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Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier

Am 21. November 2022 wurde das Haus der Religionen in Hannover neu eröffnet.

Zunächst ein ganz herzlicher Dank an die Gastgeber für die Einladung. Die meisten hier im Saal wissen: Ich komme gern nach Hannover. Nicht nur wegen guter Erinnerungen, die ich an meine Zeit in Hannover habe, sondern weil hier auch viele gute Freunde leben. Heute bin ich besonders gern gekommen, weil ich die Gelegenheit habe, die Wiedereröffnung des Hauses der Religionen zu feiern. Denn dieses Haus ist ein Symbol für ein vielfältiges, ein offenes, ein tolerantes Deutschland.

In unser Land sind über die Jahrzehnte die verschiedensten Menschen aus den verschiedensten Gründen gekommen. Sie kamen als sogenannte Gastarbeiter, sie kamen als Flüchtlinge, sie kamen als Übersiedler, aber vor allem kamen sie als: Menschen. All diese Menschen brachten etwas mit: ihre Ideen, ihre Hoffnungen, ihr Engagement – und natürlich auch ihre Religion. Diese Vielfalt unserer Gesellschaft, sie braucht Orte der Begegnung, auch interreligiöse Begegnungsorte. Ihr Haus, das Haus der Religionen, ist so ein Ort. Es strahlt über Hannover hinaus, denn es spiegelt eine religiöse Vielfalt wider, wie wir sie nicht nur in den großen Städten in Deutschland finden, sondern längst auch im ländlicheren Raum.

Juden, Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten und Bahai treffen sich hier unter einem Dach, arbeiten gemeinsam daran, Vorurteile abzubauen und lernen mit religiösen Unterschieden umzugehen. Aber das Wichtigste: Bei Ihnen entsteht etwas. Sie arbeiten zusammen in der interreligiösen Bildungsarbeit, um weiterzugeben, was Sie selbst hier praktizieren: Frieden und Toleranz, die Grundwerte des Zusammenlebens in unserem Gemeinwesen. Sie klären Menschen über die eigene und vor allem fremde Religionen auf. Sie organisieren Informationsveranstaltungen bis hin zu theologischen Fachdiskussionen. Sie tun hier im Haus gemeinsam Gutes. Und eine Religion, die nicht Gutes bewirkt und dieses Gute unter die Menschen bringt: Sie verfehlt ihre Mission.

Interreligiöse Arbeit: Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, was sie leisten kann, was nicht – und was wir für unser Zusammenleben insgesamt aus ihr lernen können. Wenn man es streng angeht, wäre es mit der interreligiösen Begegnung ja in wenigen Minuten vorbei. Dann würde man schlicht feststellen, dass man selbst nicht der andere ist. Dass Juden nicht Christen, Christen nicht Muslime, Muslime keine Juden oder Hindus nicht Buddhisten sind. Der innerste Glaubenskern der Religionen kann nun mal nicht – anders als viele Fragen in der Politik – Thema von Verhandlungen, er kann nicht Inhalt von Kompromissen oder gar Mehrheitsentscheidungen sein oder in Vermittlungsausschüssen diskutiert werden. Aber ebenso wahr und wichtig ist, dass Glaubenslehren zueinander sprechen können müssen, ohne abzuwerten und auszuschließen, mit Respekt und Friedensfähigkeit. Christen mit Juden, Muslime mit Juden, Hindus mit Muslimen – wir wissen ja, dass hinter jeder dieser Paarungen viele Konflikte, manchmal auch Feindbilder lauern und allzu schnell in Hass und Gewalt ausschlagen. Die wechselseitige Akzeptanz und die Friedensfähigkeit der Glaubenslehren sind in einer Gesellschaft der Vielfalt ohne Alternative. Wir müssen darauf bestehen.

Das Haus der Religionen ist ein Beleg dafür, dass die großen Religionen grundsätzlich zum Frieden fähig sind. Und diesen Anspruch an sich selbst müssen sie auch haben. Sie dürfen kein Anlass mehr sein für hasserfüllte Auseinandersetzungen oder gar Gewalt. Im Gegenteil: Ich wünsche mir, dass es gelingt, die Kraft der Religion für den Frieden zu nutzen. Gerade in dieser Zeit, in der wir in unserem Land eine verschärfte gesellschaftliche Auseinandersetzung erleben und in Europa wieder ein Krieg geführt wird, ist diese Hoffnung wichtig. Zu den ureigensten Versprechungen der Religionen gehört der Seelenfrieden im Innern des Menschen genauso wie der Frieden mit dem Nächsten und dem Fremden nach außen. Beides hängt zusammen.

Für unsere Gesellschaft bedeutet die Friedensverantwortung der Religionen konkret, dass sie aufeinander zugehen müssen und dazu braucht es Formen der Begegnung, wie die interreligiöse Arbeit in Ihrem Haus.

Diese erfordert zunächst vor allem eins: Wissen. Nicht nur über fremde Religionen, sondern auch über die eigene, denn daran mangelt es ja auch nicht selten. Interreligiöse Arbeit erfordert, sich von Klischees über den Anderen zu befreien und die subjektive, eigene Sicht auf die Welt auch als subjektiv zu erkennen. Und interreligiöse Arbeit erfordert schließlich die Fähigkeit, sich in den Anderen hineinzuversetzen, die religiöse Bild- und Sprachwelt des Anderen in die eigene Welt übersetzen zu lernen.

Und das alles ist eben etwas sehr anderes, als Differenzen zu vertuschen oder Konflikte zu negieren. Interreligiöse Arbeit ist kein Zauberwort, kein Mittel zur Erschaffung einer Wohlfühl-Universalreligion, in der man sich irgendwann darauf einigt, an irgendetwas zu glauben, was dann im Esoterisch-Ungefähren endet.

Nein, die interreligiöse Arbeit ist eine Begegnung selbstbewusster, aber für andere Sichtweisen offener Menschen. Denn nur selbstbewusste Menschen können sich wirklich für das Fremde, für andere Sichtweisen öffnen, nicht nur in religiösen Fragen.

Ihr Haus zeigt, dass ein „Wir“ entstehen kann, in dem der einzelne eben nicht sein „Ich“ aufgeben muss. Und diese Erfahrung ist wichtig – für die gesamte Demokratie. Insofern ist Ihr Haus der Religionen auch ein Lernort der Demokratie, an dem Dinge eingeübt werden, die für unseren täglichen gemeinsamen Umgang miteinander in unserem Gemeinwesen immer wichtiger werden. Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung, in einer Zeit, in der sich Menschen immer öfter in ihren politischen und weltanschaulichen Räumen abschotten. Wir müssen alle immer wieder üben, einander zuzuhören, zu verstehen, zusammenzukommen. So wie Sie das hier im Haus praktizieren.

Ich hoffe, dass diesem Haus in Hannover noch viele weitere in unserem Land folgen werden: Häuser, die zum gemeinsamen Handeln, Lernen und Kennenlernen einladen. Noch einmal herzlichen Dank und Glückwunsch zur Wiedereröffnung dieses Hauses!


Die Bundesregierung