Das Flugverbot geht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurück. Dieser hatte angeordnet, dass zumindest einer der Asylbewerber vorerst in Großbritannien bleiben sollte. Der Iraker hatte angegeben, Folteropfer zu sein und sein Asylverfahren war noch nicht abgeschlossen. Das Straßburger Gericht erklärte, die Ausweisung solle ausgesetzt werden, bis die britischen Gerichte eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungen getroffen haben.
Dabei geht es um den Zugang der Abgeschobenen zu fairen Verfahren in Ruanda sowie die Einstufung des Landes als sicher. Diese Entscheidung ist für Juli vorgesehen.
Patel bezeichnete das Eingreifen des EGMR als "sehr überraschend" und versprach, dass "viele der von diesem Flug entfernten Personen auf den nächsten Flug gesetzt werden". Ihre Juristen prüften bereits "jede Entscheidung" und die Vorbereitungen für den nächsten Abschiebeversuch "beginnen jetzt".
Die Regierung von Premierminister Boris Johnson hatte trotz heftiger Kritik an dem Vorhaben festgehalten, illegal ins Land gekommene Asylbewerber per Flugzeug nach Ruanda abzuschieben. London hatte mit dem ostafrikanischen Land ein Abkommen geschlossen, um Migranten im Gegenzug für Zahlungen dorthin auszufliegen. Dies soll Menschen abschrecken, die Überfahrt über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu versuchen.
In der Nacht zum Mittwoch sollte das erste gecharterte Flugzeug Asylsuchende nach Ruanda bringen. Ursprünglich waren 130 Abschiebungen anvisiert. Am Ende buchten die britischen Behörden 31 Tickets. Diese Tickets wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Care4Calais nach und nach wegen ausstehender juristischer Entscheidungen wieder storniert.
"Ich kann nicht genau sagen, wie viele Menschen an Bord sein werden", sagte die britische Außenministerin Liz Truss am Dienstag, als bereits nur noch eine Handvoll Abschiebungen geplant war. "Das wirklich Wichtige ist, dass wir das Prinzip einführen."
Truss zufolge geht es bei der Maßnahme darum, Menschenhändlern die Geschäfte zu erschweren und Migranten davon abzuhalten, ihr Leben auf der Flucht nach Großbritannien zu riskieren. Gleichzeitig betonte sie, die Abschiebungen nach Ruanda böten ein "gutes Preis-Leistungs-Verhältnis", um die langfristigen Kosten der irregulären Migration zu senken.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk hält den britischen Ansatz hingegen für "völlig falsch". Die Kirche von England hatte die Maßnahme als "unmoralisch" und "beschämend" bezeichnet. Selbst der britische Thronfolger Prinz Charles findet die Politik Berichten zufolge "entsetzlich".
Die konservative Regierung von Johnson steht durch eine Rekordzahl an ankommenden Flüchtlingen aus Nordfrankreich politisch stark unter Druck. Dieser hatte im Wahlkampf eine deutlich schärfere Einwanderungspolitik nach dem Brexit versprochen.
Britische Medien berichteten jedoch, dass auch am Dienstag 260 Menschen, die versucht hatten, in kleinen Booten den Ärmelkanal zu überqueren, in den Hafen von Dover gebracht wurden. Seit Anfang des Jahres haben mehr als 10.000 Menschen auf diese Weise die britische Grenze überquert.
Die Regierung in Kigali hat die Kritik zurückgewiesen, dass Ruanda kein sicheres Land sei und schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung seien. Die ruandischen Oppositionsparteien haben jedoch bezweifelt, dass das Umsiedlungsprogramm angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit funktionieren wird.
Die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon warnte: "Jetzt müssen wir uns darauf vorbereiten, dem totalen Angriff der Konservativen auf die Europäische Menschenrechtskonvention standzuhalten, der sicher noch kommen wird." Laut der Tageszeitung "The Telegraph" könnte die britische Regierung ihren Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention überdenken, um den EGMR auszuhebeln.
fml
© Agence France-Presse