Nach der Großrazzia vom Mittwoch gegen Beteiligte an einer Verschwörung aus der sogenannten Reichsbürger-Szene (Wikipedia) erwägt der Bundestag zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen. "Wir werden für den Bundestag genau prüfen, welche Sicherheitsvorkehrungen wir anpassen müssen und das Thema in allen entscheidenden Gremien behandeln", sagte Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt der Funke Mediengruppe. Laut einem Medienbericht kursierte unter den Beschuldigten eine "Feindesliste", auf der Spitzenpolitikerinnen und -politiker sowie weitere Prominente verzeichnet waren.
Göring-Eckardt wies auch darauf hin, dass es bei dem Reichsbürger-Netzwerk "offenbar eine Verbindung zur AfD-Fraktion" gibt. "Das Sicherheitskonzept des Bundestags ist nicht dafür gemacht, dass Verfassungsfeinde mit Zutrittsprivilegien ins Parlament gewählt werden. Das ist ein Schwachpunkt der wehrhaften Demokratie", sagte dazu der Grünen-Politiker Konstantin von Notz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der SPD-Politiker Ralf Stegner sagte dem RND, er erwarte mehr Kontrollen vor allem von Besucherinnen und Besuchern von Abgeordneten. "Wir werden den Bundestag besser schützen müssen", forderte auch er.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich am Donnerstagabend ebenfalls besorgt über Querverbindungen der Extremisten-Gruppe zur AfD gezeigt. "Dass unter den Beschuldigten eine ehemalige AfD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages ist, ist natürlich ein sehr bemerkenswerter und sehr schlimmer Vorfall", sagte Scholz nach Beratungen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder. Er betonte aber die Wehrhaftigkeit der Demokratie.
Ähnlich äußerte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der im Frühjahr selbst ins Visier von Entführungsplänen von Reichsbürgern und Querdenkern geraten war. "Demokratie ist wehrhaft. Wir lassen uns das nicht bieten", sagte er RTL und ntv.
Am Mittwoch waren Polizei und Generalbundesanwalt bundesweit gegen ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus Reichsbürgern vorgegangen, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen. 25 Menschen wurden dabei festgenommen. Unter ihnen war auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann.
Der SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann forderte in den Funke-Zeitungen, Malsack-Winkemanns Kontakte in den Bundestag dringend zu überprüfen. Sie wurde laut einem Bericht des "Spiegel" vor ihrer Festnahme intensiv observiert. Dabei sei auch ein konspiratives Treffen mit Verschwörern bemerkt worden, an dem noch ein weiterer AfD-Funktionär teilgenommen habe.
Auf der "Feindesliste", die schon vor der Razzia bei Ermittlungen wegen der Verschwörung entdeckt worden sei, stehen laut einem Bericht der Berliner "tageszeitung" unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), SPD-Chefin Saskia Esken, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und der frühere CDU-Chef Armin Laschet sowie möglicherweise auch der aktuelle CDU-Chef Friedrich Merz, außerdem demnach drei TV-Moderatoren. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst von den Sicherheitsbehörden sowie der Bundesregierung nicht.
Die Unionsfraktion im Bundestag beantragte laut einem Bericht des Portals t-online.de für Montag eine Sondersitzung des Bundestags-Rechtsausschusses. Sie verlangt Aufklärung über Vorab-Infos an Medien über die Razzia. "Durchgestochene Ermittlungsinterna gefährden die Ermittlungen und Schaden dem Rechtsstaat", sagte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU).
"Durchstechereien von Details polizeilicher Maßnahmen gefährden konkret den Einsatzerfolg und nicht zuletzt Leib und Leben unserer Kolleginnen und Kollegen", sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, dem Portal t-online.de. "In solchen Fällen steht unter Umständen auch der Verdacht des Geheimnisverrats im Raum." Mehrere Medien hatten offensichtlich vorab von den Razzien erfahren.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bezeichnete "die Weitergabe von Informationen an Außenstehende bei solchen Maßnahmen" als "unverantwortlich". Auch sie verwies auf mögliche Gefahren für Einsatzkräfte oder deren Behinderung. Mit Blick auf mögliche weitere Beteiligte an der Verschwörung in Sicherheitskräften, verwies die Sprecherin auf ohnehin bereits praktizierte Sicherheitsüberprüfungen.
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