Berlin – Ein Medienbericht des Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) dementierte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf Nachfrage. Dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) liegt aber ein als vertraulich gekennzeichnetes Eckpunktepapier vor, das als „interner Entwurf“ gekennzeichnet ist und das Datum September 2022 (BMG) trägt.
Zuvor hatte ein Ministeriumssprecher betont, es gebe weder ein mit den Ressorts abgestimmtes Eckpunktepapier, noch sei ein solches vom BMG alleine verfasst worden. Vielmehr würden derzeit „BMG, BMEL, BMWK, AA , BMF und BMJ“ gerade mit Hochdruck daran arbeiten, den Koalitionsvertrag umzusetzen.
Gemeint sind neben dem Bundesministerium für Gesundheit das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), jenes für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das Auswärtige Amt (AA), das Bundesministerium der Finanzen (BMF) sowie das Bundesministerium für Justiz (BMJ). Auch soll das Bundesinnenministerium an dem Entwurf beteiligt sein.
Derzeit arbeite die Bundesregierung an einer „großen Lösung“, hieß es heute in Berliner Regierungskreisen. Demnach soll nicht nur der Eigenanbau von Cannabis straffrei werden, sondern auch der Verkauf und die Beschaffung.
Verhindern will die Regierung vor allem ein Scheitern in Europa, ein „Morbus Scheuer“, wie es in Berlin weiter hieß. Damit ist der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gemeint, der mit einem Prestigeprojekt der CSU, einer Pkw-Maut, europarechtlich gescheitert war. Deshalb sollen erst Eckpunkte abgestimmt und dann im Bundeskabinett verabschiedet werden – und erst wenn Brüssel und Straßburg grünes Licht signalisieren, soll ein Gesetzentwurf folgen, hieß es.
„Wenn die Prüfung ergibt, dass es rechtlich nicht geht, werden wir kein Gesetz vorlegen“, verlautete aus der Regierung. Allerdings sei man doch zuversichtlich, dass es juristisch gehe. Hintergrund sind unter anderem rechtliche Vorgaben, nach denen die Staaten zu Maßnahmen verpflichtet sind, die zur Unterbindung von unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln nötig sind. In Deutschland könnte Cannabis künftig rechtlich gar nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden.
Wie es in Ministeriumskreisen weiter hieß, gebe es aber noch „erheblichen Klärungsbedarf“. Ziel sei es, durch die Legalisierung die gesundheitlichen Risiken zu verkleinern, die durch den Schwarzmarkt und den unkontrollierten Anbau und Verkauf entstünden. Der Kinder- und Jugendschutz stehe im Vordergrund. „Es wird ein Riesengesetz“, hieß es im Gesundheitsressort weiter. Dies zeige allein die große Zahl an beteiligten Ministerien.
Lauterbachs Angaben zufolge nutzten etwa vier Millionen Erwachsene Cannabis. Es gebe einen großen Schwarzmarkt, organisierte Kriminalität und Verunreinigungen. „Der Cannabiskonsum in Maßen, gut abgesichert, in Qualität und ohne Beschaffungskriminalität ist etwas, was man akzeptieren muss und was zu einer modernen Gesellschaft dazugehört“, hatte der Minister betont.
SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Zur Vorbereitung umfangreicher Regelungen dafür waren mehrere Expertenanhörungen organisiert worden. Lauterbach hatte zum Herbst Eckpunkte und für Ende des Jahres einen Gesetzentwurf angekündigt.
Interner Entwurf zeigt grobe Richtung an
Das als vertraulich gekennzeichnete „Eckpunktepapier der ressortübergreifenden Arbeitsgruppen zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ ist demnach nicht mehr als ein Arbeitspapier, dessen Inhalte nicht fest stehen. Sie könnten aber dennoch eine grobe Richtung anzeigen, wohin die Reise geht – und worüber Ampelkoalition und Ministerien brüten. Der RND hatte zuerst aus dem nicht ressortabgestimmten Eckpunktepapier berichtet.
Dem Papier zufolge, das auch dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, sind Beschränkungen bei Menge, Stärke und Eigenanbau vorgesehen. Volljährige sollen demnach künftig „bis zu 20 Gramm Genusscannabis (getrocknete Pflanzen) zum Eigenkonsum im privaten und im öffentlichen Raum sind unabhängig vom konkreten THC-Gehalt straffrei“, heißt es in dem Arbeitspapier.
Dabei sei geplant, den Anteil des psychoaktiven Wirkstoffs THC zu begrenzen. Maximal 15 Prozent soll er betragen und damit unter dem liegen, was heute oftmals in medizinischem Cannabis enthalten ist. Für 18- bis 21-jährige Käufer wiederum soll eine Grenze von zehn Prozent gelten, um „cannabisbedingte Hirnschädigungen“ zu vermeiden. Die 20-Gramm-Grenze soll den angeblichen Eckpunkten unabhängig vom THC-Gehalt gelten.
Dem Papier zufolge soll Cannabis auch nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Dementsprechend blieben auch Jugendliche straffrei, wenn sie mit Cannabis aufgegriffen werden. Allerdings würde das Polizei die Ware beschlagnahmen und die Jugendämter könnten die Jugendlichen zur Teilnahme an „einem Frühinterventions- oder Präventionsprogramm“ verpflichten.
Ebenfalls reguliert werden sollen die Abgabestellen: Verkauft werden soll es in lizenzierten Fachgeschäften und möglicherweise auch in Apotheken, um so gerade im ländlichen Raum Verfügbarkeit und damit eine Austrocknung des Schwarzmarktes zu gewährleisten.
Geprüft werden soll neben der Möglichkeit des Verkaufs über das Internet auch, ob Verkaufsstellen mit angeschlossenen Konsumräumen zugelassen werden könnten. Allerdings sollen bei allen Verkaufsstellen Mindestabstände zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen gelten. Auch der Verkauf synthetisch hergestellter Cannabinoide soll verboten bleiben.
Darüber hinaus sieht das Papier ein generelles Werbeverbot für Genusscannabis vor. Cannabis solle in neutralen Umverpackungen ohne werbendes Design verkauft werden müssen, schreibt das Blatt. Auch werbende Kaufanregungen in Geschäften oder Onlineshops sollten demnach untersagt werden. Neben dem Erwerb soll auch der Eigenanbau von bis zu „zwei weibliche blühende Pflanzen pro volljähriger Person“ erlaubt sein.
Sämtliches kommerziell verkauftes Cannabis soll der Umsatzsteuer unterliegen. Hinzukommen soll darüber hinaus eine eigene Cannabissteuer, sie sich am THC-Gehalt orientiert. Dadurch könne eine Lenkungswirkung erreicht werden: Je stärker das Cannabis, desto teurer ist es. Die Höhe der Steuer muss fein austariert werden, schließlich muss die Ware teuer genug sein, um den Konsum nicht zu befeuern, aber günstig genug, um Konsumenten weg vom Schwarzmarkt zu bewegen.
Weitere Frage dürfte die Versorgung des hiesigen aufwerfen: Der Bedarf muss aus Sicht des BMG aus heimischem Anbau gedeckt werden, da das EU- und das Völkerrecht einen Import aus dem Ausland verhindern.
Kritik am Entwurf
Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther sagte: „Eine Legalisierung, die den Gesundheits- und Jugendschutz verbessert, kann nur gelingen, wenn sie nicht zu restriktiv ist, denn sonst beziehen die Konsumierenden ihr Cannabis weiter vom Schwarzmarkt.“
Eine THC-Obergrenze, gestaffelte Altersgrenzen und eine Begrenzung des Eigenanbaus auf zwei Pflanzen könnten dazu führen, dass einige Konsumierenden weiter auf illegales Cannabis zurückgreifen würden. Das EU-Recht zu Cannabis sei rudimentär. „In vorauseilendem Gehorsam allein auf den Anbau in Deutschland zu setzen, kann dazu führen, dass der Bedarf nicht gedeckt werden kann.“
Auch der Linke-Politiker Ates Gürpinar warnte vor zu starren Vorgaben. „Es ist so, als würde man in Bayern nur Leichtbier erlauben. 2,5 Prozent bis 21 Jahre, darüber dann 3,5 Prozent Alkohol.“ Der Deutsche Hanfverband warnte ebenso vor restriktiven Regeln. Sprecher Georg Wurth sagte dem Nachrichtenportal t-online: „Wir brauchen Regeln, die es für einen Konsumenten attraktiv machen, in einen Laden zu gehen und eben nicht den Schwarzmarkt zu besuchen.“
Der RND-Bericht hatte in der Union postwendend zu Protesten geführt. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) rief den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu auf, die Pläne zu stoppen. Offenbar treibe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Legalisierung jetzt voran und habe dafür Eckpunkte erarbeiten lassen, sagte Holetschek.
Er warnte: „Damit droht – unabhängig von den bislang nicht bestätigten Einzelheiten – eine weitere Verharmlosung der Risiken durch diese Droge.“ Zudem sei Lauterbachs Einsatz „für diesen Irrweg“ angesichts der wirklich drängenden Probleme in der Gesundheits- und Pflegepolitik reine Energie- und Ressourcenverschwendung.
„Es darf nicht sein, dass die Hemmschwelle sinkt und noch mehr Menschen als bisher Cannabis konsumieren“, sagte Holetschek. Genau diese Gefahr bestehe aber bei der geplanten Abgabe für Genusszwecke. „Zu den Cannabisrisiken zählen neben der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung negative Auswirkungen auf das Gedächtnis sowie auf Lern- und Denkleistungen“, sagte Holetschek. Auch das Risiko für die Entwicklung einer psychotischen Erkrankung sowie weiterer psychiatrischer Erkrankungen sei durch Cannabiskonsum erhöht.
Deutsches Ärzteblatt
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Deutscher Hanfverbands vom 19.10.2022
Der RND hat Details aus dem Entwurf des Eckpunktepapiers der Bundesregierung für die Legalisierung von Cannabis veröffentlicht. Die dort skizzierten Grundzüge sind laut Hanfverband nicht geeignet, den Schwarzmarkt zurückzudrängen.
Eine THC-Obergrenze von 15% schließt einen Großteil des aktuell existierenden Marktes für Haschisch aus. Konzentrate werden komplett ausgeschlossen. Die THC-Grenze von 10% für Erwachsene bis 21 Jahren geht völlig an der Realität vorbei.
Die vorgeschlagene Besitzobergrenze von 20 Gramm ist für Menschen im ländlichen Raum wenig praktikabel. Der DHV befürchtet weiterhin Polizeikontrollen und Strafverfahren für Personen, die mit geringfügig höheren Mengen angetroffen werden.
“Es gibt ja auch keine Besitzobergrenze von einem Kasten Bier”, so DHV-Geschäftsführer Georg Wurth.
Die Begrenzung beim Eigenanbau auf 2 Pflanzen ist nicht realistisch und im internationalen Vergleich beispiellos restriktiv. Malta hat den Anbau von vier Pflanzen erst vor Kurzem vollständig legalisiert. Außerdem ist es üblich, nur die Zahl der weiblichen, blühenden Pflanzen zu begrenzen und darüber hinaus Stecklinge für die Nachzucht zu erlauben.
Einige Details begrüßt der DHV ausdrücklich. Etwa die Herausnahme von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz oder das geplante Werbeverbot.
“Unter dem Strich wird es mit diesen Eckpunkten aber nicht gelingen, die Konsumenten vom Schwarzmarkt und in die Shops zu holen. Damit wird auch der gewünschte Verbraucher- und Gesundheitsschutz scheitern'', so DHV-Sprecher Georg Wurth.
Der DHV hat seine Eckpunkte für die Legalisierung in einem umfangreichen Diskussionsprozess mit Konsumenten und Zivilgesellschaft erarbeitet und hier veröffentlicht: