Wenn bei der Weltmeisterschaft in Katar ab Sonntag 32 Mannschaften um den WM-Pokal kämpfen, blicken die Schiedsrichter vor allem auch auf "unser Team":
Zwei Eigenschaften sind es, die Daniel Siebert ganz besonders auszeichnen: Zum einen ist er ein Kommunikationstalent. Beim "Entweder-Oder"-Spiel für einen DFB-Porträtfilm antwortete Siebert auf die Frage "Kommunikation oder Körpersprache?": "Ganz klar: erst einmal Kommunikation. Als Berliner redet man dann halt doch ein wenig mehr."
Talentierter Fußballer
Siebert hat einen Draht zu den Spielern. Er weiß, wie er sie ansprechen kann, hat ein Gespür für den richtigen Tonfall in der jeweiligen Situation und kann sich auf sein Einfühlungsvermögen verlassen. Das wiederum hängt mit der zweiten Eigenschaft zusammen, die ihn als Spielleiter prädestiniert: Daniel Siebert kennt Fußball und kann Fußball. Als Jugendlicher hat er bis zur höchsten Berliner Jugendklasse gespielt, im Seniorenbereich bis zur Verbandsliga. Da war er aber auch bereits Schiedsrichter und fuhr zweigleisig.
"Mein Vater", so erinnert sich Siebert, "hat mich schon früh mit zur Hertha genommen." Und in der Schule erzählten ihm Mitschüler einige Jahre später, dass man mit dem Schiedsrichterausweis freien Eintritt zu allen Spielen gewährt bekomme.
Siebert ist also nicht der Typus des Spielers, den sein Verein zum Neulingslehrgang geschickt hat, weil er sonst nicht zu gebrauchen war – im Gegenteil: Er wollte zum Fußball. Und fand nicht nur Spaß an der Sache, sondern stellte auch sehr bald sein Talent unter Beweis.
Einer seiner ersten Förderer war Thomas Pust, der bis heute im Lehrstab des Berliner Fußball-Verbandes aktiv ist. Irgendwann kam dann aber der Zeitpunkt, an dem Siebert sich entscheiden musste: "Da gab es ein einschneidendes Erlebnis", erzählt er. "Als junger Spieler im Herrenbereich habe ich für meinen Verein FC Nordost Berlin in der letzten Minute das Siegtor geschossen. Und wie der Zufall es wollte, sollte ich am folgenden Wochenende ausgerechnet das nächste Heimspiel jenes Vereins pfeifen, den wir gerade geschlagen hatten. Da war mir eigentlich sofort klar: Das geht nicht mehr lange gut. Jetzt muss ich mich für eine Sache entscheiden."
Steiler Aufstieg
Die Entscheidung für das Schiedsrichterwesen war rückblickend die richtige. Denn spätestens jetzt, mit der Nominierung für die Weltmeisterschaft in Katar, ist Siebert zur Nummer eins im deutschen Schiedsrichterwesen aufgestiegen, nachdem Felix Brych altersbedingt von der FIFA-Liste ausscheiden musste.
Was Daniel Siebert in den vergangenen 18 Monaten erlebt hat, drückt er selbst dezent mit den Worten "rasante Entwicklung" aus. Seit 2014 ist er FIFA-Schiedsrichter, 2022 rückte er in die Elite Group auf. Doch die Nachricht, dass er neben Felix Brych als Schiedsrichter für die multinationale, aufgrund der Pandemie um ein Jahr auf 2021 verschobene Europameisterschaft nominiert ist, hatte ihn überraschend erreicht. "Ich habe", sagt Siebert, "mich damals nicht als Kandidat gefühlt."
Aber dann war er dabei, sogar mittendrin. Die einzige Störung, wenn dieses Wort überhaupt angebracht ist, der Vorbereitung war privater Natur: Kurz vor Beginn der Europameisterschaft sollte Daniel Siebert zum ersten Mal Vater werden. Die erwartete Geburt verzögerte sich allerdings um ein paar Tage, sodass Siebert erst nach den beiden Vorrundenpartien zwischen Schottland und Tschechien sowie Schweden und der Slowakei rechtzeitig zur Geburt seiner Tochter nach Berlin fliegen durfte. Kurz darauf wurden Siebert und seine Assistenten Jan Seidel und Rafael Foltyn für das Achtelfinale zwischen Wales und Dänemark nominiert, bei dem sie ebenfalls einen ausgezeichneten Eindruck hinterließen.
Eine erfolgreiche Europameisterschaft mit gleich drei Spielen und das internationale Karriereende von Felix Brych. Siebert sagt selbst, dass die Umstände für ihn ausgesprochen günstig waren. Aber eine Chance, die man geboten bekommt, muss man auch zu nutzen wissen. "Ich habe immer gedacht: Erst in ein paar Jahren bist du dann soweit", erzählt der Berliner, "und dann wurde ich ins kalte Wasser geworfen."
Große mentale Umstellung
Er gibt, und auch diese realistische Einschätzung spricht für seine Stärke, unumwunden zu, dass er auf "die ganz großen Sachen" nicht vorbereitet war. Mental, so sagt Daniel Siebert es, sei das schon eine große Umstellung und eine Belastung gewesen. "Ich musste erst lernen mit dem großen Leistungsdruck auf europäischem Top-Niveau umzugehen".
Siebert pfiff mehrere Topspiele in nur einer Saison, zum Beispiel in der Champions League Inter Mailand gegen Real Madrid oder im April dieses Jahres das nervenaufreibende Duell zwischen Atlético Madrid und Manchester City, das Nations League-Halbfinale zwischen Belgien und Frankreich, entscheidende WM-Qualifikationsspiele in Polen oder Montenegro sowie das WM-Playoff-Spiel zwischen Portugal und der Türkei. Und dazwischen die Bundesliga – "das macht etwas mit einem, selbstverständlich. Am Ende der Saison war ich natürlich voll von Erlebnissen und Eindrücken, aber auch ausgelaugt."
Dass Siebert im Dezember 2021 dann auch noch mit seinen Assistenten Rafael Foltyn und Christian Gittelmann für den FIFA Arab Cup in Katar, die Generalprobe für die Weltmeisterschaft im Jahr darauf, nominiert wurde, dort drei Spiele souverän pfiff und daraufhin auch das Finale zwischen Tunesien und Algerien anvertraut bekam, war bereits ein Hinweis darauf, dass sich Siebert auch auf die Weltmeisterschaft berechtigte Hoffnungen machen durfte.
Die Ansetzung, so formuliert es Lutz Michael Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, "bestätigt seine tolle Leistungsentwicklung" und sei "eine hervorragende Auszeichnung und Wertschätzung für ihn persönlich sowie das deutsche Schiedsrichterwesen".
Kurze Wege in Katar
Rein logistisch wird die Weltmeisterschaft in Katar mit Sicherheit weniger stressig als die multinationale EURO im vergangenen Jahr, als die Schiedsrichter ihre Basis in Istanbul hatten und von dort aus zu ihren jeweiligen Spielorten reisten. "In Katar", sagt Siebert, "liegt das am weitesten entfernte Stadion gerade einmal 45 Minuten Busfahrt von unserem Basiscamp entfernt."
Und die Vorbereitung? Auf einem Lehrgang in Madrid im Juni wurden Siebert und seine beiden Assistenten regeltechnisch auf das Turnier eingestellt. Etwa zehn Tage vor dem Eröffnungsspiel am kommenden Sonntag werden auch die Referees nach Katar anreisen. Bis dahin heißt es: fit bleiben, ohne zu überziehen. "Ich habe große Lust, für diese WM zu trainieren", sagt Siebert, der als Lehrer für Sport und Geografie an der Sportschule in Hohenschönhausen unterrichtet. "Die Kunst ist es jetzt, Gesundheit und Leistungsmaximierung im Gleichgewicht zu halten. Das heißt, Grundlagen zu schaffen, mich physisch und psychisch in Hochform zu bringen, aber mich um Gottes Willen nicht zu verletzen."
So oder ähnlich äußern sich auch Jan Seidel und Rafael Foltyn, die Siebert als Schiedsrichter-Assistenten bei der Weltmeisterschaft zur Seite stehen. Jan Seidel spricht von einem Balanceakt im sportphysischen Bereich und betont gleichzeitig: "Als Team sind wir maximal fixiert auf dieses Ereignis." Dass er von einer solchen Nominierung geträumt habe, wie er sagt – das verbindet ihn mit seinem Kollegen Rafael Foltyn. "Das ist eine unglaubliche Situation", so Foltyn.
Er erinnert sich, wie er als junger Schiedsrichter auf den Verbandslehrgängen in der Sportschule des Hessischen Fußball-Verbandes gesessen und dem damaligen Lehrwart Lutz Wagner bei seinen Vorträgen zugehört habe. "Irgendwann mal in der 2. Bundesliga auflaufen – das wär's", dachte sich Foltyn seinerzeit.
Dankert und Fritz als VAR bei WM dabei
Mittlerweile hat Foltyn es auf mehr als 150 Einsätze in der Bundesliga gebracht. Und jetzt die WM. Alle betonen, dass erfolgreiche Spielleitungen nur im Team funktionieren. Ein Teamgedanke, der auch die beiden als VAR nominierten Bastian Dankert und Marco Fritz ausdrücklich einschließt, wie Daniel Siebert betont: "Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir werden uns bestmöglich vorbereiten und dann alles geben, um den DFB international würdig zu vertreten."
In einem DFB-Porträtfilm sprach Daniel Siebert vor einigen Jahren darüber, wie er seine Aufgabe als Schiedsrichter definiert. Unter anderem gehe es ihm auch darum, die Schönheit des Fußballs zu gewährleisten, "Ästhetik in das Spiel reinzubekommen". Da spricht der Schiedsrichter mit dem Blick für Abläufe und für die Essenz seines Sports. Für Daniel Siebert und das deutsche Schiedsrichterteam soll es eine gute Weltmeisterschaft werden. Und eben auch: eine schöne.
DFB
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