Mit nervösen Händen halte ich meine Akkreditierung für den G7-Gipfel in der Hand und mein kleines Team überschlägt sich vor Aufregung. Wir stehen am Eingang des LWL-Museums, das für uns – also für diejenigen die sich JournalistInnen schimpfen dürfen, und ja, auch ich bin hier gelandet – heute als Pressestelle fungiert. Die Ausweise werden gecheckt und die PolizistInnen der Bundespolizei verdrehen aufgrund unserer Nervosität ihre Augen. Nach einem kurzen Foto des G7-Emblems, das zwischen einem Aufsteller und einer Statue zu verorten ist, (und meine Kolumne ziert), beziehen wir unsere Plätze, um die nachfolgenden drei Stunden auf den Beginn der Veranstaltung zu warten.
Hin und her gerissen zwischen den verschiedensten Begehren in einem nahezu dialektisch anmutenden Spannungsverhältnis im Sinne einer Luce Irigaray. In einer Willkür zwischen dem Buffet, das gefüllt ist mit einer Vielzahl von Häppchen, bei denen wir schnell unseren Favoriten – ein Avocadocreme-Bruschetta-Schnittchen – ausmachen, dem andauernden Trinken von Kaffees und alternativen Diät-Colas, um die restliche Lebensenergie zu mobilisieren, dem Hacken auf der eigenen Tastatur, um die Geschehnisse des Gipfeltreffen medial aufzuarbeiten oder zu kommentieren, dem unaufhörlichen Lauschen im Raum, um weitere medial wichtige Informationen zu gewinnen, noch unbekannte Verhaltensregeln zu erlernen oder um bloß den allgemeinen Tratsch nicht entgehen zu lassen, die vielen kleinen, zwischenmenschlichen Gesprächen an den Kaffeekannen mit den anderen PressevertreterInnen, da man die Chance nutzen wollte, sich mit potentiell zukünftigen ArbeitgeberInnen zu vernetzen, dass in dieser allgemeinen Aufgeregtheit allerdings untergeht. Diese unendliche Aneinanderreihung dieser punktlosen Aufzählung vermittelt nicht ansatzweise mein inneres Chaos, und nachdem ich zwar völlig erschöpft nach Hause aufgebrochen bin, lag ich aufgedreht und rastlos, zähneknirschend und gedankenverloren im Bett wach. Bloß um morgens um 5:00 Uhr mit demselben Gemütszustand zu erwachen, um, vermutlich vom Restkaffee des Vortags angetrieben, zur Pressestelle aufzubrechen.
Als erster Journalist der am heutigen Morgen – nahezu unprofessionell früh, frei nach dem Motto „die echten Journalisten kommen, wenn sie müssen, und die Unechten kommen viel zu früh“ – das Pressezentrum im Münsteraner LWL-Museum bezieht, wage ich mich eine Runde an diese Kolumne, und schaue den erst langsam eintreffenden und schlaftrunkenen Fachleuten der dpa, AFP, Reuters, den Öffentlich-Rechtlichen auf ihrem Weg zu den Unmengen an Kaffeekannen zu. Im selben Moment entzaubert sich das Bild des Berufes des Journalisten. Diese Unmengen an wuselnden fleißigen Ameisen, die allesamt auf der Suche sind nach ihrem nächsten Schnittbild oder den einen verbalen Fauxpas eines unliebsamen Ministers – vorzugsweise des rechts-konservativen Italiener, aus der „Forza Italia“, der seine Mussolini-Sympathien auf diversen Reden in der Vergangenheit nicht unterdrücken konnte – sind. Oder sich lautstark im Flur bei ihrem Chefredakteur (der Münsterschen Zeitung) entschuldigen müssen, da sie in einem ihrer Artikel ausversehen gegendert haben, beteuern müssen, dass sie so etwas niemals tun würden und versprechen müssen, dass, wenn sie nach Hause kommen, sie sich ein feministisches Standardwerk kaufe, um dies am Folgetag zeremoniell zu verbrennen. Der letzte Punkt mag einer polemischen Fantasie meinerseits entspringen, verdeutlicht aber ganz gut die Lächerlichkeit dieses belauschten Gesprächs. Gleichsam ist das andauernde Starren auf das blaue Licht des Laptops und der Koffeinkonsum das Einzige, das der kollektiven Müdigkeit entgegenwirkt.
Diese Entzauberung, die vermutlich in meiner weltpolitischen Erwartungshaltung und in meinen träumerischen Vorstellungen eines journalistischen und elitären Politzirkels begründet ist, zieht sich auch durch die wahrhaft weltpolitische Reise des Abenteuers „G7-Gipfel“. Der Moment, in dem ein Platz im Mediapool frei wird, ist zumeist die Chance, der Weltpolitik nah zu kommen, aber man muss schneller sein als die eingesessenen Hasen der großen Presseorgane, die gewappnet sind mit den verschiedensten Kameras in Studioqualität und wohlausgestatteten Tonangeln, der neben des klassischen Raummikrofons gleich zwei tragbare digitale Audiorekorder von Zoom ziert, und dringend den Weg zum Münsteraner Friedenssaal antreten wollen. Dies gelang unserem Team zwei Mal, und auch ich durfte den Weg ins Rathaus antreten. Inmitten dieser Gruppe, die nicht-repräsentativerweise aus weißen Männern in ihren Vierzigern bestand, gab es viele diverse beleidigende Aussagen über den Klamottenstil der kanadischen Außenministerin, die die absolute Wut in mir aufbrodeln ließ, und nur eine räumliche Distanz zu diesen Personen versprach Linderung. Nach einem kurzen Sicherheitscheck stieg die Aufregung. Man würde gleich die weltpolitische Bühne betreten und bereits bekannten und beschriebenen Gesichtern begegnen. Nach einer langen Wartezeit mit einzelnen VertreterInnen der Delegationen, anderen JournalistInnen und den unzähligen Gemälden ehemaliger OberbürgermeisterInnen der Stadt Münster, werden wir in die Räume geführt, in denen die bilateralen Gespräche stattfinden, bloß um weitere zwanzig Minuten zu warten, bis die AußenministerInnen ankommen, sich die Hände schütteln, staatstragende Worte fallen lassen und wir den Raum wieder verlassen müssen. Sofortig werden wir wieder aus dem Haus geleitet, um uns mit etwas Glück wieder eine Pool-Karte ergattern zu können. Dieser distanzierte und mechanische Stil zieht sich durch den restlichen Tag.
Zumindest bis der Höhepunkt des Tages ansteht. Nachdem unser kleines, aber fast unaufhaltsames – wir hätten uns vermutlich schnell von den unzähligen BKA-BeamtInnen aufhalten lassen – Team unzähligen Content produziert at, viele weitere Male ahnungslos, aber zielstrebig durch den Tag gestolpert ist und viele weitere Tassen Kaffee konsumiert hat, beginnt nun die offizielle Abschlusspressekonferenz. Nach einem kurzen Moment der bedrückenden Panik an der Sicherheitsschleuse zum Konferenzraum – da unsere Ausweise nicht vom System erkannt wurden, wir dies allerdings schnell mit dem Auswärtigen Amt und einem sympathischen BKA-Beamten klären konnten – können wir den Raum, 90 Minuten vor dem Beginn der Konferenz, betreten. Eisern wartend sitzen wir auf den edlen Besucherstühlen der zweiten Reihe, sehen, wie die PA-Techniker in andauernder Absprache mit dem Auswärtigen Amt und dem BKA die letzten Vorbereitungen treffen, Fragen für die PolitikerInnen mit den KollegInnen besprochen und vom Auswärtigen Amt gesammelt werden und generieren weiteren Content, während unsere Nervosität stetig steigt.
Und auf einmal beginnt die Nervosität auf die Veranstalter überzuspringen. Zivile und gleichzeitig schwer bewaffnete Beamte verteilen sich im Raum. Wasserflaschen werden vom Auswärtigen Amt bereitgestellt. Die Kameramänner und Kamerafrauen hören auf, Schnittbilder zu produzieren. Die Menge wird still. In dieser angespannten Situation verharren alle Anwesenden bis zehn Minuten später die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Bühne betritt. In ihrer rhetorisch präzisen Rede spricht sie über die besondere Aufgabe die Deutschland als Vorsitz der G7 innehat und wie diese aktuellen Anstrengungen in der Geschichte dieses Wirtschaftsclubs ein Novum sind. Sie spricht über die Kriegstreiben Russlands, die Hilfen für die Ukraine, die Hilfen für die afrikanische Union, die zum ersten Mal in der Geschichte des G7-Gipfels mit an den Tisch der ökonomischen Supermächte durften – auch wenn nur in beratender Funktion und nicht als wahrhaftig gleichwertige PartnerInnen – die neugesetzten Ziele zur Bekämpfung des Klimawandel, wie das Versprechen, dass die westlichen Ländern bis 2050 die Klimaneutralität erreicht haben sollen und vieles mehr, dass man in ihrer zehnminütigen Ansprache noch unterbekommen konnte. Während ich im Laufe der Stellungnahme meine Handykamera Richtung Bühne gerichtet habe, muss ich mich regelmäßig daran erinnern, am Handy vorbeizuschauen, um mich rückzuversichern, dass die Person auf der Bühne – und damit auch die Situation in der ich mich gerade befinde – auch nach wie vor dieselbe ist. Die erste Frage, also die Frage, der meines Erachtens eine gewisse Repräsentanz zugutekommt, kam von den Westfälischen Nachrichten, der Bildzeitung des Münsterlands: „Wieso haben Sie das Kreuz abhängen lassen?“ Ein augenverdrehendes Raunen geht durch den Raum. Die Außenministerin kontert gekonnt. Sie hält es für eine Schmach, dass die wichtigen Themen, die heute besprochen wurden von einem Kreuz überschattet wurde, und bittet um Verzeihung, dass sie als Außenministerin keinen Einfluss auf die Raumgestaltung nimmt, da sie als Veranstalterin weitaus Besseres zu tun hätte. Dies alles erklärt sie äußerst professionell, aber man kann ihren zurecht süffisanten Unterton eindeutig vernehmen. Daraufhin wurden die wirklich wichtigen Fragen besprochen und nach deren Beantwortung verlässt die Außenministerin die Bühne. Die ersten Personen verlassen den Raum, während die europäische und deutsche Flagge von der Bühne getragen wird. Im Aufstehen begriffen kommt ein untersetzter Mann mit der US-amerikanischen Flagge auf die Bühne und wir setzen uns wieder. Die Veranstaltung ist noch nicht vorbei.
Fünfzehn Beamte des Secret Service strömen in den Raum, verdrängen die BKA-Beamten und beäugen misstrauisch die anwesenden Parteien. Ein Bild, dass mir wesensgleich zum Topos der internationalen „Zusammenarbeit“ zu sein scheint. Als der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken mit sympathischer, und entschlossener Miene auf die Bühne tritt suhlt sich die Menge in ihrem nahezu fetischisierenden Schweigen. Weltpolitik ist in Münster angekommen. Mit klaren und kampflustig-anmutenden Worten richtet sich Blinken klar gegen Russland und dankt den VeranstalterInnen, insbesondere Annalena Baerbock. Nachfragen beantwortet er kurz, ohne ins Taumeln zu geraten. Die Frage der Washington Post wird vom Kopfdrehen aller anwesenden JournalistInnen begleitet. Frei nach dem Motto: „Oh, ein Oberliga Journalist!“ So schnell wie Toni gekommen war, verlässt er den Saal, wird zum Domplatz eskortiert, besteigt einen Hubschrauber, und fliegt zum Flughafen Münster/Osnabrück und besteigt sein Flugzeug. Vielleicht eine Gulfstream G650? Die JournalistInnen verlassen den Raum, setzen sich an ihre Plätze, schreiben ihre Artikel über das gerade Geschehene, oder schneiden ihre Filmbeiträge. So auch wir.
Nach einem kurzen alkoholfreien Bier mit unserer Chefredakteurin und unserem Geschäftsführer, die uns zu unserer gelungenen Arbeit gratulieren, zieht die ermattende Müdigkeit einen nach Hause. Die vergangenen Tage waren surreal, rastlos und entzaubernd zu gleich und zu Hause angekommen baut sich das Adrenalin nur langsam ab. Dieses Gefühl lässt sich vermutlich am besten mit den Worten „so, wie ich mir die Wirkung von Ritalin, ohne Ritalin jemals genommen zu haben, vorstelle“ beschreiben. Der innere nicht aufhörende Antrieb, produktiv sein zu wollen, diese absolute Rastlosigkeit, verweigert mir den heimischen Schlaf. Zumindest bis ich ermattet auf der Couch wegdöse. Am nächsten Morgen liege ich inzwischen im Bett und schreibe mit der restlichen, ritalinischen Wirkung diese Kolumne. Die vergangenen Tage liegen wie ein Nebel vor meinem inneren Auge.
Mit diesen unverarbeiteten Empfindungen versuche ich den vergangenen Tagen nachzufühlen, kann euch in dieser Woche allerdings keine tiefgreifenden Analysen oder andere spannende Themenfelder darbieten. Ich kann bloß versuchen einen abschließenden normativen Appell aus diesen kleinen aussagekräftigen Randphänomenen dieses Erfahrungsberichtes zu erschließen. Diese kleine, aber wichtige, sich für mich wiederholende Erkenntnis, die ich andauernd in vielen meiner Arbeitsumfeldern erlebe. Dies ist ein Armutszeugnis der Repräsentanz! Ob die vielen kleinen und ekligen sexistischen Kommentare, die man am Rande der Veranstaltung vernehmen konnte, die Abwesenheit von schwarzen JournalistInnen – die wenigen ausländischen JournalistInnen waren entweder weiß und westlich und kamen aus Frankreich, Italien, Großbritannien oder Amerika, oder waren Teil von japanischen Medienhäusern, die den Außenminister Yoshimasa Hayashi begleiteten – oder die unzähligen Chefredakteure, Ressortleiter oder Chefs aus kleineren Medienportalen, die sich selbst zu diesem Event zum Netzwerken schickten, anstelle ihres besserqualifizierten Personals, das reellen Journalismus betrieben hätte: Der Medienbetrieb ist nach wie vor rassistisch, sexistisch und in Teilen klassistisch. Um das Ideal eines ausgewogenen und demokratischen Journalismus zu erreichen, benötigt es dringend eine ausgewogene gesellschaftliche Repräsentanz. Eine Repräsentanz, bei der ich dachte, dass sie im deutschen Medienbetrieb auf einem guten Weg wäre, bloß um mich auf dem G7-Gipfel vom Gegenteil zu überzeugen. Hierbei sei ein besonderes Augenmerk auf all die Lokaljournalisten des Tages geworfen. Die deutsche Journalistengemeinschaft ist weiß, chauvinistisch und in großen Teilen männlich beziehungsweise zutiefst patriarchal. Die Gatekeeper-Funktion wirkt anscheinend nicht bloß in der Nachrichtenaufbereitung, sondern bis in die Tiefen der Strukturen der deutschen Medienhäuser. Wollt ihr etwas verändern, dann begebt euch in eben diese Medienhäuser, oder gründet gar selbst welche. Der Medienbetrieb brauch dringend frischen Wind.
„Poppin‘ Fritz Cola in the ice, like a blizzard. Now I’m feelin‘ so fly like a G7. This is how we live, every single time. Now we feelin’ so fly like a G7.” (Far Left Journalist Movement)
Text- und Bildrechte: Marcel Guthier.