Angesichts der nicht nachlassenden russischen Angriffe auf die Infrastruktur seines Landes hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Forderung nach Lieferung von Luftabwehrsystemen bekräftigt. Der Westen müsse gegenüber Russland "den Druck erhöhen", sagte der Staatschef in der Nacht zum Samstag in seiner Videoansprache. Sein Land benötige dringend Luftabwehrraketen. Nach dem massivem Beschuss vom Vortag arbeiteten am Samstag viele Orte daran, die Strom- und Wasserversorgung wiederherzustellen. Moskau vermeldete indes, mit den Angriffen eine ausländische Waffenlieferung verhindert zu haben.
Allein am Freitag wurden nach Angaben der ukrainischen Armee von den russischen Streitkräften 74 Raketen abgefeuert. 60 davon seien von der Luftabwehr abgeschossen worden. Laut Selenskyj kam es in der Folge zu Stromausfällen in Kiew und 14 weiteren Regionen des Landes.
Es werde derzeit an der Wiederherstellung der Versorgung gearbeitet, sagte der Staatschef. "Unsere Ingenieure und Reparaturteams haben schon während des Luftalarms mit der Arbeit begonnen", sagte Selenskyj. Er warb bei seinen Landsleuten zugleich um Geduld: Das Stromnetz werde repariert - aber "das braucht Zeit".
Kiew hat bei den westlichen Verbündeten um die Lieferung des hochentwickelten Patriot-Luftabwehrsystems (Wikipedia) gebeten. Diesem Wunsch stand die Nato lange sehr zögerlich gegenüber. Inzwischen wollen die USA laut Medienberichten aber doch eines dieser Raketensysteme an die ukrainischen Truppen liefern. Eine offizielle Bestätigung dafür steht aber noch aus.
In eisiger Kälte fanden derweil überall im Land Reparaturarbeiten statt. Der staatliche Energieversorger Ukrenergo erklärte am Samstag, dass Energiesystem erhole sich weiter. Infolge des Beschusses hatte Ukrenergo Notabschaltungen des Stroms veranlasst.
Auch hatte der Versorger gewarnt, wegen des Ausmaßes der Schäden im Norden, Süden sowie im Zentrum des Landes könne es länger dauern als bei den vorherigen Angriffen, bis die Versorgung wieder hergestellt sei.
In der Hauptstadt Kiew nahm die U-Bahn am frühen Samstagmorgen wieder den Betrieb auf - die Fahrten waren ausgesetzt worden, damit die Bewohner in den Stationen vor den Luftangriffen Zuflucht suchen konnten. Wie Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko zudem mitteilte, war die Wasserversorgung wieder instandgesetzt. Doch habe ein Drittel der Hauptstadtbewohner weiterhin keinen Strom, sagte er. Im östlichen Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, sei die Stromversorgung wieder im Gang, teilte Regionalgouverneur Oleg Sinegubow mit.
Russland greift seit Wochen regelmäßig die Energie-Infrastruktur der Ukraine an. Millionen Menschen sind deshalb bei Minusgraden ohne Strom und Heizung. Laut Ukrenergo ist etwa die Hälfte des ukrainischen Stromnetzes schwer beschädigt.
"Alle ihre Ziele sind heute zivil", sagte Staatschef Selenskyj nach dem jüngsten Beschuss. "Die russischen Angriffe treffen vor allem Einrichtungen zur Energie- und Wärmeversorgung."
Russland bestätigte derweil, am Freitag einen "massiven Angriff mit Hochpräzisionswaffen" gegen "Systeme der Militärführung, den militärischen und industriellen Komplex und die unterstützenden ukrainischen Energieanlagen" ausgeführt zu haben. "Das Ziel wurde erreicht", erklärte das russische Verteidigungsministerium (Wikipedia) am Samstag.
Das Ministerium gab überdies an, mit den Angriffen eine Lieferung ausländischer Waffen verhindert zu haben: Nach der Angriffswelle sei "eine Lieferung von Waffen und Munition aus ausländischer Produktion verhindert" sowie ein Vorrücken von "Reserven" der ukrainischen Streitkräfte in die Kampfgebiete blockiert worden.
oer/ju AFP