Mit der Gleichsetzung der Klimaaktivisten mit Terrorismus würden gewaltloser Protest und demokratischer Widerstand in einen staatsfeindlichen Kontext gestellt. Der Fokus der Debatte verschiebe sich zudem von den aus Sicht der Jury "berechtigten inhaltlichen Forderungen" zum Umgang mit den Aktivisten.
Die globale Bedrohung durch den Klimawandel gerate in den Hintergrund - das gelte auch für die Forderung der Aktivisten, die Krise durch wirksame politische Maßnahmen zu bekämpfen. Im Vordergrund stehe, wie mit den Protestierenden politisch und juristisch umzugehen sei.
Auf den Plätzen zwei und drei landeten die Begriffe "Sozialtourismus" und "defensive Architektur". Ersterer war bereits 2013 Unwort des Jahres. Damals sei damit gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderung gemacht worden, insbesondere aus Osteuropa.
2022 wurde der Begriff vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz im Zusammenhang mit ukrainischen Flüchtlingen benutzt. Laut Jury handelt es sich um eine Diskriminierung von Menschen, die vor einem Krieg flüchten mussten. Zusätzlich verschleiere der Ausdruck ihr Recht auf Schutz.
Mit dem Grundwort "Tourismus" werde eine freiwillige Reise impliziert - eine perfide "Verdrehung offenkundiger Tatsachen". Das Bestimmungswort "sozial" stelle die Flucht vor dem Krieg in den Hintergrund und reduziere die Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem profitieren zu wollen.
Bei "defensive Architektur" handle es sich um eine militaristische Metapher. In Wahrheit sei damit eine Anti-Obdachlosen-Architektur gemeint. Damit werde eine Bauweise bezeichnet, die sich gegen bestimmte und wehrlose Menschengruppen im öffentlichen Raum richte - wie beispielsweise Obdachlose.
Ihr Verweilen an einem Ort werde als unerwünscht angesehen. Die Jury kritisierte eine "irreführende euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise", die gezielt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum vertreiben wolle.
Die Jury der sprachkritischen Aktion erhielt nach eigenen Angaben für das Jahr 2022 insgesamt 1476 Einsendungen, in denen 497 verschiedene Ausdrücke vorgeschlagen wurden. Den Kriterien der Jury hätten aber nur 55 Begriffe entsprochen. Mit 71 Einsendungen war "Sozialtourismus" der häufigste Vorschlag. Es folgten "Sonder-/Spezialoperation" mit 64 und "Sondervermögen" mit 54 Einsendungen.
Als Gastjuror durfte der Autor Peter Wittkamp ein persönliches Unwort des Jahres küren. Er wählte den Begriff "militärische Spezialoperation". Dieser sei eine euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt.
Beim Unwort des Jahres werden seit 1991 nach Auffassung der Fachleute unmenschliche oder unangemessene Begriffe ausgewählt, die gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen, in irreführender Weise etwas Negatives beschönigen oder diskriminieren. Die überwiegend aus Sprachwissenschaftlern zusammengesetzte Jury will damit insgesamt auf "undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden öffentlichen Sprachgebrauch" aufmerksam machen und Menschen für das Thema sensibilisieren.
Im vergangenen Jahr wurde der Begriff "Pushback" zum Unwort des Jahres gekürt. Damit werde ein menschenfeindlicher Prozess des Zurückdrängens von Flüchtenden an den Grenzen beschönigt, erklärte das Gremium damals zur Begründung.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) begrüßte die Entscheidung, "Klimaterroristen" zum Unwort des Jahres zu küren. "Ein solcher Begriff sollte in einer zivilisierten, demokratischen Debatte nichts zu suchen haben", erklärte sie am Dienstag. Damit werde Terror verharmlost. "Auch wenn ich einige Aktions- und Protestformen von Klimaschutzengagierten sehr kritisch sehe und klar ablehne, so ist jeglicher Vergleich mit Terrorismus nun wirklich absolut fehl am Platz."
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