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Atomkraft? Na, Sie wissen schon...oder doch nicht?

Friedrich Merz hat sich für ein Kernkraft-Projekt aus Berlin ausgesprochen. Das unterstützt aber auch die AfD. Ist es deshalb per se schlecht? Bernhard Pötter von der taz findet das. Ich nicht.

Ich bin kein Physiker. Das macht aber auch nichts, denn die Wenigsten, die über Atomkraft oder Kernkraft sprechen, sind es. Ist es schlimm? Nun, die einen sagen so, die anderen so. Bis 2022 sollen in Deutschland jedenfalls alle Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Die Meisten sagen zu diesem polarisierenden Thema also vor allem "nein danke".

Der Clip mit Sylvia Kotting-Uhl suggeriert, dass das Konzept 'Atomkraft' so fehlerbehaftet ist, dass die Sache ganz einfach scheint.

Doch das ist sie eben nicht.

Ausgerechnet Greta Thunberg nämlich, gab sich auf Facebook nuancierter, als die kategorische Ablehnung der deutschen Grünen.

"Personally I am against nuclear power, but according to the IPCC [the United Nations Inter-governmental Panel on Climate Change], it can be a small part of a very big new carbon free energy solution, especially in countries and areas that lack the possibility of a full scale renewable energy supply - even though it's extremely dangerous, expensive and time consuming. But let’s leave that debate until we start looking at the full picture."

Ähnlich klingt ihre Aussage bei Anne Will, wofür sie von der Bild glatt zur Atomkönigin erklärt wurde:

Anne Will: Zuletzt hieß es, Sie seien für Atomkraft. Stimmt das?

Greta Thunberg: Persönlich: nein. Aber ich meine, Atomkraft ist nicht die Zukunft. Sie ist nicht erneuerbar. Aber nach Meinung des Weltklimarats, nicht meiner Meinung nach, nach Meinung des Weltklimarats kann Atomkraft ein kleiner Teil einer großen Lösung für Energie ohne fossile Brennstoffe sein in Ländern, in Regionen, in denen die Option 100 Prozent erneuerbarer Energie nicht besteht. Aber ich meine, Atomkraft ist sehr gefährlich, teuer und zeitaufwendig.

Dass aber Grüne genauso gut "Atomkraft, ja bitte" sagen können, zeigt der Fall Finnland, wo man mit Olkiluoto-3 gar ein neues Kernkraftwerk baut. Hiermit will man bis 2035 Elektrizität ohne Treibhausgasemissionen erzeugen. Das geht eben auch mit Kernkraft. Das wissen und glauben Viele, darunter auch Atte Harjanne (35), seinerseits Grüner und Klimawissenschaftler.

Und so hat die Frage der Kernenergie und ihr Beitrag zur emissionfreien Energiegewinnung gar zur Spaltung der Grünen in Europa bei der UN-Klimakonferenz 2019 geführt. Mehrheitlich stimmten Europas Grüne daher aus einer anti-Atomkraft Überzeugung gegen die Resolution.

Ein Beispiel für die Paradoxie ist hier Greenpeace und Vietnam. Das Land hatte 2016 bekanntgegeben, dass man auf Kernkraft verzichten werde. Das wurde natürlich gefeiert. Das Problem dabei war aber, dass Vietnam stattdessen Kohlekraftwerke bauen ließ. Was natürlich viel umweltschädlicher ist. Der Spott war nicht weit. Ein Tweet von @LindsayPB vom September 2019, der mittlerweile gelöscht wurde, offenbart diese Doppelmoral. Ähnliche Szenarien finden sich auch in Deutschland, mit dem neuen Kohlekraftwerk Datteln 4. Auch hier gibt uns @LindsayPB, die in ihrer bio unter anderem "Nuclear power is good actually" stehen hat, eine interessante Perspektive. Einen gleichen Ton schlägt Michael Shellenberger an, der in diversen TED und TEDx talks Kernkraft als klimaneutral neu dekonstruiert. Andere Klimaschutz-Vordenker, wie etwa James Lovelock und James Hansen, haben indes bereits die Vorteile der Kernenergie anerkannt und fordern einen Abbau der Vorurteile und gar deren Ausbau. Also genau das, was in Finnland passiert.

Doch für Finnlands Olkiluoto-3 gilt ebenso: "Auch 14 Jahre nach Baubeginn hat das AKW noch keine einzige Kilowattstunde erzeugt". Sicherheitsbedenken und technische Probleme halten viele solcher Projekte zurück. Und immer und immer wieder, werden Tschernobyl und Fukushima als unwiderlegbare Argumente gegen Kernkraft genannt. Dabei war bei Fukushima eher der Tsunami das Problem und bei Tschernobyl die korrupte Nomenklatura der Sowjetunion. Genau das zeigt auch die gleichnamige Serie, die dadurch letzten Sommer ihren eigenen Beitrag um die Kernenergiedebatte leistete. Das Thema der Serie ist nicht, dass Kernkraft das Problem ist, sondern ihre Einbettung in autoritäre Systeme. Übrigens, leben in dem heutigen Gebiet keine drei-äugigen Fische, sondern die Flora und Fauna prosperiert.

Um den aktuellen Diskurs um Atomenergie zusammenzufassen, lässt sich festhalten, dass die meisten sie ablehnen und auf erneuerbare Energie setzen. Diejenigen, die sie befürworten, tun das um mit alten Kernkraftwerken noch CO²-freie Energie zu gewinnen, um Klimaziele zu erreichen. Am brisantesten ist aber der Bau neuer Kernreaktoren. Hier finden wir gegensätzliche Aussagen. So sagt uns die World Nuclear Association, dass 55 Kernreaktoren weltweit geplant sind, während eine Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dies relativiert und feststellt, dass Atomkraft weltweit an Bedeutung verliert und lediglich vier, "weniger demokratische Staaten" den Atomeinstieg vorbereiten würden.

Und dann kam Friedrich Merz und der Dual-Fluid-Reaktor (DFR)

Ende letzten Jahres hatte Friedrich Merz sich in der Welt am Sonntag positiv zur Kernenergie, die aus Deutschland stammt, geäußert. Das erfreute auch deren Erfinder.

Dabei ist die Technik, wie der Deutschland Funk feststellt, weder neu, noch deutsch. Ein ähnliches Konzept mit Flüssigsalzreaktoren gab es 1950ern schon in den USA, Projekte dieser Art wurden eingestampft. Und auch das Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK) kann noch keinen Prototypen vorweisen.

Doch es gibt noch ein viel größeres Problem: das IFK gilt als AfD-nah.

Das stellte schon Rangar Yogeshwar fest, der sich im Interview mit Karin Krichmayr vom Standard (07.09.2018) folgendermaßen äußerte:

Yogeshwar: [...] Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Sportskollegen, ein promovierter Ingenieur und AfD-Unterstützer. Er erzählte mir von einem neuen Reaktortyp namens Dual Fluid Reactor. Das ist totaler Fake, was er mit seinem technischen Wissen eigentlich erkennen müsste. Trotz aller Argumente war er überzeugt davon. Da wurde mir bewusst, dass Logik etwas ist, das uns normalerweise eint. Aber in einer Gesellschaft, in der ein Teil sagt, eins und eins ist nicht zwei, sondern drei oder fünf, haben Sie keine Chance. Weil jeder Dialog davon lebt, dass Sie einen elementaren Konsens haben. Der Dialog ist der eigentliche Kitt der Demokratie, und der löst sich auf, Stichwort "alternative Fakten". Wir schreiben das Herrn Trump zu, er kündigt das Klimaabkommen und kürzt Forschungsgelder, obwohl die Fakten klar sind. Es ist aber mehr: Hier braut sich offenbar etwas zusammen, das nicht mehr der Grammatik der Aufklärung folgt.

Was also hier auffällt, ist, dass man aus wissenschaftlicher Sicht nicht gegen den DFR ist, weil er 'Atomkraft' ist, sondern weil er einfach nicht funktioniert und selbst wenn, dann erst in vielen Jahrzehnten - zu spät, um den Klimawandel jetzt aktiv zu bekämpfen.

Doch für größere Aufmerksamkeit dürfte Bernhard Pötters Artikel für die taz vom 14. März sorgen.

Guilt by Association

Anstatt die Kernenergiedebatte zu beleuchten, scheint Pötter implizit die Unmachbarkeit des DFR auf die gesamte Kernenergie, die er ablehnt, zu übertragen. Aus Atomkraftbefürwortern werden so "Klimawandel-Leugner" was, wie das Beispiel Finnland zeigt, schlicht falsch ist. Pro-Atomkraft ist nur die AfD, somit ist beides schlecht und Merz ist schlecht, weil er den DFR gut findet. Das Ganze nennt man guilt by association. Man muss auch über Kernkraft reden können, ohne in die rechte Spinner-Ecke gestellt zu werden.

Anna Veronika Wendland schrieb dazu, in weiser Voraussicht die klugen Worte:

"Der DFR-Miterfinder, der neuerdings auf einem AfD-Referentenposten wieder auftauchte, wusste hoffentlich, was er tat. Ich halte nichts von guilt-by-association-Hysterie, doch diese personelle Verquickung wird es ungeheuer schwierig machen, die Tür zu anderen Parteien für diese Idee zu öffnen."

Die AfD, so als Ökofaschisten und germanische Impfgegner-Traumtänzer müssen nicht unbedingt ein natürliches Interesse an ernsthafter Kernkraft haben - deshalb kommunizieren sie das auch gar nicht. Man kann aber auch hier wieder punkten, indem man die 'Altparteien' als ideologisch gesteuert und unwissenschaftlich darstellt. Hey, die Grünen haben auch so ihre Probleme mit der unwissenschaftlichen Homöopathie.

In ferner Zukunft, das sagt schließlich selbst Claudia Kemfert vom DIW, wird man Energie womöglich von einer nachgebauten Sonne beziehen. Daran müssen wir jetzt forschen, aber kommerzielle Energie wird das Ganze erst in 50 Jahren erzeugen können. Diese brauchen wir aber jetzt und zwar erneuerbar, solange es noch etwas gibt, was Strom braucht.

Daher gilt: Kernkraft? Ja später, erstmal bitte erneuerbare Energie, damit es ein 'später' überhaupt gibt!


Friedrich Merz soll sich übrigens mit dem Coronavirus infiziert haben. Wir wünschen gute Besserung!


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