Wegen Korruptionsvorwürfen hat das EU-Parlament am Dienstag seine bisherige Vizepräsidentin Eva Kaili mit überwältigender Mehrheit abgesetzt. Bei Durchsuchungen bei Kaili und weiteren Verdächtigen wurden insgesamt mehr als eineinhalb Million Euro in bar gefunden. Die derzeit in Untersuchungshaft sitzende Sozialdemokratin aus Griechenland wies den Vorwurf zurück, Bestechungsgelder von Katar angenommen zu haben.
"Kaili ist der Auffassung, dass sie unschuldig ist", sagte ihr Anwalt Michalis Dimitrakopoulos dem griechischen Privatsender Open TV. "Sie hat mit Bestechungsgeldern von Katar nichts zu tun." Am Mittwoch soll bei einer Anhörung vor Gericht entschieden werden, ob Kaili bis zum Beginn ihres Prozesses in Haft bleiben muss.
Im EU-Parlament sind die Abgeordneten jedoch alles andere als überzeugt von Kailis Unschuld. Am Dienstagnachmittag setzte die Volksvertretung die Vizepräsidentin mit fast einstimmiger Mehrheit ab. 625 von 628 abgegebene Stimmen waren dafür, dass Kaili nicht mehr eine der 14 Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen des Parlaments sein soll.
Die 44-jährige Sozialdemokratin war am Freitag wegen des Verdachts der Korruption durch das Fußball-WM-Gastgeberland Katar festgenommen worden und sitzt nun in Brüssel in Untersuchungshaft. Auch ihr im Europaparlament tätiger Lebensgefährte sowie der ehemalige EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri wurden festgenommen. Nach einer Durchsuchung in der Brüsseler Wohnung Kailis am Freitag wurden am Samstagabend zudem die Privaträume des belgischen Europaabgeordneten Marc Tarabella durchsucht.
Bei den Ermittlungen geht es darum, dass Kaili und weiteren Beschuldigten "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption" vorgeworfen wird. Der Golfstaat Katar soll große Summen gezahlt haben, um Entscheidungen im EU-Parlament zu beeinflussen. Das Golfemirat bestreitet dies.
Die Ermittler fanden bei Durchsuchungen enorme Summen Bargeld von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro. In der Wohnung von Kaili und ihrem Lebensgefährten fanden sie laut belgischen Justizkreisen 150.000 Euro und weitere 750.000 Euro bei Kailis Vater, der sich in einem Brüsseler Hotel aufgehalten haben soll. Bei der Hausdurchsuchung bei Panzeri beschlagnahmten die Ermittler weitere rund 600.000 Euro.
Damit bestätigten belgische Justizkreise gegenüber der Nachrichtenagentur AFP Berichte der belgischen Zeitungen "Le Soir" und "Knack".Derweil wies der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB), dessen Generalsekretär Luca Visentini in der Korruptionsaffäre ebenfalls vorübergehend festgenommen und befragt wurde, vehement zurück, von "irgendeiner Instanz, in Katar oder anderswo", beeinflusst worden zu sein.
Am Sonntag war Visentini vom Untersuchungsrichter nach seiner Festnahme wieder freigelassen worden. Visentini erklärte, "unschuldig" zu sein. Laut einer belgischen Justizquelle wurde er vom zuständigen Richter "unter Auflagen" freigelassen.
Im Zuge der Ermittlungen durchsuchten Fahnder am Montag zudem die Büros von mehreren Abgeordneten im EU-Parlament. Es mehren sich im Europaparlament und anderswo die Befürchtungen, dass es noch weitere Fälle gegeben haben könnte und bisher nur "die Spitze eines Eisbergs" sichtbar wurde. Der EU-Direktor von Transparency International, Michiel von Hulten, kritisierte gegenüber dem "Handelsblatt", dass Regelverstöße im EU-Parlament nicht bestraft würden. "Im Parlament fühlt man sich, als stünde man über dem Gesetz", sagte von Hulten.
mbn/se Marion BERGERMANN / © Agence France-Presse