Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster ist deutlich größer als bisher bekannt. Aus den Akten des Bistums ergebe sich eine Zahl von 610 Missbrauchsopfern und damit mehr als ein Drittel mehr, als in der 2018 präsentierten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz erfasst wurden, teilten die Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) am Montag mit.
Die an der Studie beteiligte Historikerin Natalie Powroznik sagte, die 610 Opfer seien nur das Hellfeld, das sich aus den Akten ergebe. Aus vergleichbaren Fällen sei von einem Dunkelfeld auszugehen, das acht- bis zehnmal so groß sei. Es gebe also "etwa 5000 bis 6000 betroffene Mädchen und Jungen" im Bistum Münster.
An den 610 namentlich bekannten Opfern seien mindestens 5700 Einzeltaten sexuellen Missbrauchs verübt worden. In der Hauptphase der Taten - die 60er und 70er Jahre - habe es in den Gemeinden des Bistums Münster im Durchschnitt zwei Missbrauchstaten durch Priester pro Woche gegeben. Drei Viertel der Opfer seien Jungen, ein Viertel Mädchen, der Großteil zwischen zehn und 14 Jahre alt.
Die Studienmacher berichteten von zum großen Teil massiven Missbrauchstaten mit erheblichen psychischen Folgen für die Opfer bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken. Bei 27 der namentlich bekannten Missbrauchsopfer im Bistum Münster seien Hinweise auf Suizidversuche gefunden worden. Powroznik sagte, immer wieder hätten Priester den Missbrauch zu einer "gottgefälligen" Handlung umgedeutet.
Der Münsteraner Bischof Felix Genn will sich am kommenden Freitag zu der Studie äußern. Die Studienmacher warfen dem seit 2009 in Münster als Bischof tätigen Genn Versäumnisse vor. Wenn ein Missbrauchstäter Reue gezeigt habe, sei Genn kirchenrechtlich nicht immer konsequent vorgegangen.
Erst in jüngerer Zeit werde in Münster konsequent vorgegangen. Massive Vorwürfe machten die Forscher dem verstorbenen Bischof Reinhard Lettmann, der immer wieder auch als pädophil bekannte Priester in der Seelsorge eingesetzt habe.
ran/cfm
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