Der mutmaßliche Attentäter von Hanau ist kurz vor seinen Morden wegen Falschparkens kontrolliert worden. Etwa eine Stunde vor dem ersten Mord habe der 43-jährige Tobias R. eine Anzeige erhalten, weil er auf einem Behindertenparkplatz stand, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP von Teilnehmern der Sitzung des Bundestagsinnenausschusses am Donnerstag. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sprach von einer "Blutspur" des Rechtsterrorismus.
Die Mitglieder des Innenausschusses wurden von Generalbundesanwalt Peter Frank über den Ablauf der Tat am Mittwoch vergangener Woche informiert. Der 43-jährige R. hatte im hessischen Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln aus rassistischen Gründen getötet, später wurde er ebenso wie seine 72-jährige Mutter tot in seiner Wohnung aufgefunden. Die Tat löste bundesweit Entsetzen aus.
Etwa eine Stunde vor dem ersten Mord gegen 22.00 Uhr hatte R. den Angaben zufolge seinen Wagen in der Nähe des Tatorts auf einem Behindertenparkplatz abgestellt. Das Fahrzeug müsse er nach der Anzeige dann umgeparkt haben, hieß es. Um 21.58 Uhr fielen die ersten Schüsse auf der Straße, ein Mensch wurde getötet. Anschließend ergriff R. die Flucht und erschoss auf der Straße einen weiteren Menschen.
Daraufhin begab sich der Täter zur Bar "Midnight", wo er vier Schüsse durch die Tür abgab und einen Menschen erschoss. Danach fuhr er in den Stadtteil Kesselstadt, wo er zunächst einen Menschen in einem Auto tötete und dann das Feuer im Vorraum eines Kiosks eröffnete. Dabei wurden vier Menschen erschossen. Vom Vorraum aus schoss der Mann zudem in die "Arena Bar", wo er einen Menschen tötete sowie zahlreiche weitere verletzte.
Um 22.10 Uhr floh R. demnach in seine Wohnung, dort wurde sein Auto eine Stunde später von der Polizei entdeckt. Der Zugriff durch ein Sondereinsatzkommando erfolgte gegen 03.00 Uhr morgens. Die Mutter des Schützen wurde mit zwei Kopfschüssen tot aufgefunden, der mutmaßliche Täter lag tot an einem Treppenabgang des Hauses. Der Vater wurde unversehrt angetroffen, er gilt derzeit nicht als verdächtig.
Frank sagte den Angaben zufolge im Innenausschuss, derzeit gebe es weiterhin keine Hinweise auf das Umfeld und mögliche Mittäter. Er verwies zugleich auf die laufenden Ermittlungen. Unter anderem würden mehrere Auslandsreisen des Tatverdächtigen untersucht, darunter eine Reise in die USA im November 2018.
Der Generalbundesanwalt kündigte an, er werde dem Innenausschuss eine Strafanzeige zur Verfügung stellen, die der mutmaßliche Attentäter im vergangenen November bei der Bundeswaltschaft gestellt habe. Darin sei "keine Gefährlichkeit" von R. erkennbar gewesen.
Den Angaben zufolge hatte R., der Sportschütze war, legal drei Waffen. Die Bluttat hatte unter anderem die Frage aufgeworfen, ob Waffenbesitzer besser auf ihre sogenannte Zuverlässigkeit geprüft werden können.
Seehofer bekräftigte nach seiner Teilnahme am Innenausschuss, es gebe in Deutschland eine "sehr hohe Bedrohungslage durch Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit". Eine offene Frage sei derzeit noch, ob "bei begründeten Zweifeln an der Zuverlässigkeit einer Person" künftig im Einzelfall der Waffenschein entzogen werden könne.
Ein Bündnis von Migrantenorganisationen appellierte an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), den von Gewalt und Ausgrenzung betroffenen Zuwanderern mehr Gehör zu verschaffen. Im derzeitigen Bundeskabinett gebe es niemanden, der "selbst über Erfahrungen mit Rassismus verfügt", hieß es in einem offenen Brief an Merkel. Das gelte auch für fast alle weiteren politischen Funktionsebenen.
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