gut an die erste Lesung. Unter allen demokratischen Fraktionen waren wir uns einig, dass der zweite Regierungsentwurf für den BMZ-Haushalt den globalen Herausforderungen nicht gerecht wird. Jetzt stehen für dieses Jahr 13,35 Milliarden Euro für die Entwicklungspolitik zur Verfügung. Das ist in etwa das Niveau der Ausgaben, mit denen das BMZ das Jahr 2021 abgeschlossen hat.
Dieser Haushaltsansatz erlaubt es, Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie weiter zu unterstützen. Von den Koalitionsfraktionen wurden wichtige Umschichtungen vorgenommen, etwa zur Stärkung einer feministischen Entwicklungspolitik. In der Bereinigungssitzung wurden noch zusätzliche Mittel bereitgestellt. Dass es so gekommen ist, war keine Selbstverständlichkeit. Ich danke Ihnen hier ausdrücklich für die Unterstützung.
Ich sage aber auch ganz deutlich: Sorgen bereitet mir – und damit komme ich zum Ende – der Ausblick auf die kommenden Jahre. Für 2023 sind in der Finanzplanung bisher nur 10,7 Milliarden Euro vorgesehen.
Angesichts anhaltender Herausforderungen bildet dies bereits jetzt die bestehenden Realitäten nicht mehr ab. Die Folgen des hoffentlich bald beendeten russischen Krieges werden uns lange fordern: in der Ukraine, in den östlichen Partnerländern und in vielen Entwicklungsländern. Afghanistan, Syrien und der Nahe Osten, der Sahel und das Horn von Afrika bleiben Hotspots von Konflikten und Hunger. Die verstärkte Zusammenarbeit mit vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist erforderlich, um den globalen Herausforderungen, vor allem dem Klimawandel und dem Verlust an biologischer Vielfalt, wirklich gemeinsam begegnen zu können. Deutschland muss auch in Zukunft einen angemessenen Beitrag zur Agenda 2030 leisten können, auch damit wir die militärischen Fähigkeiten, die wir jetzt schaffen, möglichst nicht nutzen müssen. Hier setze ich auch weiterhin auf Ihre Unterstützung für die Entwicklungszusammenarbeit und sage noch mal: Ganz herzlichen Dank."
Die Bundesregierung
Bild: Svenja Schulze/ BPA/ Steffen Kugler