Ein völlig schockierter Hansi Flick fluchte, seine Stars blickten nach einem dramatischen Gruppenfinale nur noch entsetzt um sich: Dieses WM-Desaster war genauso schlimm wie der Russland-Albtraum von 2018. Die mit Titel-Ambitionen gestartete deutsche Fußball-Nationalmannschaft verabschiedet sich mit einem 4:2 (1:0) gegen Costa Rica international verlacht von der WM, weil die erhoffte Hilfe der Spanier ausblieb.
Der Traum vom fünften Stern verglühte am Donnerstag über dem Beduinenzelt-Stadion von Al-Khor am katarischen Wüstenhimmel - nach der dritten deutschen Turnier-Blamage in Serie gehört der viermalige Weltmeister definitiv nicht mal mehr annähernd zur erweiterten Weltspitze. Der Bundestrainer steht vor den Trümmern seiner kurzen Amtszeit.
Nach dem Führungstreffer durch Serge Gnabry (10.) und einem 30-minütigen Belagerungszustand vor dem costaricanischen Tor sah noch alles blendend aus. Das Grauen kam auf leisen Füßen: Costa Rica zeigte sich erst ab und an gefährlicher - und schlug dann gnadenlos zu. Spanien verspielte unterdessen beim 1:2 (1:0) gegen Japan in drei Minuten eine Führung.
In Al-Khor schoss Yeltsin Tejeda (58.) den Ausgleich, die deutsche Mannschaft war zu diesem Zeitpunkt schon völlig verunsichert. Jamal Musiala traf nur den Pfosten (61./67.). Kai Havertz (72./85.) und "Joker" Niclas Füllkrug (89.) konterten immerhin das zweite Gegentor durch Celso Borges (70.).
Wie das so ist, wenn ein Großprojekt zu Staub zerfällt: Vorab gefeierte oder zumindest nicht kritisierte Entscheidungen werden nun hart infrage gestellt. Taktik, Personal, Einstellung - Flick wird in den kommenden Tagen einiges zu erklären haben. Warum nahm er Mario Götze mit? Warum spielte Niclas Füllkrug nicht früher? Warum spielte Kimmich plötzlich hinten rechts?
So oder so: Wurzel allen Übels war das unnötige 1:2 gegen Japan nach deutscher Führung im ersten Spiel. Nebengeräusche wie der Streit um die One-Love-Binde waren wohl ablenkender als gedacht, das 1:1 gegen Spanien wirkte außerdem wie ein zu stark dosiertes Beruhigungsmittel.
Ein Umbruch ist nun mehr denn je notwendig. Flick hat angesichts seines Vertrages bis 2024 zwar versprochen, von sich aus nicht hinzuwerfen, die Bewertung obliegt allerdings Oliver Bierhoff und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). Müller hat womöglich sein letztes Turnierspiel gemacht, vielleicht auch Manuel Neuer, der noch zum WM-Rekordtorhüter aufstieg. Junge Spieler wie Jamal Musiala stehen für die Heim-EM noch mehr in der Verantwortung.
Dabei hatte Flick alles versucht - sogar den Philipp-Lahm-Move von 2014. Der spätere Weltmeisterkapitän hatte sich zum Wohle der Mannschaft rechts in der Abwehr einsortiert, so tat es nun Joshua Kimmich. Leroy Sane kam zudem in die Mannschaft, Müller bekam im Sturm erneut den Vorzug vor Füllkrug, der eingewechselt wurde. Es war der größtmögliche Bayern-Block mit sieben Spielern des Rekordmeisters.
Doch was half es? Nichts.
Der deutsche Tross wird das Zulal Wellness Resort am Freitag räumen und wohl gegen Mittag tief betrübt nach Hause fliegen - in ein Land, das sowieso nicht gerade von WM-Euphorie erfasst war und nun wohl fast völlig das Interesse verlieren wird.
Schnell Tore zu erzielen, wie auch immer, und dann auf Spanien gegen Japan zu schauen - das war das Ziel. Musiala tanzte durch sechs Gegenspieler, kam aber nicht zum Abschluss, zuvor hatte er Keylor Navas im gegnerischen Tor schon einmal die Fäuste warmgeschossen. Die Belagerung begann, Gnabry traf nach Flanke von Raum per Kopf, vom Spanien-Spiel in Ar-Rayyan kam auch frohe Kunde.
Das Drama: Es war noch nicht annähernd abzusehen. Doch ein Tor für Costa Rica oder deren zwei für Japan waren immer noch eine recht reale Bedrohung, wie Neuers Glanzparade gegen Keysher Fuller (42.) zeigte. Antonio Rüdiger und David Raum hatten im Duett gepatzt, Neuers feuriger Blick war Strafe genug.
Dann ging es dahin: Fassungslos nahmen die deutschen Fans den Ausgleich und sogar die costaricanische Führung zur Kenntnis. Ja, Deutschland rannte an, hatte Chancen und traf, doch der Weg in ein Achtelfinale gegen Marokko blieb versperrt: Es ist blamabel.
Marco MADER und Oliver MUCHA /© 2008-2022 Sport-Informations-Dienst