Das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) der WWU Münster erfreut sich seit seiner Gründung im Jahr 2011 großen Zuspruchs. Im Interview mit André Bednarz und Norbert Robers spricht ZIT-Leiter Prof. Dr. Mouhanad Khorchide über die Herausforderungen und Erwartungen an die Einrichtung und blickt zugleich auf die Meilensteine des vergangenen Jahrzehnts zurück.
Als der Wissenschaftsrat im Jahr 2010 den Aufbau von Islam-Zentren an deutschen Hochschulen empfahl, verband er damit die Hoffnung, dass sie eine zentrale Rolle bei der Nachwuchsförderung spielen und möglichst schnell islamische Religionslehrer und Religionsgelehrte ausbilden sollten. Hat das ZIT in Münster all diese Erwartungen erfüllt?
Definitiv, und wir sind weiterhin auf einem guten Weg. Man kann es insofern auch daran erkennen, dass wir rund 150 Absolventinnen und Absolventen haben, die mittlerweile als Lehrer, Professor oder Leiter von wissenschaftlichen Zentren arbeiten. Wobei man berücksichtigen muss, dass der Aufbau des Religionsunterrichts für die rund 400.000 Muslime an den NRW-Schulen noch am Anfang steht.
Was ist das Besondere am ZIT im Vergleich zu den anderen Islam-Zentren an deutschen Hochschulen?
Das ZIT steht erstens für einen progressiven und aufgeklärten Islam, der auch dem interreligiösen Dialog offensteht. Das ist unser zentrales Markenzeichen. Wir unterhalten zweitens intensive Kontakte in muslimisch geprägte Länder. Die WWU beziehungsweise das ZIT sind dort sehr bekannt. Neuerdings geben wir sogar die ,Münstersche Fachzeitschrift für islamische Theologie und Philosophie‘ auf Arabisch heraus.
Hat sich dieses Profil auch in den Studierendenzahlen gezeigt?
Wir haben mit 13 Studierenden angefangen, heute sind es rund 750. Einige dieser Studierenden kommen sogar aus anderen Bundesländern, sie schätzen zum Beispiel unsere zeitgemäße Lesart des Korans. Schließlich bekommen wir viele Anfragen von Studierenden aus der islamischen Welt, die ihre Doktorarbeiten bei uns schreiben wollen. Kurzum: Das ZIT ist bei Wissenschaftlern und Studierenden sehr beliebt …
… gibt es denn so gar nichts, was Ihnen beim Aufbau Schwierigkeiten bereitet hat?
Die größte Herausforderung bestand darin, für die Professuren und den akademischen Mittelbau geeignete Bewerber zu finden. Der Markt dafür ist klein und wir konkurrieren dabei mit den anderen Zentren. Und dass wir Gegenwind von fundamentalistischer Seite bekommen, versteht sich von selbst.
Gab es einen oder mehrere Momente in den vergangenen Jahren, in denen Sie gemerkt haben, dass das ZIT besondere Aufmerksamkeit genießt – im Positiven wie im Negativen?
Dazu fällt mir ein unangenehmes und ein schönes Ereignis ein: Nach dem Erscheinen meines Buchs ,Islam ist Barmherzigkeit‘ im Jahr 2012 haben die islamischen Verbände mich in einer türkischen Zeitschrift zur Reue aufgerufen. Mich, einen einfachen Professor aus dem beschaulichen Münster, und noch dazu ein Aufruf aus der Türkei! Damals wurde mir bewusst, wie stark man in diesem Job unter Beobachtung steht. Der positive Moment war die Einladung des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der sich mit mir unter vier Augen über den Islam austauschen wollte. Stellen Sie sich mal vor: Er erkundigte sich bei mir, wie er mir dabei helfen könnte, auf unser Islambild in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. So kam es zu seinem Besuch an der WWU und beim ZIT im November 2013, was uns in puncto Anerkennung und Würdigung sehr geholfen hat. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass unsere Arbeit weit über Münster hinaus beachtet wird und dass die Erwartungen an uns sehr hoch sind.
Auch der Bundespräsident interessierte sich also für ihre moderne Auslegung des Koran. War das von Anfang an Ihr Plan, oder hat es sich im Lauf der Jahre so ergeben?
Das hat sich vor allem durch die personelle Besetzung ergeben. Mit Blick auf die Zukunft arbeiten wir an einer Art Grundsatzerklärung, um zu gewährleisten, dass diese Ausrichtung, die uns weltweit viel Anerkennung und Aufmerksamkeit beschert, auch nach personellen Wechseln bleibt.
Das wird in der islamischen Welt nicht ohne Widerspruch bleiben, oder?
Nein, aber damit haben wir gerechnet und stehen zu unserem Ansatz.
Apropos personelle Besetzung: Hat sich das Modell eines muslimischen Beirats, der bei der Berufung der Professoren und der inhaltlichen Ausgestaltung mitwirken soll, bewährt?
Keine Frage: Es war am Anfang für beide Seiten nicht leicht. Es war ein Lernprozess, heute ist es jedenfalls ein konstruktives Miteinander.
Das Rektorat verfolgt den Plan, das ZIT zu einer Fakultät auszubauen – es wäre die erste islamische Fakultät in Westeuropa. Was würde diese Veränderung für das ZIT inhaltlich und organisatorisch bedeuten?
Es wäre in erster Linie eine bislang in Westeuropa einzigartige Würdigung für die islamische Theologie und für alle Muslime, deren Anerkennung als Teil der Gesellschaft damit voranschreiten würde. Die Muslime erkennen beispielsweise, wie der Staat über die in Münster ausgebildeten Lehrkräfte gewährleistet, dass auch ihre Kinder Religionsunterricht bekommen – das schätzen sie sehr. Wir bekämen zudem klarere Strukturen, etwa durch einen Fachbereichsrat und ein Dekanat. Damit könnten wir unser Profil schärfen und verstetigen.
Zum Profil gehört auch die Forschung – welches sind die Schwerpunkte am ZIT?
Unser, zumindest mein zentrales Ziel besteht darin, eine eigene zeitgemäße Theologie, die auf Fragen und Herausforderungen der Gegenwart eingeht, zu entwerfen – eine Theologie der Barmherzigkeit als ein in der islamischen Welt dringend benötigtes Gegenangebot zu der aktuell vielfach restriktiven Auslegung …
… Respekt, das klingt nach einem Jahrhundertprojekt!
Es handelt sich natürlich um einen sehr langen Prozess. Wir wollen die Grundlagen erarbeiten, und die nächsten Generationen müssten diese Arbeit fortführen. Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan sagte bei der ZIT-Eröffnung, dass ich dem Islam ein barmherziges Gesicht gegeben hätte – das wollen wir theologisch und religionsphilosophisch weiterentwickeln.
Das klingt so, als ob das auch notwendig wäre. Ist es nach wie vor eine im Westen weit verbreitete Vorstellung, dass der Islam eine unbarmherzige Religion ist?
Der Islam wurde in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt instrumentalisiert, um Gewalt auszuüben und Herrschaft zu legitimieren – und zwar auf Basis einer Religion der Restriktionen, der Bevormundung und der Kontrolle. Die Muslime, insbesondere Imame und Multiplikatoren müssen diesen Mechanismus verstehen, ablehnen und umkehren. Vor allem müssen die Veränderungen von innen, aus dem Islam selbst kommen.
Aber ist es überhaupt vorstellbar, dass ein Theologieentwurf dieser Dimension aus dem katholischen Münster in der islamischen Welt anerkannt wird?
Bei aller Bescheidenheit: In Ägypten, in Nordafrika, in den Golfstaaten und in Indonesien kennen und schätzen sehr viele Menschen das ZIT. Man traut es uns zu, viele Menschen warten sogar darauf und ermuntern uns, dass wir eine neue Theologie etablieren. Hinzu kommt der glückliche Umstand, dass sich die islamische Welt derzeit aus pragmatischen Gründen an vielen Stellen öffnet und sogar ein Land wie Saudi-Arabien aus wirtschaftspolitischen Gründen massive Reformen zulässt. Früher galt oft die Losung: Entweder du bist streng gläubig oder du bist ein Ungläubiger. Die Menschen suchen ein neues Angebot, und wir bieten ihnen diese Alternative zum genau richtigen Zeitpunkt.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 12. Oktober 2022
Foto: Mouhanad Khorchide ist Leiter des ZIT und Professor für Islamische Religionspädagogik.
WWU Münster