Im Laufe der nächsten Monate – und hierbei habe ich mir die nicht besonders ambitionierte Zahl von zehn Beiträgen in einem vierzehntägigen Rhythmus gesetzt – möchte ich mich am Genre der Kolumne versuchen. Ferner drücke ich mich zu Beginn um die qualvolle Aufgabe der Themenwahl und versuche euch, meiner neuen, kleinen Community von Lesenden, unzureichend zu erklären, was sie in den folgenden Monaten erwartet. Ich nehme mir die Freiheit raus euch zu Duzen.
Als studierter Philosoph und Musikwissenschaftler – und ja, so darf man sich nach einem Bachelor of Arts bereits nennen – mag ich zwar ein minimales Gut an fachlicher Reife mit in diese Kolumne bringen, würde aber behaupten, dass meine starken Meinungen und anderweitigen Interessen diese Blickwinkel häufig trüben. Also lasst uns meine Interessen untersuchen, um herauszufinden, was euch in den nächsten Wochen erwarten könnte:
„Seht, ein Mensch!“ Ich kann an dieser Stelle nicht erklären, wieso ich eine Leidenschaft für die Philosophie habe, und ich werde vermutlich auch an der Darlegung der darauffolgenden Interessensgebiete scheitern. Ich kann allerdings sagen, dass ich mich an philosophischen Eindeutigkeiten störe. Denkrichtungen wie die Stoa oder auch viele Teile der analytischen Philosophie stoßen mich ab. Dies mag stark durch meine philosophischen Expertisen geprägt sein: So finde ich Spaß an der nicht erfassbaren Komplexität des Menschen und seinen kulturellen Produkten. Disziplinen wie die Ästhetik, die politische und soziologische Theorie, die soziale Erkenntnistheorie und viele mehr versuchen eben diese zu fassen und entziehen sich häufig einer verallgemeinerbaren Logik. So haben wir zumindest eine Erklärung für meine Leidenschaft für die Philosophie finden können: Die Uneindeutigkeit des menschlichen Daseins.
Popkulturelles scheint mir in unserer Gesellschaft einer besonderen Dynamik zu folgen: (1) Sie scheint mir die Gesinnungsantipode zur Hochkultur zu sein, und sich gerade in dieser Ablehnung selbst zu definieren. (2) Zudem ist sie einem gewissen Verhandlungsakt unterworfen. Popkulturelle Güter werden von einem kreativen Milieu geschaffen, und von der in der Popkultur dominanten Klasse performt. Häufig stimmen diese beiden überein. (3) Die Popkultur, entgegen dem allgemeinen Verständnis, muss nicht von der Mehrheit der Gesellschaft gemocht werden. Ihre Popularität schafft sie sich über ihre eigene soziale Nische. Von dort aus schafft sie ihren Weg in den Zeitgeist. Aber nicht bloß als Laien-Soziologe interessiere ich mich für das Thema der Popkultur. Ich bin in der Regel etwas zu genau darüber informiert, welchen Skandal Montana Black schon wieder ausgelöst hat, wer der Nachfolger von Virgil Abloh, also der Art Director von Off-White ist, oder ob Jake Paul in der Pressekonferenz zu seinem Kampf gegen Hasim Rahman Jr. verunsichert wirkte.
Der Raum des Politischen ist ein weiterer roter Faden, der sich durch diese Reihe an Kolumnen hindurchziehen wird. Um nun die küchenpsychologische, oder um wissenschaftlicher zu klingen, die psychoanalytische Brille aufzuziehen, werfen wir einen kurzen Blick in meine Kinderstube. Erzogen – manche würden behaupten "verzogen“ – und ich bin keiner davon – wurde ich von meiner links-grün versifften Mutter, die sowohl in der Anfangsphase der Grünen mitlief, und äußerst aktiv gegen Kernkraftwerke demonstrierte, zu denen sie selbst mich in den 2000ern noch mitschleppte. Mein Vater ist noch linker als meine Mutter. Wenn er an die Macht kommen würde, würde er die Börse schließen lassen und vermutlich sprengen. Meinen Einwand, dass dies zu Beginn vor allem den armen Menschen, gerade im globalen Süden, schaden würde, und man dies sukzessive angehen müsste, möchte er nicht hören. Über den ungehörigen Marktimperialismus und das unmoralische, gar perverse Verhalten der meisten Börsenunternehmen sind wir uns einig. Man kann sich vorstellen, dass unsere Gespräche zu Weihnachten schon gern mal schreiend verlaufen – den gerade meine Geschwister wählten die familieninterne Revolution des Marktliberalismus – bloß um im nächsten Moment wieder innig zu werden. Wo mag mein starkes politisches Bewusstsein oder meine Liebe für harten Diskurs bloß herkommen?
Um ein weiteres Kulturgut zu nennen, für das meine Seele brennt und das sich sehr gut in meine bereits genannte Auflistung einfügt, ist die sozialste aller Künste (um von Nietzsche zu stehlen) – die Musik. Auch hier mag meine väterliche Sozialisation eine wichtige Rolle gespielt haben. Aufgezogen wurde ich mit Bands wie Miles Davis Quintet, Jimmy Hendrix Experiments oder Pink Floyd, aber selbst die verschiedensten Free Jazz Kombos musste ich mir zu Gemüte führen. So versuchte ich, es in meiner rebellischen Jugendphase mit modernen Bands des Heavy Metals, Death Metal oder Grindcore zu distanzieren, bloß um am Ende meiner Teenie-Jahre zurück zu kommen. Die eine Sache bei der mein Vater wohl schon immer Recht hatte. Zudem kauften meine Eltern mir meine erste Gitarre und zahlten Unterrichtsstunden, sodass auch das Musizieren ein Teil meines Alltages sein darf. Im Zuge des musikwissenschaftlichen Studiums, auf das ich zum Glück nach meiner vergeigten Musikaufnahmeprüfung, aufmerksam geworden bin, erkannte ich zusätzlich mein Gefallen an der Musik des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts und an der Neuen Musik. Heutzutage bin ich von meinen Hörgewohnheiten ein musikalischer Allrounder und finde auch einen großen Spaß an der immer komplexer und grandioser werdenden Popmusik.
Wer spricht nicht gerne über sich selbst? Ihr werdet bereits gemerkt haben, dass mein Text eine äußerst persönliche Note aufweist. Dies liegt nicht bloß an einer Art Vorstellungsrunde für zukünftige Lesende, sondern ist eine klare bewusste stilistische Entscheidung. Gerade diese Selbstbezüglichkeit fällt mir äußerst leicht, da ich einfach über mich und meine nicht selten verworrenen Gedanken schreiben darf. Zudem kann man sich äußerst geschickt hinter seiner eigenen Unwissenheit verstecken. Authentizität soll außerdem äußerst gut ankommen, und wer möchte nicht gut ankommen?
Nachdem ihr nun erfahren habt, dass meine Interessensgebiete denen der meisten mitzwanziger Kolumnist*innen entsprechen, wollen wir meinen ganz persönlichen Mehrwert an dieser Kolumne offenlegen: Ich habe das Gefühl, dass ein großer Teil meiner späteren Karriere im Schreiben liegt. So habe ich die vermessene Hoffnung, entweder als wegweisender Wissenschaftler und großer Schreiberling die Welt zu verändern oder mich zumindest in einem der großen respektive zumindest kleinen Feuilleton-Häuser am Kaffeeautomaten rumschlagen zu dürfen. Doch hierfür sollten meine Worte nicht bloß gelesen, sondern gerne gelesen werden. Kolumne als Schreibübung.
Nun da ihr es durch die Wirren dieser ersten Absichtserklärung geschafft habt ist euch vermutlich klar, was die nächsten Wochen passieren wird. Mir nicht, aber ich freue mich drauf!
Text- und Bildrechte: Marcel Guthier.