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Papst Franziskus: Große Polit-Rede zum Jahresbeginn

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus an diesem Montag beim Neujahrsempfang für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps gehalten hat, in vollem Wortlaut.

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

für Ihre Anwesenheit bei unserem traditionellen Treffen danke ich Ihnen, das in diesem Jahr ein Aufruf zum Frieden in einer Welt sein soll, in der Spaltungen und Kriege zunehmen.

Mein besonderer Dank gilt dem Dekan des Diplomatischen Korps, Seiner Exzellenz Georges Poulides, für die guten Wünsche, die er mir im Namen von Ihnen allen übermittelt hat. Ich grüße jeden einzelnen von Ihnen, Ihre Familien, Ihre Mitarbeiter und die Völker und Regierungen der Länder, die Sie vertreten. Ihnen allen und Ihren Autoritäten möchte ich meinen Dank für die Beileidsbekundungen anlässlich des Todes des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und für die Verbundenheit bei seinen Exequien aussprechen.

Wir haben gerade die Weihnachtszeit beschlossen, in der die Christen des Geheimnisses der Geburt des Sohnes Gottes gedenken. Der Prophet Jesaja hat es mit diesen Worten vorausgesagt: »Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens« (Jes 9,5).

Ihre Anwesenheit unterstreicht den Wert des Friedens und der menschlichen Geschwisterlichkeit, zu deren Aufbau der Dialog seinen Beitrag leistet. Im Übrigen besteht die Aufgabe der Diplomatie gerade darin, Differenzen beizulegen, um ein Klima der gegenseitigen Zusammenarbeit und des Vertrauens für die Befriedigung gemeinsamer Bedürfnisse zu schaffen. Man kann sagen, dass es sich dabei um eine Übung der Demut handelt, denn sie erfordert, dass man ein wenig Eigenliebe opfert, um mit dem anderen in Beziehung zu treten, seine Gründe und Standpunkte zu verstehen und so dem menschlichen Stolz und der Arroganz, der Ursache aller kriegerischen Absichten, entgegenzutreten.

Ich bin ebenso dankbar für die Achtung, die Ihre Länder dem Heiligen Stuhl entgegenbringen, die im vergangenen Jahr unter anderem durch die Entscheidung der Schweiz, der Republik Kongo, Mosambiks und Aserbaidschans zur Ernennung von residierenden Botschaftern in Rom sowie durch die Unterzeichnung neuer bilateraler Abkommen mit der Demokratischen Republik São Tomé und Príncipe und mit der Republik Kasachstan zum Ausdruck gekommen ist.

An dieser Stelle möchte ich auch daran erinnern, dass der Heilige Stuhl und die Volksrepublik China im Rahmen eines respektvollen und konstruktiven Dialogs sich darauf verständigt haben, die Gültigkeit der 2018 in Peking unterzeichneten vorläufigen Vereinbarung über die Ernennung von Bischöfen um weitere zwei Jahre zu verlängern. Ich hoffe, dass sich diese Zusammenarbeit zu Gunsten des Lebens der katholischen Kirche und des Wohls des chinesischen Volkes entwickelt.
Zugleich erneure ich Ihnen gegenüber die Zusicherung der vollen Kooperation des Staatssekretariats und der Dikasterien der Römischen Kurie, die mit der Verkündigung der neuen Apostolischen Konstitution Prædicate Evangelium in einigen Strukturen reformiert wurde, um »ihre eigene Aufgabe im Geist des Evangeliums« besser zu erfüllen, »indem sie für das Wohl und den Dienst an der Gemeinschaft, der Einheit und den Aufbau der Gesamtkirche wirkt und dabei den Erfordernissen der Welt Rechnung trägt, in der die Kirche aufgerufen ist, ihre Sendung zu erfüllen« . Liebe Botschafterinnen und Botschafter,
in diesem Jahr wird der 60. Jahrestag der Enzyklika Pacem in Terris des heiligen Johannes XXIII. begangen, die knapp zwei Monate vor seinem Tod veröffentlicht wurde .

In den Augen des „guten Papstes“ war die Gefahr eines Atomkriegs, die im Oktober 1962 durch die so genannte Kubakrise ausgelöst worden war, noch nicht gebannt. Die Menschheit war nur einen Schritt von ihrer eigenen Vernichtung entfernt, wenn es nicht gelungen wäre, den Dialog im Bewusstsein der zerstörerischen Wirkung der Atomwaffen obsiegen zu lassen.
Leider wird auch heute noch die nukleare Bedrohung heraufbeschworen, wodurch die Welt in Angst und Schrecken versetzt wird. Ich kann hier nur wiederholen, dass der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist, wie Johannes XXIII. feststellte: »Wenn es auch kaum glaublich ist, dass es Menschen gibt, die es wagen möchten, die Verantwortung für die Vernichtung und das Leid auf sich zu nehmen, die ein Krieg im Gefolge hat, so kann man doch nicht leugnen, dass unversehens und unerwartet ein Kriegsbrand entstehen kann« . Bei der Bedrohung durch Atomwaffen sind wir alle immer Verlierer!

Unter diesem Gesichtspunkt ist der Stillstand der Verhandlungen über die Wiederaufnahme des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans, besser bekannt als das Iran-Atomabkommen, besonders besorgniserregend. Ich hoffe, dass so bald wie möglich eine konkrete Lösung gefunden werden kann, um eine sicherere Zukunft zu gewährleisten.

Heute ist der dritte Weltkrieg in einer globalisierten Welt im Gange, in der die Konflikte zwar nur bestimmte Gebiete des Planeten unmittelbar betreffen, aber im Grunde genommen alle mit einbeziehen. Das beste und jüngste Beispiel dafür ist gerade der Krieg in der Ukraine mit seiner Spur von Tod und Zerstörung, mit den Angriffen auf die zivile Infrastruktur, bei denen Menschen nicht nur durch Bomben und Gewalt, sondern auch durch Hunger und Kälte ihr Leben verlieren. Diesbezüglich stellt die pastorale Konstitution Gaudium et spes fest: »Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist« (Nr. 80). Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Krieg vor allem die schwächsten Menschen – die Kinder, die älteren Menschen, die Behinderten - trifft und die Familien mit unauslöschlichen Folgen auseinanderreißt. Ich kann am heutigen Tag meinen Appell zur sofortigen Beendigung dieses sinnlosen Konflikts nur erneuern, dessen Auswirkungen im Bereich der Energie und der Nahrungsmittelproduktion auf ganze Gebiete, auch außerhalb Europas, vor allem in Afrika und im Nahen Osten, zu spüren sind.

Der dritte Weltkrieg in Teilen, den wir gerade erleben, veranlasst uns, einen Blick auf andere Schauplätze von Spannungen und Konflikten zu werfen. Auch in diesem Jahr müssen wir schmerzerfüllt auf das leidgeplagte Land Syrien blicken. Die Neugeburt dieses Landes muss die notwendigen Reformen, einschließlich Verfassungsreformen, durchlaufen, um dem syrischen Volk, das von immer größerer Armut betroffen ist, Hoffnung zu geben und zu verhindern, dass die verhängten internationalen Sanktionen das tägliche Leben einer Bevölkerung beeinträchtigen, die bereits so viel gelitten hat. Mit Sorge verfolgt der Heilige Stuhl auch die Zunahme der Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis mit der dramatischen Folge vieler Opfer und eines völligen Mangels an gegenseitigem Vertrauen. Besonders betroffen ist Jerusalem, eine heilige Stadt für Juden, Christen und Muslime. Die Berufung, die sich mit ihrem Namen verbindet, ist es, eine Stadt des Friedens zu sein, aber leider ist sie oft Schauplatz von Auseinandersetzungen. Ich vertraue darauf, dass sie diese Berufung, ein Ort und ein Symbol der Begegnung und des friedlichen Zusammenlebens zu sein, zurückgewinnen kann und dass der Zugang zu den heiligen Stätten und die Freiheit der Religionsausübung dort weiterhin gemäß dem Status quo gewährleistet und respektiert werden.

Gleichzeitig hoffe ich, dass die Verantwortlichen des Staates Israel und des Staates Palästina den Mut und die Entschlossenheit zurückgewinnen, in einen direkten Dialog einzutreten, um die Zweistaatenlösung in all ihren Aspekten in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und allen einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen umzusetzen.

Wie Sie wissen, werde ich Ende dieses Monats endlich zu einer Friedenspilgerreise in die Demokratische Republik Kongo aufbrechen können, in der Hoffnung, dass die Gewalt im Osten des Landes aufhört und sich der Weg des Dialogs und der Wille, sich für Sicherheit und das Gemeinwohl einzusetzen, durchsetzen wird. Die Pilgerreise geht weiter in den Südsudan, wo ich vom Erzbischof von Canterbury und dem Generalmoderator der Presbyterianischen Kirche von Schottland begleitet werde. Gemeinsam wollen wir uns dem Ruf der Menschen nach Frieden anschließen und zum Prozess der nationalen Aussöhnung beitragen.

Ich denke auch an den Jemen, wo der im vergangenen Oktober erreichte Waffenstillstand hält, aber weiterhin viele Zivilisten durch Landminen sterben, und an Äthiopien, wo ich hoffe, dass der Friedensprozess fortgesetzt und das Engagement der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der humanitären Krise im Land gestärkt wird.

Mit Besorgnis verfolge ich auch die Lage in Westafrika, das zunehmend von der Gewalt des Terrorismus heimgesucht wird. Ich denke dabei insbesondere an die Dramen, die die Bevölkerungen von Burkina Faso, Mali und Nigeria erleben, und ich hoffe, dass die Übergangsprozesse, die im Sudan, in Mali, im Tschad, in Guinea und in Burkina Faso im Gange sind, unter Berücksichtigung der legitimen Bestrebungen der betroffenen Bevölkerungen vonstattengehen werden.

Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolge ich auch die Lage in Myanmar, wo es seit zwei Jahren Gewalt, Schmerz und Tod gibt. Ich rufe die internationale Gemeinschaft auf, sich dafür einzusetzen, dass der Versöhnungsprozess Wirklichkeit wird, und ich fordere alle beteiligten Parteien auf, auf den Weg des Dialogs zurückzukehren, um den Menschen in diesem geliebten Land wieder Hoffnung zu geben.

Schließlich denke ich an die koreanische Halbinsel, für die ich hoffe, dass es nicht an gutem Willen und Engagement für die Eintracht mangeln wird, um den lang ersehnten Frieden und Wohlstand für das gesamte koreanische Volk zu schaffen.
Alle Konflikte lassen jedoch die tödlichen Folgen eines ständigen Bedarfs an neuen und immer hochentwickelteren Waffen erkennen, der manchmal mit der Begründung gerechtfertigt wird, dass „unter den gegenwärtigen Umständen der Friede nur durch das Gleichgewicht der Rüstungen gesichert werden kann“ . Es ist notwendig, diese Logik zu durchbrechen und den Weg einer umfassenden Abrüstung einzuschlagen, da kein Frieden möglich ist, wenn die Werkzeuge des Todes so weit verbreitet sind. Liebe Botschafterinnen und Botschafter,
in einer solch konfliktreichen Zeit können wir der Frage nicht ausweichen, wie wir die Bande des Friedens neu knüpfen können. Wo kann man wieder neu ansetzen?

Um eine Antwort zu skizzieren, möchte ich mit Ihnen einige Elemente aus Pacem in Terris aufgreifen, einem Text, der äußerst aktuell ist, auch wenn sich der internationale Kontext weitgehend verändert hat. Für den heiligen Johannes XXIII. ist der Friede nur im Lichte von vier grundlegenden Gütern möglich: Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit. Dies sind die Eckpfeiler, die sowohl die Beziehungen zwischen einzelnen Menschen als auch die Beziehungen zwischen politischen Gemeinschaften bestimmen .

Diese Dimensionen stehen in engem Zusammenhang mit der grundlegenden Prämisse, dass »jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Weil sie allgemein gültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden« .

Frieden in der Wahrheit

Frieden in Wahrheit zu schaffen, bedeutet zuallererst, die menschliche Person in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu respektieren, für die die Freiheit bei der Suche nach der Wahrheit, bei der Äußerung von Meinungen und bei deren Verbreitung garantiert werden muss. Dies setzt voraus, dass die staatlichen Stellen »sich auch dafür einsetzen, dass Bedingungen herrschen, in denen es den einzelnen Menschen möglich, und zwar leicht möglich ist, sowohl ihre Rechte wahrzunehmen als auch ihre Pflichten zu erfüllen« .

Trotz der von allen Staaten eingegangenen Verpflichtungen, die Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Menschen zu achten, werden Frauen auch heute noch in vielen Ländern als Bürger zweiter Klasse angesehen. Sie sind Gewalt und Missbrauch ausgesetzt und ihnen wird die Möglichkeit verweigert, zu studieren, zu arbeiten, ihre Talente zu entfalten, Zugang zu medizinischer Versorgung oder sogar Nahrung zu erhalten. Wo die Menschenrechte für alle uneingeschränkt anerkannt werden, können Frauen stattdessen ihren unersetzlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten und zu den wichtigsten Verbündeten des Friedens werden.

Frieden verlangt zuallererst, dass das Leben verteidigt wird, ein Gut, das heute nicht nur durch Konflikte, Hunger und Krankheiten gefährdet ist, sondern allzu oft schon im Mutterleib, indem ein angebliches „Recht auf Abtreibung“ geltend gemacht wird. Niemand kann jedoch ein Recht auf das Leben eines anderen Menschen beanspruchen, schon gar nicht, wenn er wehrlos ist und somit keine Möglichkeit hat sich zu verteidigen. Ich appelliere daher an das Gewissen der Männer und Frauen guten Willens, insbesondere derjenigen, die politische Verantwortung tragen, sich für den Schutz der Rechte der Schwächsten einzusetzen und die Wegwerfkultur zu überwinden, die leider auch Kranke, Behinderte und ältere Menschen betrifft. Die Staaten tragen die Hauptverantwortung dafür, die Betreuung der Bürger in jeder Phase des menschlichen Lebens bis hin zum natürlichen Tod zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass sich jeder Mensch auch in den schwierigsten Momenten seines Lebens begleitet und betreut fühlt.

Das Recht auf Leben ist auch dort bedroht, wo die Todesstrafe weiterhin praktiziert wird, wie es dieser Tage im Iran der Fall ist, nachdem die jüngsten Demonstrationen mehr Respekt für die Würde der Frauen gefordert haben. Die Todesstrafe kann nicht für eine angebliche staatliche Gerechtigkeit herhalten, da sie weder abschreckt noch den Opfern Gerechtigkeit verschafft, sondern nur den Durst nach Rache schürt. Ich fordere daher, dass die Todesstrafe, die immer unzulässig ist, weil sie die Unverletzlichkeit und Würde der Person angreift, in der Gesetzgebung aller Länder der Welt abgeschafft wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich ein Mensch bis zum letzten Moment bekehren und ändern kann.

Leider scheint sich immer mehr eine „Angst“ vor dem Leben zu entwickeln, die sich vielerorts in einer Angst vor der Zukunft und der Schwierigkeit ausdrückt, eine Familie zu gründen und Kindern das Leben zu schenken. In einigen Ländern, ich denke da zum Beispiel an Italien, gibt es einen gefährlichen Rückgang der Geburtenrate, einen echten demografischen Winter, der die Zukunft der Gesellschaft gefährdet. Ich möchte das liebe italienische Volk, das starke religiöse und kulturelle Wurzeln hat, erneut ermutigen, sich den Herausforderungen der heutigen Zeit mit Beharrlichkeit und voller Hoffnung zu stellen.

Ängste nähren sich aus Unwissenheit und Vorurteilen und können leicht in Konflikte ausarten. Bildung ist hier das Gegenmittel. Der Heilige Stuhl fördert eine ganzheitliche Vision der Bildung, in der »religiöse Bildung und sittliche Festigung gleichen Schritt halten mit der wissenschaftlichen Ausbildung und der ständig fortschreitenden technischen Vervollkommnung« . Erziehung verlangt immer einen ganzheitlichen Respekt vor der Person und ihrer natürlichen Physiognomie und vermeidet es, eine neue und verwirrte Sicht des Menschen durchzusetzen. Dies bedeutet, dass die Wege des menschlichen, spirituellen, intellektuellen und auch beruflichen Wachstums integriert werden müssen, damit sich der Mensch aus den vielfältigen Formen der Sklaverei befreien und sich in der Gesellschaft frei und verantwortungsbewusst behaupten kann. In diesem Sinne ist es inakzeptabel, dass ein Teil der Bevölkerung von der Bildung ausgeschlossen wird, wie es bei afghanischen Frauen der Fall ist.

Die Erziehung ist einer Krise ausgeliefert, die durch die verheerenden Folgen der Pandemie und das besorgniserregende geopolitische Szenario noch verschärft wird. In diesem Sinne bot der vom UN-Generalsekretär einberufene Gipfel über den Bildungswandel, der im September letzten Jahres in New York stattfand, den Regierungen eine einmalige Gelegenheit, mutige politische Maßnahmen zu ergreifen, um die gegenwärtige „Bildungskatastrophe“ anzugehen und konkrete Entscheidungen zu treffen, damit bis 2030 eine qualitativ hochwertige Bildung für alle erreicht werden kann. Die Staaten mögen den Mut haben, das beschämende und asymmetrische Verhältnis zwischen den öffentlichen Ausgaben für die Erziehung und den für die Rüstung bereitgestellten Mitteln umzukehren! Der Frieden erfordert auch, dass die Religionsfreiheit allgemein anerkannt wird. Es ist besorgniserregend, dass es Menschen gibt, die verfolgt werden, nur weil sie sich öffentlich zu ihrem Glauben bekennen, und es gibt viele Länder, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt ist. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in diesem Zustand. Neben der fehlenden Religionsfreiheit gibt es auch eine Verfolgung aus religiösen Gründen. Ich kann nicht umhin zu erwähnen, dass, wie einige Statistiken zeigen, jeder siebte Christ verfolgt wird. In diesem Zusammenhang bringe ich die Hoffnung zum Ausdruck, dass der neue Sonderbeauftragte der Europäischen Union für die Förderung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit außerhalb der Europäischen Union über die notwendigen Ressourcen und Mittel verfügt, um seinen Auftrag angemessen zu erfüllen.

Gleichzeitig sollte man nicht vergessen, dass Gewalt und Diskriminierung gegen Christen auch in Ländern zunehmen, in denen sie keine Minderheit sind. Die Religionsfreiheit ist auch dort gefährdet, wo im Namen eines falsch verstandenen Inklusionsverständnisses für die Glaubenden die Möglichkeit eingeschränkt wird, ihre Überzeugungen im gesellschaftlichen Leben zum Ausdruck zu bringen. Die Religionsfreiheit, die nicht auf die bloße Freiheit der Religionsausübung reduziert werden kann, ist eine der Mindestvoraussetzungen für ein Leben in Würde, und die Regierungen haben die Pflicht, sie zu schützen und jedem Menschen im Einklang mit dem Gemeinwohl die Möglichkeit zu garantieren, auch im öffentlichen Leben und bei der Berufsausübung nach seinem Gewissen handeln zu können.

Die Religion bietet eine wirksame Chance für den Dialog und die Begegnung zwischen verschiedenen Völkern und Kulturen, wie der Beschluss des Parlaments von Timor-Leste beweist, das einstimmig das 2019 von mir mit dem Großimam der Al-Azhar unterzeichnete Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen angenommen hat und es in die Programme der nationalen Bildungs- und Kultureinrichtungen aufgenommen hat. Dies konnte ich auch auf meiner Reise nach Kasachstan im September letzten Jahres anlässlich des VII. Treffens der führenden Vertreter der Weltreligionen persönlich erfahren, mit denen ich einige Sorgen unserer Zeit teilte und dabei darauf hinwies, dass die Religionen »nicht ein Problem [sind], sondern Teil der Lösung für ein harmonischeres Zusammenleben« . Ebenso bedeutsam war der Besuch in Bahrain, wo ein neuer Schritt auf dem Weg zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen gemacht wurde.

Oftmals will man die verschiedenen Konflikte, die die Menschheit begleiten, der Religion anlasten und zuweilen mangelt es tatsächlich nicht an bedauerlichen Versuchen, die Religion für rein politische Zwecke zu instrumentalisieren. Dies steht jedoch im Widerspruch zur christlichen Sichtweise, die die Wurzel jedweden Konfliktes aufdeckt, nämlich das Ungleichgewicht des menschlichen Herzens: »Von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken« (Mk 7,21), wie uns das Evangelium in Erinnerung ruft. Das Christentum regt den Frieden an, weil es zur Umkehr und zur Ausübung der Tugend anspornt.

Frieden in der Gerechtigkeit

Die Schaffung von Frieden setzt voraus, dass Gerechtigkeit angestrebt wird. Die Krise von 1962 konnte durch den Beitrag von Menschen guten Willens gelöst werden, die in der Lage waren, geeignete Lösungen zu finden, um zu verhindern, dass die politischen Spannungen in einen regelrechten Krieg ausarteten. Dies ist auch der Überzeugung zu verdanken, dass Streitigkeiten im Rahmen des Völkerrechts und durch jene Organisationen, allen voran die Vereinten Nationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und die multilaterale Diplomatie entwickelt haben, gelöst werden können. Der heilige Johannes XXIII. erinnert daran: »Die Vereinten Nationen stellen sich als Hauptaufgabe, den Frieden unter den Völkern zu schützen und zu festigen sowie freundschaftliche Beziehungen unter ihnen zu pflegen und zu entwickeln, die auf den Grundsätzen der Gleichheit, der gegenseitigen Hochachtung und der vielfältigen Zusammenarbeit auf allen Gebieten menschlicher Aktivität gründen« .

Der derzeitige Konflikt in der Ukraine hat die Krise, in der sich das multilaterale System seit langem befindet, noch deutlicher gemacht und es bedarf tiefgreifender Überlegungen, um angemessen auf die Herausforderungen unserer Zeit antworten zu können. Dies erfordert eine Reform der Organe, die ihre Arbeit ermöglichen, damit sie wirklich die Bedürfnisse und Anliegen aller Völker repräsentieren und Abläufe vermieden werden, die einigen zum Nachteil anderer mehr Gewicht verleihen. Es geht also nicht darum, Blöcke von Allianzen zu bilden, sondern darum, Gelegenheiten für einen Dialog aller zu schaffen.
Gemeinsam kann so viel Gutes getan werden, man denke nur an die lobenswerten Initiativen zur Armutsbekämpfung, zur Unterstützung von Migranten, zur Bekämpfung des Klimawandels, zur Förderung der nuklearen Abrüstung und zur Bereitstellung humanitärer Hilfe. In letzter Zeit sind die verschiedenen internationalen Foren jedoch durch eine zunehmende Polarisierung und den Versuch gekennzeichnet, ein Einheitsdenken aufzuerlegen, das den Dialog verhindert und Andersdenkende ausgrenzt. Es besteht die Gefahr eines Abdriftens, welches immer mehr das Gesicht eines ideologischen Totalitarismus annimmt. Dieser fördert die Intoleranz gegenüber denjenigen, die sich nicht an vermeintliche Positionen des „Fortschritts“ halten, welche in Wirklichkeit vielmehr zu einem allgemeinen Rückschritt der Menschlichkeit durch die Verletzung der Gedanken- und Gewissensfreiheit zu führen scheinen.

Darüber hinaus wurden die zunehmenden Ressourcen genutzt, um insbesondere den ärmeren Ländern Formen der ideologischen Kolonisierung aufzuzwingen, wodurch ein direkter Zusammenhang zwischen der Gewährung von Wirtschaftshilfe und der Annahme solcher Ideologien hergestellt wurde. Dies hat die interne Debatte in den internationalen Organisationen belastet, was einen fruchtbaren Austausch verhindert und oft der Versuchung Vorschub leistet, Fragen im Alleingang und folglich auf der Grundlage von Machtverhältnissen anzugehen.

Im Übrigen konnte ich während meiner Reise nach Kanada im vergangenen Juli die Folgen der Kolonisierung mit Händen greifen, insbesondere bei meinen Treffen mit den indigenen Völkern, die unter der Assimilationspolitik der Vergangenheit gelitten haben. Wo versucht wird, anderen Kulturen Denkformen aufzuzwingen, die nicht zu ihnen gehören, ist der Weg frei für erbitterte Auseinandersetzungen und manchmal sogar für Gewalt.

Es ist notwendig, zum Dialog, zum gegenseitigen Zuhören und zu den Verhandlungen zurückzukehren und die gemeinsame Verantwortung sowie die Zusammenarbeit bei der Suche nach dem Gemeinwohl im Zeichen jener Solidarität zu fördern, »die sich daraus ergibt, dass wir uns für die Schwäche anderer verantwortlich fühlen und versuchen eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln« . Ausgrenzungen und gegenseitige Vetos führen nur zu weiteren Spaltungen.

Frieden in der Solidarität

In meiner jährlichen Botschaft zum Weltfriedenstag habe ich herausgestellt, dass die Covid-19-Pandemie ein Vermächtnis hinterlassen hat, nämlich »die Erkenntnis, dass wir alle einander brauchen« . Die Wege des Friedens sind Wege der Solidarität, denn niemand kann sich allein retten. Wir leben in einer Welt, die so sehr miteinander verflochten ist, dass die Handlungen eines jeden Einzelnen Auswirkungen auf alle haben.

Ich möchte hier drei Bereiche hervorheben, in denen die Verflechtung, die die Menschheit heute verbindet, besonders deutlich zutage tritt und in denen mehr Solidarität besonders vordringlich ist.

Der erste ist die Migration, die ganze Regionen der Erde betrifft. Oft handelt es sich um Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und gewaltigen Gefahren ausgesetzt sind. Andererseits »muss jedem Menschen das Recht zugestanden werden, innerhalb der Grenzen seines Staates seinen Wohnsitz zu behalten oder zu ändern, […] in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen« und muss die Möglichkeit haben, in sein Heimatland zurückzukehren.

Migration ist ein Thema, bei dem ein „unkoordiniertes Vorgehen“ nicht zulässig ist. Um dies zu verstehen, muss man nur einen Blick auf das Mittelmeer werfen, das zu einem großen Grab geworden ist. Diese untergegangenen Leben stehen sinnbildlich für den Schiffbruch unserer Zivilisation, wie ich auf meiner Reise nach Malta im vergangenen Frühjahr in Erinnerung rufen konnte. In Europa ist es dringend erforderlich, den rechtlichen Rahmen durch die Verabschiedung des Neuen Pakts zu Migration und Asyl zu stärken, damit angemessene Maßnahmen zur Aufnahme, Begleitung, Förderung und Integration von Migranten durchgeführt werden können. Gleichzeitig verlangt die Solidarität, dass die pflichtgemäßen Hilfs- und Betreuungseinsätze für Schiffbrüchige nicht gänzlich auf der Bevölkerung der Hauptlandestellen lasten.

Der zweite Bereich betrifft die Wirtschaft und die Arbeit. Die aufeinanderfolgenden Krisen der letzten Jahre haben die Grenzen eines Wirtschaftssystems aufgezeigt, das mehr auf die Schaffung von Profiten für einige wenige als auf Wohlstandschancen für viele ausgerichtet ist; eine Wirtschaft, die mehr auf Geld als auf die Produktion nützlicher Güter abzielt. Dies hat zu schwächeren Unternehmen und höchst ungerechten Arbeitsmärkten geführt. Die Würde des Unternehmens und der Arbeit muss wiederhergestellt werden, indem alle Formen der Ausbeutung bekämpft werden, die dazu führen, dass die Arbeitnehmer als Ware behandelt werden, denn »ohne eine würdige und gut bezahlte Arbeit werden junge Menschen nicht wirklich erwachsen, [und] die Ungleichheiten nehmen zu« . Der dritte Bereich ist die Pflege unseres gemeinsamen Hauses. Wir sind ständig mit den Auswirkungen des Klimawandels und deren schwerwiegenden Folgen für das Leben ganzer Bevölkerungen konfrontiert, sei es in Bezug auf die Verwüstungen, die sie zuweilen hervorrufen, wie in Pakistan in den von Überschwemmungen betroffenen Gebieten geschehen, wo die durch stehendes Wasser übertragen Ausbrüche von Krankheiten weiter zunehmen; sei es in weiten Gebieten des Pazifischen Ozeans, wo die globale Erwärmung unzählige Schäden an der Fischerei, der Lebensgrundlage ganzer Bevölkerungen, verursacht; oder in Somalia und am gesamten Horn von Afrika, wo die Dürre zu schweren Hungersnöten führt; oder in den letzten Tagen in den Vereinigten Staaten, wo plötzliche und intensive Kälteeinbrüche mehrere Todesopfer gefordert haben.

Im vergangenen Sommer hat der Heilige Stuhl beschlossen, dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen in der Absicht beizutreten, die Bemühungen aller Staaten moralisch zu unterstützen, um entsprechend ihrer Verantwortung und ihrer jeweiligen Möglichkeiten an einer wirksamen und angemessenen Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels mitzuwirken. Es ist zu hoffen, dass die auf der COP27 mit der Verabschiedung des Sharm el-Sheikh Implementation Plan unternommenen Schritte, auch wenn sie ihre Grenzen haben, das Bewusstsein der gesamten Menschheit für ein dringendes Problem schärfen werden, dem man nicht länger ausweichen kann. Auf der jüngsten UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt (COP15) in Montreal im vergangenen Monat wurden indessen ermutigende Ziele vereinbart.

Frieden in der Freiheit

Schließlich erfordert die Schaffung von Frieden, dass es »keinen Platz gibt für die Antastung der Freiheit, Unverletzlichkeit und Sicherheit anderer Nationen, gleichviel welcher Ausdehnung und Wehrhaftigkeit sie sein mögen« . Dies ist möglich, wenn in jeder einzelnen Gemeinschaft nicht die Kultur des Unterdrückung und der Aggression vorherrscht, die dazu führt, dass man seinen Nachbarn mehr als einen Feind sieht, den es bekämpfen gilt, als als einen Bruder, den man annehmen und umarmen soll .

Die Schwächung der Demokratie in vielen Teilen der Welt und der Möglichkeit der Freiheit, die sie bietet, wenn auch mit allen Begrenztheiten eines menschlichen Systems, ist ein Grund zur Sorge. Oft sind Frauen oder ethnische Minderheiten die Opfer, aber auch das Gleichgewicht ganzer Gesellschaften, in denen Unruhe zu in soziale Spannungen und sogar in bewaffnete Auseinandersetzungen mündet.

In vielen Bereichen ist ein Zeichen für die Schwächung der Demokratie die zunehmende politische und soziale Polarisierung, die nicht dazu beiträgt, die dringenden Probleme der Bürger zu lösen. Ich denke dabei an die unterschiedlichen politischen Krisen in verschiedenen Ländern des amerikanischen Kontinents mit ihren Spannungen und Formen der Gewalt, die die sozialen Konflikte verschärfen. Ich denke dabei vor allem an die jüngsten Geschehnisse in Peru und an die Vorfälle der letzten Stunden in Brasilien sowie an besorgniserregende Lage in Haiti, wo endlich einige Schritte zur Bewältigung der langjährigen politischen Krise unternommen werden. Es ist immer notwendig, die parteipolitische Logik zu überwinden und sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

Ich verfolge auch aufmerksam die Lage im Libanon, wo man immer noch auf die Wahl eines neuen Staatspräsidenten wartet, und hoffe, dass sich alle politischen Akteure dafür einsetzen werden, damit sich das Land von der dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Lage, in der es sich befindet, erholen kann.

Exzellenzen, meine Damen und Herren,
es wäre schön, wenn wir einmal zusammenkommen könnten, um dem allmächtigen Herrn nur für die Wohltaten zu danken, die er uns immer gewährt, ohne dass wir gezwungen wären, die dramatischen Situationen aufzuzählen, die die Menschheit heimsuchen. Wie Johannes XXIII. sagte: »Trotz allem ist zu hoffen, die Völker werden durch freundschaftliche wechselseitige Beziehungen und Verhandlungen die Bande der menschlichen Natur besser anerkennen, durch die sie aneinandergeknüpft sind; sie werden ferner deutlicher einsehen, dass es zu den hauptsächlichen Pflichten der menschlichen Natur gehört, darauf hinzuwirken, dass die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen und den Völkern nicht der Furcht, sondern der Liebe gehorchen sollen, denn der Liebe ist es vor allem eigen, die Menschen zu jener aufrichtigen, äußeren und inneren Verbundenheit zu führen, aus der für sie so viel Gutes hervorzusprießen vermag« . In diesem Sinne möchte ich Ihnen und den Ländern, die Sie vertreten, meine besten Wünsche für das neue Jahr übermitteln.

Danke!

(vatican news - sk)