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OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen

Irmi ermittelt

Irmis erster Fall: Gitarren-Solo (Kapitel 1 und 2)

Kapitel 1

“Wie und warum soll ich mich um regionales Gemüse kümmern, wenn die Welt in Flammen steht.”

Für einen Augenblick sank die Zeitung ihres Gegenübers und gewährte Irmi einen kurzen Blick in das Gesicht ihres Ehemannes.

“Hast Du eine Ahnung, was da gerade in der Ukraine los ist? Niemand weiß, was daraus noch wird. Und Du fragst mich, ob ich mit Dir auf den Markt gehe?” Kopfschüttelnd hob Schmidt, wie Irmi ihren Mann  stets nannte, die Zeitung wieder vor sein Gesicht.

Was hatte sie auf die Frage, ob er sie zum Markt begleiten wolle, auch erwartet.

Verärgert biss Irmi in ihr Marmeladen-Brötchen. Jeden Samstag stellte sie diese Frage, und jeden Samstag wurde sie mit einer ironischen, an Sarkasmus grenzenden Antwort und noch schlimmer - mit diesem bedauernd herablassenden Kopfschütteln abgespeist.                                      

“Im Gegensatz zu Dir” schnappte sie zurück “sorge ich zumindest dafür, dass hier regionales Gemüse auf den Tisch kommt und trage so meinen Teil zu einem nachhaltigen Leben bei. Was haben die armen Ukrainer davon, wenn Du jeden Artikel und jeden Kommentar zur aktuellen Lage in jeder verdammten Zeitung dieser Welt studierst.

Während ich versuche plastikfrei einzukaufen, feuerst Du doch eigentlich nur die Abholzung der Wälder an.” Zufrieden mit dieser spitzen Retourkutsche lehnte sich Irmi auf ihrem Stuhl zurück.

“Gut gebrüllt, Löwe”. schmunzelte nun Schmidt hinter seiner Zeitung. “Schade nur, dass in deinen ökologischen Einkaufskorb allzu oft jede Menge Fleisch wandert, dessen Ursprung nicht ganz so nachvollziehbar ist.”

Irmi biss sich auf die Lippen, hatte ihr Mann doch gerade den Finger in die Wunde gelegt. Schon seit einiger Zeit versuchte sie, ins vegetarische Lager zu wechseln, aber ihre - im wahrsten Sinne des Wortes - Fleischeslust, hatte bisher jeden Versuch zunichte gemacht. “Ganz abgesehen davon” Schmidt legte seine Zeitung nun tatsächlich zur Seite “habe ich keine Lust, alle drei Meter stehen bleiben zu müssen, um Small Talk mit deinen Gymnastik-Freundinnen oder Literaturclub-Bekannten zu betreiben. “Das ist kein Literaturclub. Das sind die Frauen vom Bücherbus.” “Ich weiß” lächelte Schmidt sie nun an “aber Literaturclub hört sich viel besser an.”

“Na gut. Dann geh ich mal los und hole ein bisschen Grillfleisch für später.” schmunzelte Irmi schon wieder versöhnt. Im Flur schlüpfte sie in ihre bequemen Sneaker und warf sich ihre erst kürzlich erworbene “Fair -  trade”- Strickjacke über.

Die Frühlingssonne schien bereits durch die großen Fenster in das Wohnzimmer ihrer Altbauwohnung mitten im Kreuzviertel. “Das sollte warm genug sein” dachte Irmi, froh, endlich auf ihren schweren Wintermantel verzichten zu können. Sie schnappte sich besagten ökologischen Einkaufskorb und rief “Bis später Schmidt” in Richtung Küche. “Vergiss deine Tupperdosen nicht” kam es zurück.

“Such dir Freunde” retournierte Irmi beim Zuschlagen der Wohnungstür. “Ich habe Freunde...” hörte sie noch und lachte leise.

Ihr Schmidt war schon ein echtes Unikat. Am liebsten saß er zu Hause, umgeben von seinen Zeitungen und Magazinen.  

Schmidt beobachtete und kommentierte das Weltgeschehen aus ihrer 80 qm großen Wohnung heraus.

Nur einmal in der Woche ging er zum Kneipenquiz, um dort mit seinen seltsamen, etwas nerdigen Bekannten für das hohe Ziel, die Weltmeisterschaft im Kneipenquiz, zu trainieren, Wer ihn nicht gut kannte, hielt ihn für zynisch. Aber er besaß, wie Irmi wusste, einen sehr feinsinnigen - zugegebenermaßen - oft schwarzen Humor.                              


Seit Jahrzehnten schon nannte Irmi ihren Mann nur Schmidt.

Seine Witze, seine Schlagfertigkeit und sein Humor erinnerten sie an Harald Schmidt, und da er wirklich Harald hieß, war dieser Spitzname naheliegend.

“Eigentlich passen wir überhaupt nicht zusammen” dachte Irmi, als sie an

der Kreuzkirche vorbei, Richtung Promenade lief. Natürlich war auch Irmi interessiert an den Ereignissen in der Welt. Wichtiger und näher allerdings waren ihr immer die Menschen.

Sie interessierte sich für die Menschen in ihrer Nähe, für deren Schicksale. Wenn jemand Hilfe benötigte, war sie zur Stelle. Hatte stets ein Ohr für die Sorgen anderer, ging offen auf Alle zu, war aktiv im Sportverein, aber auch sozial engagiert. Ihr Terminkalender war, trotz Frührente mit 61, prall gefüllt.

Gedankenverloren überquerte Irmi nun die Münzstraße und schlenderte an der Fischbrathalle vorbei Richtung Markt.                          

Wie immer blieb sie an der Ecke der Überwasserkirche kurz stehen und betrachtete die eindrucksvolle Backstein-Architektur. Aus unerklärlichen Gründen liebte sie diese Kirche und zog sie Dom und Lambertikirche vor.

Gerade vor dem heute strahlend blauem Himmel ein unvergleichlicher Anblick.

Über die kleine Aa-Brücke lief Irmi zügig weiter. Gott sei Dank war, auch Dank regelmäßiger Gymnastikstunden, von ihrem schweren Bandscheibenvorfall, der ihr vor drei Jahre den frühen Renteneintritt ermöglicht hatte, nicht mehr viel zu spüren.


Als sich Irmi dem letzten Abschnitt des leichten Anstiegs zum Dom näherte, kramte sie schon nach dem Portemonnaie in der Tasche. Jeden Samstag und auch jeden Mittwoch steckte sie ihrem Lieblings-Straßenmusikanten, einem jungen Mann namens David, mit Gitarre und einer wunderbaren Stimme, ein paar Euro zu und lauschte ein paar Minuten seiner Musik.

Ab und an schmierte sie ihm zu Hause sogar ein Brötchen, um auch für sein leibliches Wohlergehen zu sorgen. Denn natürlich plauderten sie auch immer eine Weile miteinander. So hatte Irmi erfahren, dass der Großteil seiner Einnahmen, die sicher nicht allzu üppig ausfielen, für den großen Traum, durch Europa zu touren, draufgingen. “Auch wenn ich mir auf der Reise mein Geld auf der Straße erspiele, muss ich doch von A nach B kommen. Da ist ein kleines finanzielles Polster sicher sinnvoll” hatte David ihr erzählt.                                                                

Irmi hatte nie gefragt, wo er denn seine Ersparnisse aufbewahrte. Diese Frage kam ihr allerdings jetzt in den Sinn, denn David saß nicht an seinem Platz, vor dem schmiedeeisernen Tor am Ende der Straße. Schon wieder nicht, denn auch am Mittwoch hatte er hier nicht gespielt.

Ein ungutes Gefühl machte sich in Irmis Bauch breit. Wenn David sein ganzes Geld immer bei sich trägt, blieb dies sicher nicht unbemerkt.

War er überfallen worden? Nervös schaute Irmi sich um. “So ein Blödsinn. Selbst wenn er überfallen worden war, was ganz bestimmt nicht passiert war. Der Dieb würde sich nicht ausgerechnet hier und ausgerechnet jetzt herumtreiben. Und überhaupt: Irgendwo musste David ja wohnen und das Geld lag sicher zu Hause”.                                                                       

Irmis Gedanken überschlugen sich “und wenn er nun obdachlos ist? Dann könnte er das Geld nirgends deponieren”. Irmi schüttelte den Kopf.

David sah, trotz seiner Dreadlocks und seiner zerschlissenen Jeans immer sehr gepflegt aus.

Was aber war in dem großen Rucksack, der er bei sich trug? Sein ganzes Hab und Gut?” Irmi ärgerte sich, dass sich die Gespräche, die sie mit David geführt hatte, meist um seine künftigen Reiseziele wie Paris, Rom, Madrid und Barcelona gedreht hatten. “Statt ihn mit meinen touristischen Erinnerungen und Shoppingtipps zu nerven, hätte ich ihn besser  nach dem Hier und Jetzt in seinem Leben befragen sollen.” dachte sie nun. “Ich weiß gar nichts über ihn. Kein Ansatz, wo ich ihn finden könnte.” Zögernd setzte Irmi ihren Weg fort und bahnte sich den Weg durch die vielen Marktbesucher, an den verschiedenen Blumenständen vorbei, bis zu ihrem “Stamm-Gemüsestand.  

“Muorn Irmi!” Heinz, der Marktstandbetreiber hatte seine Lieblingskundin direkt entdeckt und begrüßte sie im breiten Münsteraner Plattdeutsch. “Wo geiht di dat?” “Muorn Heinz. ” lächelte Irmi ihren regionalen Gemüselieferanten an und reichte ihm ihren Korb. “Leg mir mal was Schönes rein für einen bunten Salat als Beilage zum Grillen heute Abend”. “Na denn.” Wie die meisten Westfalen war auch Heinz kein Freund der vielen Worte. Geschäftig griff Heinz nach dem Korb und Irmi sah zu, wie frischer Feldsalat, Radieschen, Lauchzwiebeln und Tomaten in ihrem Korb verschwanden. Auf die Auswahl von Heinz konnte sie sich verlassen.

“Du sag mal Heinz, du kennst doch diesen jungen Straßenmusikanten, der da unten immer an der Ecke steht. Hast du den in letzter Zeit mal gesehen?” Kurz hielt Heinz mit einer roten Zwiebel in der Hand inne. “Dän häb ́k auk aal lang nich mäer sain!” Den habe ich hier auch schon lange nicht mehr gesehen übersetzte Irmi in Gedanken. “Ach, ist auch nicht so wichtig. Der ist nächsten Mittwoch bestimmt wieder da.”

Irmi nahm, den nun schon gut gefüllten Korb entgegen und gab Heinz einen    Zehn- Euro-Schein. “Passt so, danke Heinz”. Heinz nickte und wandte sich mit einem fröhlichem “Guёt gaon Irmi” der nächsten Kundin zu.
Als Irmi nach einer Stunde ihren Einkaufszettel abgehakt hatte, traf sie sich tatsächlich noch mit ihrer Gymnastik-Kollegin Susanne und ihrer Freundin Vreni aus dem Bücherbus, die sie während ihrer Marktrunde getroffen hatte.

Eine Stunde und zwei Kaffee sowie ein Mettbrötchen später, begannen die ersten Buden des Marktes schon mit dem Abbau. “Ab nach Hause” dachte Irmi, winkte ihren Freundinnen noch einmal zu und machte sich, ob der Schwere ihres Einkaufskorbes, nicht mehr ganz so schnell auf den Heimweg.
“Bin wieder da!” rief sie in die Wohnung, als sie die Tür im zweiten Stock aufschloss. “Na, da hat sich ja wohl jemand verquatscht. Wusste ich doch! Wie gut, dass ich nicht mitgekommen bin.” “Stimmt gar nicht” flunkerte Irmi spontan. “Ich hab David gesucht.” Irmi stellte ihren vollgepackten Korb auf den Küchentisch, an dem Schmidt von seinen Zeitungen umgeben saß.
“Wen?” fragte die Stimme hinter einer dieser Zeitungen. “Na David. Hab ich dir doch erzählt. Der nette junge Mann mit der Gitarre, mit dem ich mich manchmal unterhalte.” “Keine Ahnung, wen du meinst”. “Mensch Schmidt. Hörst du mir eigentlich nie zu? Der Straßenmusikant. Der, der durch Europa reisen möchte. Der war nicht da. Irgendwie mache ich mir Sorgen. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Nicht, dass da was passiert ist.”
Ungerührt blätterte Schmidt seine Zeitung um. “Was soll da schon passiert sein. Wir sind in Münster. Hier passiert nichts. Wahrscheinlich ist der schon abgehauen und geht jetzt den Franzosen im Quartier Latin mit seiner Mucke auf den Wecker”.

   

Empört schnappte Irmi Schmidt die Zeitung aus den Händen. “David spielt und singt sehr schön. Was du wüsstest, wenn du einmal mitgekommen wärst. Und außerdem hätte er sich von mir verabschiedet. Wir sind nämlich befreundet.” “Ach ja?” seufzte Schmidt und eroberte sich seine Zeitung
zurück, “Warum gehst du dann nicht einfach einmal bei ihm zu Hause vorbei und schaust, ob es ihm gut geht?”                                               

Resigniert ließ sich Irmi auf den Stuhl fallen. “Weil ich nicht weiß, wo er wohnt”, gab sie kleinlaut zu. “Tja. Kommt häufiger vor, dass man nicht weiß, wo die Freunde wohnen.” Irmi schwieg. “Warte halt bis Mittwoch. Dann spielt er bestimmt wieder. Und wenn nicht, überlegen wir gemeinsam, was wir machen.”

“Danke Schmidt. Du bist toll! Dafür bekommst du heute das Lammfilet vom Grill.” Irmi umrundete den Tisch und drückte ihrem
Schmidt einen dicken Schmatzer auf die leider nicht mehr sehr üppige Haarpracht. “Feinstes Biofleisch direkt beim Bauern geschlachtet. Ich habe extra nachgefragt.” “Also hatte das Lamm ein glückliches, wenn auch kurzes Leben” konstatierte Schmidt grinsend. Auch Irmi musste lachen. “Besser kurz und glücklich als lang und unglücklich. Ich bereite dann mal
den Salat vor. Der ist von Heinz” “Wer ist denn Heinz” nuschelte Schmidt, ohne eine Antwort zu erwarten.

Kopfschüttelnd begann Irmi ihren Einkaufskorb auszupacken. “Ich werde bestimmt nicht bis Mittwoch warten” dachte sie. “Gleich morgen gehe ich zur Polizei. Ich hab es irgendwie im Urin. Da stimmt was nicht.”


Kapitel 2

Am nächsten Morgen erwachte Irmi, wie gewohnt, früh um 6.30 Uhr. Ihre innere Uhr hatte die Jahrzehnte der Berufstätigkeit noch immer abgespeichert. Dabei war heute Sonntag und sie hätte gut und gern noch zwei Stündchen weiterschlafen können. Nachdem Irmi jedoch durch den Gardinenspalt einen Blick nach draußen geworfen und den strahlend blauen Himmel erblickt hatte, hielt sie nichts mehr neben dem schnarchenden Schmidt. “Seltsam” dachte sie. Als sie Schmidt kennenlernte, hatte sie das penetrante Schnarchen ihres Mannes nicht gestört. “Oder hat der damals gar nicht geschnarcht?”                               

Irmi warf die Beine über die Bettkante und erhob sich stöhnend aus dem Bett. “Vielleicht werden wir alle im Alter auf die ein oder andere Weise lauter” dachte sie schmunzelnd. Noch vor ein paar Jahren war sie mühe- und vor allen Dingen geräuschlos aus dem Bett gesprungen.” Irmi streckte kurz ihren schmerzenden Rücken und tappte durch das Schlafzimmer ins Bad. Nach einem Blick in den Spiegel spann sie ihr Gedankenspiel weiter “Lauter, aber nicht schöner”. Sie streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus “Wenn wenigstens das Wissen und die Weisheit endlich kommen würden, die man älteren Leuten immer nachsagt. Aber was weiß ich schon? Ich weiß ja nicht einmal, wie Davids Nachname lautet”. Der Gedanke an David hatte sie schon den ganzen gestrigen Abend verfolgt. Natürlich hatte sie nichts gesagt, denn auf die Kommentare von Schmidt hatte sie gut verzichten können.

Was könnte sie unternehmen, um David zu finden? Sollte sie wirklich bis zum nächsten Markttag warten? Und wenn er dann wieder da war? Würde sie nicht wertvolle Zeit verschwenden? Entschlossen stieg Irmi unter die Dusche, um ihren gestern gefassten Plan in die Tat umzusetzen. Sie würde sich nicht bis Mittwoch gedulden. Sie würde jetzt zur Polizei gehen. Vielleicht gab es ja Informationen zu einem überfallenen, unbekannten Obdachlosen. Frisch geduscht und mit einem Toast in der Hand, zog sich Irmi eine halbe Stunde später ihre Schuhe an. Auf dem Küchentisch lag eine kurze Notiz für Schmidt “Mache mich auf die Suche nach David. Drück mir die Daumen. Kuss! Bis später!”                  

 Schmidt und sie schrieben sich ständig kleine Nachrichten und Zettelchen. Musste Schmidt früher beruflich verreisen, versteckte Irmi stets einen Zettel in seinem Koffer. Im Laufe der Jahre war die Poesie der Inhalte zwar den Hard Facts des Informationsaustausches gewichen, aber der Kuss am Ende einer jeden Nachricht war geblieben. Irmi schlüpfte in ihren Mantel und öffnete gerade die Tür, als sie Schmidt aus dem Schlafzimmer rufen hörte: “Vergiss Dein Handy mit dem Foto nicht!” “Was meinst Du?” rief sie von der Wohnungstür aus zurück. “Na, es kann ja nicht schaden, der Polizei das Selfie von David und Dir, das Du vor ein paar Wochen gemacht hast, zu zeigen.

Wenn Du schon keinen Namen hast, solltest Du wenigstens ein Gesicht haben.” Irmi stutzte.

Woher zum Teufel wusste Schmidt, dass sie zur Polizei wollte. Langsam ging sie den Flur zurück, an der Küche vorbei, bis zum Schlafzimmer. Schmidt lag seelenruhig im Bett und blätterte im Magazin, das er gestern auf seinem Nachttisch platziert hatte. “Woher...?” “Bitte! Ich kenn Dich doch. Dieser David geht Dir nicht aus dem Kopf. Und Du hast das Gefühl, wenn Du nicht sofort etwas unternimmt, bleibt er hilflos hinter der Leitplanke am Autobahnkreuz liegen, wo ihn skrupellose Gitarren-Diebe brutal aus dem Auto geworfen haben, weil er seine paar Kröten nicht rausrücken wollte.” Irmi stemmte die Hände in die Hüften und schnaubte verärgert durch die Nase “Also Schmidt, das ist doch... also ich weiß gar nicht...” Irmi atmete kurz durch: “Ja okay, Du hast recht. So ein ähnliches Szenario ist mir durch den Kopf gegangen,” gab sie dann - immer noch leicht verschnupft - zu. “Na also! Und wenn sie den armen Tor schon von der Straße gekratzt haben, können sie ihn vielleicht mit Deinem Foto identifizieren.” “Wie kann man nur so...” Wieder unterbrach Irmi sich selbst, denn natürlich hatte Schmidt recht. Wie hatte sie nur das Foto vergessen können.                          

Auch damals war es ein sonniger Tag und der Klingelton ihres Handys, ein alter Udo Jürgens-Hit, hatte die Plauderei mit David unterbrochen. Nach dem Telefonat mit Anneliese, einer alten Schulfreundin, hatte Irmi gut gelaunt neben David posiert und aus Versehen gleich mehrfach den Kamera-Auslöser betätigt. Die wirklich sehr witzigen Bilder hatte Schmidt damals gar nicht richtig angeschaut, war er doch einmal mehr in die Konflikte dieser Welt abgetaucht.

Wenn Irmi sich recht erinnerte, hatte Schmidt nur ein müdes: “Oh Gott. Wie peinlich. Gut, dass ich hier geblieben bin” genuschelt. Eine spitze Bemerkung lag ihr bereits auf der Zunge. Gerade noch rechtzeitig schluckte Irmi ihr “Ich erlebe wenigstens etwas” runter, denn jetzt war nicht die Zeit für einen weiteren Schlagabtausch mit Schmidt. “Dass Du daran gedacht hast.” strahlte sie ihn stattdessen an. “Danke Schmidt. Die Bilder könnten tatsächlich sehr hilfreich sein. Jetzt muss ich nur noch...”                                                                                                    

“Dein Handy liegt auf dem Sideboard im Flur. Habe ich gestern noch geladen.” Gerührt tätschelte Irmi Schmidts nackten Fuß, der unter der Bettdecke hervor lugte. “Lass das. Ich bin doch kein Hund. Bring mir lieber auf dem Rückweg Deiner irren Suche das neue Wissenschaftsmagazin vom Kiosk mit.” Irmi tätschelte erneut Schmidts Fuß. “Dann bleib mal schön im Körbchen und warte brav auf Frauchen. Die bringt Die ganz tolle Leckerlis mit”. Lachend drehte sich Irmi zur Tür, lief den Flur entlang, griff sich das Handy und verließ schnellstmöglich die Wohnung.


Zielstrebig schlug sie den Weg Richtung Stadt ein. Das Polizeipräsidium am Friesenring lag zwar näher, aber Irmi vermutete dort ausschließlich die Verwaltung. An der Polizeistation direkt neben der Clemenskirche, in der seit einiger Zeit dieses Kunstwerk von Richter hing, gab es auf jeden Fall so eine Art Wache. Zumindest konnte man dort - hoffentlich auch Sonntags - klingeln und sein Anliegen vortragen. Um diese Uhrzeit herrschte auf dem Roggen- und dem Prinzipalmarkt mit seinem Kopfsteinpflaster noch eine sonntägliche Ruhe.

Die Fassaden der Häuser, die den Prinzipalmarkt säumten, waren Gott sei Dank, nach dem Krieg nach historischen Vorlagen wieder aufgebaut worden, so dass sich Irmi in der Stille des frühen Morgens wie aus der Zeit gefallen fühlte. Fast erwartete sie, dass ihr gleich eine alte Kutsche entgegenkommen würde - mit echten Pferden und nicht mit Elektroantrieb -

wie es ja heute für die Stadtrundfahrten üblich war.                                                                                                                                                                                                                             

Als Irmi jedoch in die Salzstraße bog und ihr Weg nun von Geschäften wie Primark und Rossmann flankiert wurde, kehrte Irmi schnell wieder zurück ins Hier und Jetzt. An der Wache angekommen, zögerte sie nun doch, bevor sie auf die Klingel drückte. War sie - wie Schmidt sagte - vielleicht wirklich zu besorgt? War David tatsächlich schon auf dem Weg nach Paris? “Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig.” dachte sie dann jedoch, legte den Finger auf den Knopf und klingelte. Ein Summer ertönte und sie trat ein.                                                                              Hinter dem Tresen stand ein junger Polizist, der sie freundlich musterte.

“Wo drückt denn der Schuh am frühen Morgen, junge Frau” begrüßte er sie. “Ähm, also ich wollte mal fragen...” Nach diesem etwas holprigen Start konnte Irmi ihre Geschichte dann doch flüssig vortragen und schloss mit den Worten: “Ich hätte hier auch ein paar Fotos, falls sie die brauchen für eine Identifikation.” Geduldig hatte der Polizist Irmis Bericht gelauscht, hob jetzt jedoch die Hand “Lassen Sie mal stecken. Die Fotos brauchen wir nicht.

Also wir dürfen Ihnen sowieso keine Auskunft erteilen. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann sind Sie mit dem vermeintlich Vermissten nicht verwandt. Sie kennen nicht einmal seinen Nachnamen und wissen rein gar nichts über seine Lebensumstände und Gewohnheiten. Der junge Mann scheint recht freiheitsliebend zu sein. Der könnte überall sein. Vielleicht besucht er Freunde, hat sich eine andere Stelle zum Musizieren gesucht, oder er ist tatsächlich schon auf seinem Trip. Ohne Nachnamen können wir nicht einmal irgendwo nachfragen. Und überhaupt. Dieser David ist doch offenbar bereits volljährig.


„Also...”. “Das weiß ich ja alles selber”, unterbrach Irmi den Redefluss ihres Gegenübers. “Aber ich habe da ein ganz komisches Bauchgefühl.” “Was Falsches gegessen?” scherzte der Beamte. Irmi zwang sich zu einem schmalen Lächeln. Am liebsten hätte sie dem humorigen Typen jetzt mal so richtig die Meinung gegeigt. Aber wenn sie noch irgendetwas erfahren wollte, musste sie wohl gute Miene zum bösen Spiel machen.                                                                                                                                                                                                                                      “Sie sind ja echt witzig. Leider ist mir so gar nicht zum Scherzen zumute. Können Sie mir wenigstens sagen, ob in Münster seit letztem Mittwoch ein Polizeieinsatz stattgefunden hat. Wurden Sie, beziehungsweise Ihre Kollegen, zu einem Überfall gerufen. Ist irgendetwas passiert, das Sie vielleicht mit meinem Fall verknüpfen können?”  

“Ihr Fall, so, so!” Der Polizist betrachtete sie nun sehr ernst und irgendwie streng. “Versuchen Sie nicht, auf eigene Faust zu ermitteln.

Das könnte gefährlich werden, verstanden?” “Ja, ja. Verstanden” beeilte sich Irmi zu erwidern. “Ich möchte ja nur beruhigt in den Sonntag starten. Wenn Sie mir versichern, dass in den letzten Tagen nichts passiert ist, das mit meinem Fall - äh - ich meine - mit meinen Befürchtungen zu tun hat, dann bin ich mein schlechtes Gefühl los, und ich gehe nach

Hause, um meinem Mann ein gutes Essen zu kochen. ”

Apropos Schmidt. Sie durfte auf keinen Fall dieses blöde Magazin vergessen, denn dann könnte sie getrost den kompletten Sonntag vergessen. “Na gut.” seufzte der Beamte entnervt. “Es heißt ja nicht umsonst, die Polizei - Dein Freund und Helfer”. Gebannt beobachtete Irmi, wie die Finger des Mannes über die Tastatur des vor ihm platzierten Computers huschten. “Wenn ich so schnell tippen könnte” dachte Irmi “würde ich glatt einen Roman schreiben. Ein paar erzählenswerte

Anekdoten hatte ihr Leben schon zu bieten.” Ein Griff zur Maus und der Polizist scrollte durch die geöffnete Datei. “Entwarnung” rief er nach einigen Minuten fast enthusiastisch.

“Nicht viel los gewesen in Münster seit Mittwoch. Na ja, diese Fridays for Future- Demos sind ja fast schon Routine - auch wenn sie ganz schön viel Personal binden. Personal, das übrigens woanders oft fehlt.” Innerlich verdrehte Irmi die Augen. Die paar Jugendlichen, die seit der Pandemie überhaupt noch auf die Straße gingen, waren doch nun wahrlich keine Herausforderung. Und überhaupt. Auch die Polizei wird vom Klimawandel betroffen sein. “Den Bremer Platz haben wir fest im Griff. Da gab es zwar einige Festnahmen... aber nur Drogendelikte”. Na, der plaudert ja ganz schön aus dem Nähkästchen. Irmi grinste vor sich hin. “Ja.” Sie können sich freuen. Keine Meldung wegen eines Überfalls unter Beteiligung eines Musikinstrumentes.” Hier reiht sich ja ein Kalauer an den nächsten.           

Wieder verbot sich Irmi eine trockene Bemerkung. “Ich danke Ihnen. Das ist wirklich sehr beruhigend! Dann geh ich jetzt mal nach Hause. Vielleicht ist der junge Musiker nächsten Mittwoch wieder da und alles klärt sich auf.” “Machen Sie das. Einen schönen Sonntag noch. Ihr Mann hat ja echt

Glück mit Ihnen. Gibt ́s ja nur noch selten, dass die Frau für einen ordentlichen Sonntagsbraten sorgt”. “Da haben Sie wohl recht” erwiderte Irmi und musste sich ein Lachen verkneifen. Denn bei ihnen zu Hause, war die Küche Schmidts Revier.



Nächste Woche Sonntag geht es weiter.....