Bielefeld/Münster - Frauen und Männer reagieren häufig unterschiedlich auf Erkrankungen und Therapien. „Doch immer noch werden biologische und soziokulturelle Geschlechterunterschiede in der medizinischen Versorgung ebenso wie in der Forschung unzureichend beachtet“, sagt Sabine Oertelt-Prigione, Professorin für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld. Ein neuer Zusammenschluss soll vorantreiben, dass die Medizin allen Geschlechtern gerecht wird: das Netzwerk geschlechtersensible Medizin NRW. Gegründet wurde es von Medizinischen Fakultäten in Nordrhein-Westfalen – darunter auch die der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Auf Einladung der Medizinischen Fakultät OWL als Initiatorin des Verbunds trafen sich die Mitwirkenden jetzt in Bielefeld, um ihre Ziele zu definieren.
„Nur durch Austausch, Zusammenarbeit und Beteiligung vieler wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Gruppen werden wir die flächendeckende Berücksichtigung der geschlechtersensiblen Medizin in Deutschland erreichen“, sagt Prof. Oertelt-Prigione. In Bielefeld wurde besprochen, wie Geschlechteraspekte in der Medizin an den acht beteiligten Universitäten berücksichtigt werden.
Weiterer Tagesordnungspunkt war, was nötig ist, um das Thema in den Studienordnungen der Fakultäten und in der humanmedizinischen Forschung zu verankern. Dabei zeigte sich laut Oertelt-Prigione: „Wie sehr geschlechtersensible Aspekte in Forschung und Lehre berücksichtigt werden, weicht an den Standorten stark voneinander ab.“ Vielerorts hänge es von engagierten Einzelpersonen ab, dass Fakultäten das Thema berücksichtigen und in Lehre und Forschung einplanen. Das jetzt gegründete Netzwerk Geschlechtersensible Medizin NRW soll die Auseinandersetzung mit dem Thema an den beteiligten Fakultäten stärken.
Der neue Verbund wird gemeinschaftlich geschlechtersensible Lehrmaterialen erstellen, Forschungsprojekte anbahnen sowie Tagungen und Vorträge organisieren. Er agiert unter dem Dach des Netzwerkes Frauen- und Geschlechterforschung NRW – darin engagieren sich mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von insgesamt 40 Hochschulen und sechs hochschulnahen Forschungseinrichtungen.
Am Standort Münster wird geschlechtersensible Medizin seit vielen Jahren durch Prof. Bettina Pfleiderer als Pflichtwahlfach im klinischen Abschnitt des Medizinstudiums unterrichtet. Die Medizinerin ist deutschlandweit und international eine gefragte Expertin auf diesem Gebiet. Sie macht sich dafür stark, dass das Thema in der Medizin in die Pflichtlehre verankert wird. Um das zu befördern, hat sie mit ihrem Team „GenderMed-Wiki“ entwickelt, eine Austausch- und Wissensplattform zu Themen rund um Geschlecht und Medizin mit vielen Fallstudien und Lehrmaterialien, die frei verfügbar sind für Lehrende.
Intensiv einbringen in den Verbund will sich auch das Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten (IfAS) der Medizinischen Fakultät der WWU. Priv.-Doz. Dr. Eva Schönefeld, im IfAS für geschlechtersensible Medizin zuständig und an vielen innovativen Lehrkonzepten beteiligt: „Bereits in meiner chirurgisch-wissenschaftlichen Karriere war mir dieses Thema ein Anliegen. Daher bin ich begeistert, daran mitzuwirken zu können, die geschlechtersensible Medizin in Lehrformaten und Dozierenden-Trainings zu implementieren und uns mit anderen Fakultäten dahingehend auszutauschen.“
Titelbild: Prof. Bettina Pfleiderer (l.) und Priv.-Doz. Dr. Eva Schönfeld engagieren sich schon seit Jahren für eine geschlechtersensible Medizin – und gehören daher auch zu den Mitgründern des neuen Netzwerks, das das Thema auf NRW-Ebene stärken will (Foto: WWU/M. Heine)
Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster