Wer die Treppe im Südflügel in den zweiten Stock des Schlosses emporsteigt und nach rechts abbiegt, sieht das marmorne Bildnis sofort. Die Augen blicken starr geradeaus, spitz treten die Wangenknochen hervor, der Mund ein dünner Strich. Seit 68 Jahren thront am Ende des langen Gangs vor dem Kanzlerbüro die Büste des WWU-Gründers Freiherr Franz Friedrich Wilhelm von Fürstenberg. Zur Linken hängen Fotografien aller Altkanzler der Universität seit 1945. An der Wand vor Kopf überblickt der in Stein gehauene Fürstenberg den Flur, ganz so, als wolle er sagen: Seht her, ich stehe zwar in der hintersten Ecke, aber ich bin immer noch da.
Seit 1929 ist die Büste im Besitz der WWU. Die Initiative geht zurück auf den damaligen Rektor Prof. Dr. Rudolph His, der sie anlässlich des 200. Fürstenberg-Geburtstags vom Bildhauer Albert Mazzotti für die Universität erwarb. Der universitäre Haushalt gab keine 5000 Reichsmark für Kunst her, deshalb fädelte er den Kauf geschickt ein: Zuerst lockte er die beiden Minister, die für die Universität zuständig waren, in eine Ausstellung mit dieser Büste. Dann bat er sie um jeweils 2500 Reichsmark. Sie willigten ein, die Plastik ging an die WWU.
Der Künstler Albert Mazzotti lebte von solchen Auftragsarbeiten, zu den bekanntesten im Stadtbild Münsters zählt das Kiepenkerl-Denkmal. Der Bildhauer stammt aus einer deutsch-italienischen Gipsgießer-Familie. Im 19. Jahrhundert war sein Vater nach Deutschland ausgewandert und hatte mit einer Münsteranerin eine Familie gegründet. Als Ältester von vier Kindern studierte Mazzotti an der Akademie der Bildenden Künste in München, um danach wieder nach Westfalen zurückzukehren.
Wie die Büste genau entstand, lässt sich nicht mehr eindeutig zurückverfolgen. „Die Details sprechen dafür, dass dem Künstler ein Abguss der Totenmaske Fürstenbergs als Vorlage diente“, sagt Dr. Eckhard Kluth, Kustos der WWU. Während beispielsweise die Wangen- und Mundpartien sehr fein ausgearbeitet sind, bleiben die Augen schematisch. Auch Hemdkragen und Jacke wirken unnatürlich steif, ohne Faltenwürfe oder Unregelmäßigkeiten.
Neben der Büste im Schloss gibt es eine weitere in der Universitäts- und Landesbibliothek, erschaffen vom klassizistischen Bildhauer Christian-Daniel Rauch. Weitere Bildnisbüsten Fürstenbergs wurden in den 1950er-Jahren angekauft. An prominenter Stelle erinnert zudem die Bronzestatue vorm Fürstenberg-Haus an den ersten Kurator der Universität. „Man könnte fast meinen, er sei der heimliche Universitätsheilige“, meint Eckhard Kluth angesichts dieser Fülle an Fürstenberg-Kunst. „Auch bei den Universitätsjubiläen in den Jahren 1930, 1952 und 1980 stand Fürstenberg im Mittelpunkt. Wilhelm II., nach dem die WWU benannt ist, spielte dagegen keine Rolle.“
Die Beziehung zwischen der Universität Münster und dem letzten deutschen Kaiser scheint also nicht so innig gewesen zu sein, wie die Namensgebung vermuten lässt. In Berlin war man 1902 verstimmt darüber, dass die münstersche Presse bereits über Gesuche von Stadt, Provinz und Universität zur Namensverleihung berichtete, bevor man die Meinung des Hofs dazu eingeholt hatte. Das Kultusministerium, so zeigen die Quellen, deutete dies auch nicht als Zeichen der Vaterlandsliebe, sondern als strategisches Manöver: Benannt nach dem Kaiser würde dem weiteren Ausbau der Universität nichts mehr im Wege stehen. Hinzu kam, dass Münster als alternativen Namensgeber den katholischen Fürstbischof Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels ins Spiel brachte, was im protestantischen Berlin für zusätzliche Missstimmung sorgte. Die Entscheidung für den heutigen Namen fiel erst, nachdem der ehemalige westfälische Landeshauptmann Ludwig Holle zum Kultusminister ernannt worden war. Eine feierliche Verleihung oder ein Festakt fanden nach dieser Vorgeschichte nicht statt.
Auch in der Kunst an der WWU gibt es nur wenige Hinweise auf Kaiser Wilhelm II. Überliefert ist lediglich die Existenz eines Ölbilds aus dem Jahr 1895, das in den 1920er-Jahren einer Diawand weichen musste und dann wahrscheinlich vernichtet wurde. „Franz von Fürstenberg ist dagegen bis heute lebendige Identifikationsfigur, das zeigt nicht zuletzt die Büste vorm Kanzlerbüro“, resümiert Eckhard Kluth.
WER WAR FÜRSTENBERG?
Freiherr Franz Friedrich Wilhelm von Fürstenberg war ein deutscher Politiker, er lebte von 1729 bis 1810. Eingesetzt vom Fürstbischof Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, reformierte er als Generalvikar Landwirtschaft, Militär, Kirche und Bildung im Münsterland und setzte sich für die Gründung der Universität ein, die schließlich 1780 eröffnete. Später wurde ihm das Ministeramt entzogen, die Aufsicht über das Schulwesen behielt er allerdings.
WWU
Foto: Gründungsvater und lebendige Identifikationsfigur: die Freiherr-von-Fürstenberg-Büste im Flur vorm Kanzlerbüro / © WWU - MünsterView