Frankfurt - (ots) - Deutschland ächzt unter dem Fachkräftemangel. Am lautesten freilich wehklagen die Arbeitgeber. Sie fordern, dass die Politik endlich aktiv wird. Damit ist es jedoch nicht getan. Denn das Problem ist (auch) hausgemacht. Um dieses endlich zu lösen, braucht es dreierlei Willkommenskultur.
Ja, die Regierung täte gut daran, die Zuwanderung zu fördern. Die Zeit drängt: Der demografische Wandel (Wiki) wird das Arbeitskräfteangebot bis zur Mitte des Jahrzehnts weiter verknappen. Ökonomen haben ausgerechnet, dass Deutschland pro Jahr 400 000 Netto-Zuwanderer bräuchte, um das Arbeitskräfteangebot annähernd stabil zu halten. Davon sind wir noch weit entfernt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will ein Punktesystem einführen, ähnlich dem kanadischen. Wer eine Ausbildung, Berufserfahrung oder einen Abschluss hat, soll leichter einwandern können. Auch Nichtfachkräfte erhalten so leichter Einlass. Die sogenannte "Chancenkarte" soll im Herbst vorgestellt werden.
Eine zweite Art Willkommenskultur müssen diejenigen spüren, die ihren Beitrag zum deutschen Wirtschaftsmotor bereits leisten: die Angestellten. Dass der Gastronomie oder der Pflege das Personal davonläuft, hat nicht zwangsläufig die Bundespolitik zu verantworten. Fachkräfte fehlen gerade da, wo die Belastung hoch und die Bezahlung mies ist. Angemessene Löhne und ein höherer Urlaubsanspruch könnten hier in vielen Branchen erste Abhilfe schaffen. Willkommen heißen sollten Firmen auch Teilzeitkräfte, die aufstocken wollen. Die Teilzeitquote ist in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Doch viele stecken unfreiwillig in Teilzeit fest. Gerade viele Eltern und Frauen würden gerne mehr arbeiten. Allein, es mangelt an Kinderbetreuung oder an Flexibilität von Seiten der Arbeitgeber.
Schließlich muss denjenigen ein herzliches "Willkommen!" entgegendröhnen, die ins Berufsleben eintreten. Und zwar nicht nur den Abiturienten, die Elektriker werden wollen. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles (Wiki), mahnte die Betriebe jüngst zu Recht, auch den jungen Menschen eine Chance zu geben, die "nicht zu den optimalen Kandidaten" zählten. Die Unternehmen zeigen sich noch viel zu wählerisch bei der Auswahl ihrer Lehrlinge.
Vor allen Dingen muss die Vergütung stimmen. Der Ausspruch "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" hat angesichts des Personalmangels längst ausgedient. Hier muss dringend nachgesteuert werden. Sonst werden sich gerade angesichts der Mindestlohnerhöhung ab Oktober viele junge Menschen doch eher für einen Helferjob als für eine Ausbildung entscheiden. Denn viele Azubis können sich von ihrem Lehrlingsgehalt vielleicht gerade noch so eine kleine Wohnung leisten. Gegessen und ein Nahverkehrsticket für den Arbeitsweg haben sie dann aber noch nicht. Für die Betriebe ist ein höheres Lehrlingsgehalt vielleicht erst einmal teuer, aber es rechnet sich, denn nur so werden die Fachkräfte von morgen gebunden.
Die Politik kann vielleicht einen besseren Rahmen schaffen - indem sie Zuwanderung und Kinderbetreuung fördert. Wen sie willkommen heißen und wen sie vergraulen, haben die Arbeitgeber aber in erster Linie selbst in der Hand.
Börsen-Zeitung