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Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche

Die Studie zur „Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker im Bistum Münster“ wurde heute der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Aula des Schlosses ist am Montagnachmittag gut besucht um die Ergebnisse der Forschenden der Universität Münster entgegennehmen. Mehr als 500 Menschen nehmen online an der Vorstellung teil. Auch der Bischof des Bistum Münster, Felix Genn, ist als Zuhörer vor Ort. Ihm wurde die Studie heute Mittag übergeben.

Triggerwarnung: Im folgenden Artikel geht es unter anderem um sexualisierte Gewalt an Kindern.

 

Die Missbrauchsfälle sind flächendeckend und ganz bestimmt keine Einzelfälle.

 

610 Betroffene können von den Forschenden im Hellfeld identifiziert werden. Das Hellfeld umfasst alle Taten, die empirisch nachweisbar waren. Das Forscherteam stützt sich dabei auf zwei Säulen. Einerseits die beim Bistum in kirchlichen Akten vermerkten Taten und andererseits auf die Informationen über Taten von über 60 Betroffenen.  Das Dunkelfeld wird als bis zu zehnmal höher eingestuft. Die meisten Absprachen im Bistum wurden den Forschenden nach mündlich getroffen und sie gehen davon aus, dass die Bischöfe über die Missbrauchsfälle Bescheid wussten.

Die Betroffenen sind zu ca. drei Vierteln männlich und zu einem Viertel weiblich. Sie sind hauptsächlich durch ihre Kirchenbindung über den Ministrantendienst oder Ferienlager in den Fokus der Kleriker gelangt. Die meisten Betroffenen melden sich erst Jahrzehnte nach der Tat. Eine Zäsur stellt das Jahr 2010 dar in dem viele Missbrauchsfälle an die Öffentlichkeit gekommen sind.  

 

Bis zu 196 Beschuldigte erkennen die Forschenden im Untersuchungszeitraum von 1945-2020. Mehr als 4 Prozent aller Priester, die im Bistum Münster tätig waren, haben sich nach den Ergebnissen der Forschenden des sexuellen Missbrauchs auf verschiedenen Ebenen schuldig gemacht. 40 Prozent der Täter haben mehr als eine betroffene Person missbraucht. Auch über den Untersuchungszeitraum hinaus lassen sich 14 weitere Fälle identifizieren.

 

In 296 Fällen wurden so genannte „Hands on“- Taten identifiziert. Diese Taten umfassen in den Extremfällen, genitale Penetration, Oralverkehr, Masturbation, bis hin zu Küssen auf den Mund und Berührungen im Genitalbereich.


Für 90 Prozent der Täter blieb dies ohne strafrechtliche Konsequenzen.

 

Die Forschenden nennen Namen!

 

Um ihre Ergebnisse zu verdeutlichen haben die Forschenden zwölf Fallbeispiele unter den verschiedenen Bischöfen der vergangenen Jahrzehnte rekonstruiert. Diese legen, systematische Vertuschung, Vereitelung und Verharmlosung durch die Bischöfe des Bistums Münsters dar.

 

Die Erstmaßnahmen die bei bekannt werden eines sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster getroffen wurden, bleiben in fast der Hälfte der Fälle folgenlos, über Beurlaubung, Versetzungen in Klöster oder vorläufige Suspendierungen.

 

Nicht nur mangelnde Erstmaßnahmen lassen sich erkennen, sondern auch willentliche Strafvereitelung, so wurde beispielsweise unter Bischoff Michael Keller (1947-1961) aktiv ein Gerichtsprozess in ein anderes Bistum verlegt, um ihn dem Fokus der Öffentlichkeit zu entziehen. Einem anderen Täter wird zur Flucht verholfen.

Ein weiterer, schon als Sexualstraftäter verurteilter Pfarrer wurde unter dem Bischof Joseph Höffner (1962-1969) wieder als Pfarrer eingesetzt.

Auch Bischof Heinrich Tenhumberg (1969-1979) setzte Täter wieder ein und verhalf einem Priester in der Kinder- und Jugendseelsorge in Argentinien wieder tätig zu werden. 

Ein schon als „Grabbelpastor“ bekannter Kleriker wurde auch unter Bischof Reinhard Lettmann (1980-2008) weiterhin eingesetzt und der, unter ihm tätige Weihbischof Voß, erreichte eine Verschwiegenheitserklärung von Betroffenen von sexuellem Missbrauch. Lettmann selbst sprach 2002 noch von „Einzelfällen“ und betitelte es lediglich als „schmutziges Wäschewaschen“.

Unter dem amtierenden Bischof Felix Genn (2008-) gab es auch Verfehlungen und er brauchte laut den Forschenden eine lange Zeit, um den Missbrauch im Bistum ernst zu nehmen. 2015 durfte ein beschuldigter Priester trotz Verbot immer noch an einer Firmung teilnehmen. Genn tendierte dazu Missbrauchsbeschuldigte nicht mit der erforderlichen Sorgfalt zu behandeln und handelte mehr in seiner Tätigkeit als Seelsorger anstatt als Dienstvorgesetzter.

 

Die Betroffenen spielen eine große Rolle in der Aufdeckung und Aufarbeitung der Missbrauchsskandale und haben erheblich zu der Forschung beigetragen. Vielen Betroffenen gelingt dies erst im Erwachsenenalter. Durch die mediale Thematisierung werden immer mehr Betroffene dazu ermutigt auch ihre Geschichten zu erzählen.

 

Die kircheninterne Aufarbeitung nahm 2002 durch die Ernennung eines Moraltheologen als Beauftragten für sexuellen Missbrauch erstmals einen Anstoß. Darauf folgte eine Kommission für sexuellen Missbrauch die im Jahr 2008 ihre Arbeit aufnahm, jedoch 2010 nach einer großen Aufdeckung von sexuellem Missbrauch, auf Grund von Differenzen mit dem Bistum zurücktrat und 2016 aufgelöst wurde und durch einen Ansprechpartner ersetzt wurde. Nach Aussage der Forschenden führte aber auch der Umgang des Bistums und Ihrer Beschäftigten mit den Missbrauchsfällen zur Retraumatisierung von Betroffenen.

 

Die Forschenden schließen damit, dass die Forschung nicht die Aufarbeitung sein kann, sondern, dass die Aufarbeitung jetzt mit dem Wissen der Forschung geschehen muss.

 

Eine Einordnung der Studie gab der Vorsitzende des Betroffenenbeirats Martin Schmitz: „Die katholische Kirche fördert Strukturen, die um das Wohl der Täterorganisation bedacht sind und nicht um die Betroffenen.“, „Die Anklage kommt jetzt aus der Forschung und nimmt somit den Druck von den Betroffenen.“ Die Kirche sei mit dem Auftrag der Aufklärung überfordert und so sei der Staat in der Pflicht diese zu übernehmen.

 

Im Anschluss an die Vorträge war es dem Publikum möglich einige Fragen zur Forschung zu stellen. Unter anderem gab es Kritik auch an den Forschenden und Rücktrittsforderungen für den Bischof, welcher von Applaus im Publikum begleitet wurde.

 

Wenn auch Sie Erfahrungen mit Gewalt oder sexueller Gewalt erlebt haben und Hilfe benötigen, finden sie diese unter: 

Opfer-Telefon des Weißen Rings 116 006

Bundesweit. Kostenfrei. Anonym. Ein Hilfsangebot des WEISSEN RINGS: 7 Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr.

 

Hilfeportal sexueller Missbrauch

Tel. 0800 2255530

Datenbank für passende Hilfsangebote 

www.hilfe-portal-missbrauch.de