Im Wirecard-Prozess hat der als Kronzeuge auftretende frühere Asien-Manager Oliver B. den früheren Unternehmenschef Markus Braun schwer belastet. "Dr. Braun war der Kern, auf den sich alles ausgerichtet hat", sagte B. am Montag in dem Verfahren um den Bilanzskandal des inzwischen insolventen früheren Dax-Konzerns vor dem Landgericht München I. Die Staatsanwaltschaft wies den Antrag von Brauns Verteidigern zurück, das Verfahren auszusetzen.
Der zuvor in Dubai lebende B. hatte sich Mitte 2020 nach dem Platzen des Wirecard-Skandals mit Fehlbuchungen in Milliardenhöhe freiwillig gestellt. Er diente der Staatsanwaltschaft danach als wichtigster Belastungszeuge, da er umfassend zu den Machenschaften in dem Konzern auspackte. Die Verteidigung von Ex-Konzernchef Braun hält B. allerdings für unglaubwürdig - sie wirft ihm vor, für sich selbst Millionenbeträge veruntreut und wichtige Daten vernichtet zu haben.
B. hingegen stellte Braun am Montag als die zentrale Triebfeder für die Manipulationen dar, die zu einem der größten deutschen Wirtschaftsskandal führten. Braun sei vom Wachstumskurs berauscht gewesen, dafür sei ihm jedes Mittel recht gewesen, sagte der Mitangeklagte. Bei Wirecard habe es ein "System des organisierten Betrugs" gegeben, das Unternehmen sei ein "Krebsgeschwür" gewesen.
"Die Wirecard versuchte, die Gesetze des Marktes mit Manipulation auszuhebeln", sagte der Ex-Manager. Die Unternehmensführung habe aus Kriminellen und Hasardeuren bestanden. Braun sei in dieser Gruppe ein absolutistischer Chef gewesen. Er habe gesagt, wo es langgehe, und was er sagte, sei gemacht worden.
Der zusammen mit Braun und dem früheren Chefbuchhalter von Wirecard angeklagte B. räumte seine eigene Schuld vollumfänglich ein. "Ich bin erschrocken über mein eigenes Agieren." Er bedauere zutiefst, damit zu dem Bilanzskandal beigetragen zu haben. "Blinde Loyalität" gegenüber Braun und dem geflohenen früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek habe ihn angetrieben. Neben Braun belastete B. auch Marsalek sowie den mitangeklagten früheren Chefbuchhalter Stephan von E.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren lauten auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, Marktmanipulation und unrichtige Darstellung. Obwohl die Wirecard-Führung seit langem wusste, dass die Geschäfte nicht liefen, sollen die Verantwortlichen neue Umsätze erfunden und so dem Konzern Milliardenkredite bei den Banken ergaunert haben. Die Verantwortlichen sollen sich damit ihre hohen Millionengehälter und Provisionen gesichert haben.
Die Münchner Staatsanwaltschaft wies den Antrag der Verteidiger Brauns zurück, das Verfahren auszusetzen. Von der Verteidigung geforderte weitere Ermittlungen zu weiteren Zahlungsströmen seien "irrelevant", da sie nicht die der Anklage zugrunde liegenden Sachverhalte beträfen. Es gebe zwar Ermittlungen, diese liefen aber, da es Hinweise auf Geldwäsche gebe und nicht wegen der Hauptanklagepunkte. Auch den Vorwurf der Verteidiger, dass Ermittlungsergebnisse zu spät zur Verfügung gestellt werden, wiesen die Ermittler zurück.
Die Braun-Verteidiger weiteten ihren vergangene Woche gestellten Aussetzungsantrag am Montag hingegen noch aus. Sie begründeten dies damit, dass noch nach dem zweiten Verhandlungstag weitere 11.000 PDF-Seiten und über 8000 E-Mails von der Staatsanwaltschaft nachgereicht worden seien, die nun gesichtet werden müssten. Die noch nach der Erhebung der Anklage weitergeführten Ermittlungen seien "ein Fass ohne Boden", die Verfahrenssituation sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar, sagte Verteidiger Alfred Dierlamm.
Der Vorsitzende Richter Markus Födisch sagte, voraussichtlich werde das Gericht erst Anfang nächsten Jahres über den Antrag entscheiden. Wie Dierlamm ankündigte, ist Braun zu einer Aussage bereit, sollte das Verfahren nicht ausgesetzt werden. In der zweiten Januarhälfte könnte es demnach zur Aussage von Ex-Wirecard-Chef Braun kommen.
ran/ilo
Ralf ISERMANN / © Agence France-Presse