Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Erstürmung des US-Kapitols hat dem damaligen Präsidenten Donald Trump vorgeworfen, der Gewalt seiner Anhänger stundenlang bewusst keinen Einhalt geboten zu haben. Der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson sagte am Donnerstagabend (Ortszeit) in Washington (Wiki) bei einer öffentlichen Anhörungen des Gremiums, Trump habe den "Pfad der Rechtlosigkeit und Korruption" eingeschlagen, um sich an der Macht zu halten. Zum Schutz der Demokratie seien "harte Konsequenzen für die Verantwortlichen" des 6. Januar 2021 nötig.
Der Rechtspopulist habe nach seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 "alles in seiner Macht Stehende getan, um eine Wahl zu kippen", sagte Thompson, der wegen einer Corona-Infektion per Video sprach. "Er hat gelogen, er hat gemobbt, er seinen Eid verraten. Er hat versucht, unsere demokratischen Institutionen zu zerstören." Es müsse jetzt "Rechenschaft vor dem Gesetz, Rechenschaft vor dem amerikanischen Volk" geben, mahnte der Abgeordnete der Demokraten von Präsident Joe Biden.
Der Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses befasste sich am Donnerstag mit den Ereignissen am Tag der Kapitol-Erstürmung selbst. Der republikanische Abgeordnete Adam Kinzinger (Wiki) sagte, Trump habe sich am 6. Januar drei Stunden lang geweigert, die Angreifer auf das Kongressgebäude zurückzurufen - und damit seinen Amtseid verletzt. "Von der Behaglichkeit seines Speisesaals aus hat er Fernsehen geschaut, während der Angriff eskalierte."
Nicht einzugreifen sei kein Versehen des damaligen Präsidenten gewesen, sagte der parteiinterne Trump-Kritiker. "Er hat sich entschieden, nicht zu handeln." Der "Mob" habe mit der Erstürmung des Kapitols die Zertifizierung von Bidens Wahlsieg unterbrochen - und damit das Ziel des abgewählten Präsidenten erfüllt. "Deswegen ist er natürlich nicht eingeschritten."
Der U-Ausschuss veröffentlichte auch Aufnahmen von Aussagen früherer Mitarbeiter des Weißen Hauses. Der damalige oberste Rechtsberater des Weißen Hauses, Pat Cipollone, sagte aus, er und andere hätten Trump aufgefordert, seine Anhänger zum Verlassen des Kapitols aufzurufen. "Ich denke, ich habe ziemlich deutlich gemacht, dass eine sofortige und eindringliche öffentliche Erklärung nötig war, dass die Leute das Kapitol verlassen müssen."
Bei der Anhörung waren zudem zwei frühere Mitarbeiter des Weißen Hauses anwesend, die als Zeugen aussagten. Matthew Pottinger, einst Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, gab an, ein Tweet Trumps, in dem er seinen damaligen Vizepräsidenten Mike Pence dafür kritisierte, die Zertifizierung von Bidens Wahlsieg nicht aufzuhalten, habe "Öl ins Feuer gegossen". "Das war der Moment, an dem ich entschieden habe, zurückzutreten."
Die damalige stellvertretende Pressesprecherin des Weißen Hauses, Sarah Matthews, sagte, der 6. Januar sei "einer der dunkelsten Tage in unserer Geschichte" gewesen, und "Präsident Trump hat ihn behandelt wie einen festlichen Anlass".
Trump hatte seine Anhänger am 6. Januar in einer aufpeitschenden Rede dazu aufgerufen, zum Kapitol zu marschieren und "auf Teufel komm' raus" zu kämpfen. Hunderte Menschen erstürmten daraufhin das Parlamentsgebäude. Erst Stunden später rief Trump seine Anhänger in einer Videobotschaft auf, "friedlich" nach Hause zu gehen - und betonte zugleich: "Wir lieben euch. Ihr seid etwas sehr Besonderes."
Die Kapitol-Erstürmung mit fünf Toten und rund 140 verletzten Polizisten sorgte weltweit für Entsetzen und gilt als schwarzer Tag in der Geschichte der US-Demokratie. Der Untersuchungsausschuss zur Kapitol-Erstürmung hält seit Wochen eine Reihe öffentlicher Anhörungen ab, um die damaligen Vorgänge aufzudecken.
Nach der achten öffentlichen Sitzung vom Donnerstag legt das Gremium zunächst eine Pause ein. Im September sollen dann wieder Anhörungen stattfinden.
fs/se © Agence France-Presse